Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1993

Spalte:

842-843

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

John and the synoptics 1993

Rezensent:

Holtz, Traugott

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

841

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

842

Den Analyse-Teil eröffnet Sch. mit der These einer ,Lieblingsjünger
-Redaktion'. Fazit: „Die Gestalt des ,Lieblingsjün-
gers' wurde erst im Zusammenhang mit der Kanonsbildung in
montanistischen Kreisen in das JoEv eingefügt, und zwar mit
der erfolgreichen Absicht, das JoEv unter die apostolische
Autorität des Zebedäussohnes zu stellen, um auf diese Weise in
Rom zu erreichen, daß das JoEv zusammen mit der Apk, die
schon seit längerem als Schrift des Apostels Johannes angesehen
wurde und Ansehen genoß, trotz des Einspruchs der Antimonta-
nisten in den Kanon der katholischen Kirche aufgenommen wurde
. Zur LJ-Rcdaktion gehören folgende Stellen: Jo 6,63; 13,20-
26a.36-38; 16,12-13; 18,15-18.24-27; 19,24b-27; 20,2-1 la;
21,1-25 (258). Die ,LJ-Redaktion' war es auch, die das bis dahin
anonyme 4. Evangelium dem Apostel Johannes zuschrieb. Sch.
geht es bei dieser ungewöhnlichen These um eine Entlastung der
Interpretation, sie kann nun ohne die Probleme der ,Lieblings-
jünger'-Texte erfolgen. Plausibel ist die Annahme einer ,Lieblingsjünger
-Redaktion' dennoch nicht. Sch. nivelliert die deutliche
Vorrangstellung des Lieblingsjüngers gegenüber Petrus in
Jo 1-20 und behauptet, die ,LJ-Redaktion' stelle uns den römischen
Petrus vor (239). Dies trifft für Jo 21, nicht aber für das
eigentliche Evangelium zu! Zudem: Der ,Lieblingsjünger' gehört
ebenso wie der Paraklet zum Urgestein joh. Theologie, zusammen
bilden sie den hermeneutischen Schlüssel zum Verstehen
des 4.Evangeliums. Warum sollten erst montanistische Kreise
in der 2. Hälfte des 2. Jh.s den ,Lieblingsjünger' interpoliert
haben?

Völlig unabhängig von der ,LJ-Redaktion' trägt Sch. im weiteren
seine Theorie zur Entstehung des JoEv vor. Er unterscheidet
zwischen einem .Grundevangelium' und der Arbeit des
Evangelisten, derauf der Basis des ,Grundevangcliums' das vorliegende
JoEv schuf. Das ,Grundevangelium' stammt aus der Situation
des Aposynagogos, es wendet sich gegen die synagogale
Bestreitung der Messianität Jesu. Demgegenüber setzt sich der
Evangelist mit den Doketen auseinander, die nicht bekennen,
daß Jesus der Christus sei. Diese unterschiedliche Ausrichtung
dient Sch. als Kriterium, um die Texte des JoEv dem .Grunde-
vangclium' oder dem Evangelisten zuzuordnen. „Was in der
Auseinandersetzung mit der Synagoge formuliert wurde,
stammt aus der Feder des Grundevangelisten; was seinen Ursprung
dem antihäretischen Kampf verdankt, hat der Evangelist
geschrieben" (293). Sch. führt zu allen Texten eine kurze Analyse
durch, zum .Grundevangelium' gehören demnach folgende
Abschnitte (Einzelverse teilweise nur in ihrem Grundbestand): L
Prolog: Jo 1,1 -12b. 13-18; II. Zeugnis des Täufers gegenüber den
Juden: 1,19-21.25-27.33-34; III. Jüngerberufung: l,35.36.41f
.45. 47-50; IV. Kanawunder: 2,1-3.6-11; V. Jesu Wirken in
Galiläa.4,46b.47.50-54a; 6,1.3.5-22.24b.25-27a.34-35; VI.
Jesus in Samarien: 4,4-7.9a. 10-26.28-30.39b; VII. Jesus in
Judäa: 1 1,1.4.6b-7a. 1 1 b-12.14-15.20-21.23-28.29.32b-33-
34.38b-41a.43b-44; VIII. Jesus in Jerusalem: 12,12-13; 2,14-16;
3.1-6.9-10; 12,42-43; IX. Heilung des Lahmen und erste Konflikte
mit den Juden: 5,2-19.2 l-24.33.36a.c.37-40.45-47; 7,12-
13.21- 24.31.33a; 10,14-15a. 16.24-28; 7,45-52; X. Heilung des
Blinden und letzter Konflikt mit den Juden: 9,1 -3.6-35.36-39a:
8,12b-14a.l7- 19; 10,19-21; 8,2l-23a.38-39.41b-42a.44a.47.51-
54a.56-59a; XI. Abschied von den Jüngern I3.la.4-I0a.12a.33;
14,1.2a.3.6b; 15,l8.20bc.23-24; 16,2-4a.l6-17a.l9-23a; 14,18-
19.27.30.31b; XII. Leiden und Auferstehen: 18,1.3b-5a.l2b-
13a.28.29-31; 19,7b-8.9b-l LI6.28.30b.38.41-42; 20,1.11b-
19.20b; XIII. Buchschluß: 20,30-31. Das .Grundevangelium'
entstand im letzten Jahrzehnt des I. Jh.s im syrisch-palästinischen
Raum, sein Verfasser kannte „mit Sicherheit das MkEv
bzw. dessen Grundschrift" (421). Es setzt eine jüdische Gnosis
voraus (Präexistenz-Christologie, Dualismus), ohne daß von
einer Gnoslisierung seiner Botschaft gesprochen werden kann.
Theologisch bemüht sich das .Grundevangelium' um den Nachweis
, daß Jesus der Messias ist. Die Gemeinde soll ermutigt
werden, in der gegenwärtigen Repression an diesem Bekenntnis
festzuhalten.

Der Evangelist hingegen schuf sein Werk um 140 n.Chr. in
Kleinasien. Theologisch leitet ihn ein antidoketisches Interesse,
er ist Repräsentant der rechtgläubigen Lehre, ein Mann der kirchenleitenden
Praxis. Sein Kriterium zur Scheidung von Häresie
und Orthodoxie ist das antidoketische Bekenntnis: Jesus ist der
Christus'. Der Evangelist schuf nicht nur das JoEv in seiner vorliegenden
Form (ohne die ,LJ-Redaktion'), sondern auch in Imitation
des markionitischen Kanons das Corpus Johanneum (Jo
Ev; 1.2.3Jo). Sowohl in den Briefen als auch im Evangelium
formuliert er seine zentralen Lehrstücke: die reale Leiblichkeit
des Gottessohnes, Eucharistie, leibliche Auferstehung, Pneuma-
tologie, Universalität, Bruderliebe, Sündenverständnis. Das
theologische und schriftstellerische Profil des Evangelisten stuft
Sch. im Vergleich mit dem .Grundevangelium' jedoch als gering
ein. Der Evangelist verdient es letztlich nicht, neben Paulus genannt
zu werden.

Das Buch stellt einen in sich geschlossenen Entwurf dar, der
in seiner problemgeschichtlichen Argumentation über weite
Strecken besticht. Dennoch überzeugt die Grundthese nicht: Das
Lösungsmodell .Grundevangelium - Überarbeitung eines Evangelisten
' mit den damit verbundenen Wertungen orientiert sich
offensichtlich an der Markus-Interpretation des Vf.s. An den
Texten des JoEv läßt es sich m.E. nicht überzeugend durchführen
. Zu Recht weist Sch. zwar die Auseinandersetzung mit
den Juden einer frühen, und die antidoketische Polemik einer
späteren Phase der joh. Theologiegeschichte zu. Diese beiden
für die joh. Theologiegeschichte grundlegenden Frontstellungen
lassen sich jedoch nicht cinlinig literarkritisch verorten. Sie sind
wichtige Etappen im Prozeß der joh. Theologiebildung, der tra-
ditions- und redaktionsgeschichtlich entschlüsselt werden muß.
Schließlich: Was berechtigt zu der These, der Evangelist sei
nicht ein wegweisender eigenständiger Theologe, sondern .nur'
ein Mann der Praxis? Ihm verdanken wir - auch nach Schmit-
hals - das vorliegende JoEv, ein einzigartiges Zeugnis urchristlicher
Theologie! Trotz dieser Einwände stellt das Buch einen
bemerkenswerten Beitrag zur Johannesexegese dar, der die
johanneische Frage nicht löst, wohl aber das Problembewußtsein
schärft.

Halle (Saale) Udo Schnelle

Denaux, Adelbcrt [Ed.|: John and the Synoptics. Leuven: Uni-
versity Press; Leuven: Peeters 1992. XXIII, 696 S. gr.8« =
Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium.
101. ISBN 90-6186-498-4 u. 90-6831 -320-7.

Das Colloquium Biblicum Lovaniense hat sich 1990 zum
dritten Mal (nach 1956 und 1975) mit dem JoEv beschäftigt.
Auf diesem Kolloquium, dessen Beiträge der vorliegende Band
präsentiert, ging es in ziemlich konzentrierter Weise um die Frage
nach der literarischen und der theologischen Beziehung zwischen
dem JoEv und den Synoptikern. Gerade von Löwen waren
in der Vergangnheit entscheidende Anstöße dafür ausgegangen,
diese Frage neu zu bedenken. So kann denn F. Neirynck in dem
einleitenden Beitrag "John and the Synoptics: 1975-1990" direkt
an sein Referat auf dem Colloquium 1975 "John and the Synoptics
" anschließen und die darin von ihm (wie ebenso von seinem
Kollegen M. Sabbe) beförderte Neubestimmung des Verhältnisses
von Johannes zu den Synoptikern in Richtung auf die Annahme
einer direkten literarischen Benutzung weiterführen. Der
Hg. A. Denaux resümiert: "The 1990 Colloquium Biblicum
Lovaniense clearly attested to a growing consensus about the
hypothesis that the author of John was dependent on one or