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Ausgabe:

1993

Spalte:

840-842

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmithals, Walter

Titel/Untertitel:

Johannesevangelium und Johannesbriefe 1993

Rezensent:

Schnelle, Udo

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839

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

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In Abschnitt 4 nimmt M. den liegengelassenen Faden von
Kap. 2 wieder auf, indem er „das Wortfeld ,Kind' im Neuen
Testament" aufspürt (165-200). Selbst der Kenner wird hier von
der - auch graphisch (197) - vorgeführten Bedeutungs- und
Beziehungsvielfalt dieses Nomens im Neuen Testament überrascht
. Dem Vf. dient diese Wortfeldanalyse insbesondere dazu,
durch das Feststellen von „Hauptlinien" die Voraussetzung für
seine weiteren Untersuchungen zu gewinnen. Leider werden
diese Ausführungen dadurch beeinträchtigt, daß der Autor (wie
auch im Fortgang seiner Arbeit) immer wieder von „Worten"
spricht, wo er (nur) „Wörter" meint.

Der - durch mehrere Exkurse angereicherte - nächste Abschnitt
„Die Kinder, die Unmündigen und die Kleinen in der
synoptischen Tradition" (201-294) dient der Analyse von Mk
9,33-37 (parr), Mt 21,14-16, Mt 11,25-30 par und Mt 11,16-19
par. Diese Texte unterstreichen nach M. die Funktion der Kinder
als Modell für den Glauben. Vor allem aber sind die Kinder
hier „Modell für den Umgang" von Christen untereinander
(383). Denn wie diese in der Rangstreitperikope eine Art
Gegenmodell zu dem Streben der Jünger nach Größe abgeben,
so haben sie für M. in den o.g. Texten insgesamt Modellfunktion
für rechtes (christliches) Verhalten. Auf Grund ihrer gesellschaftlichen
Stellung stehen die Kinder ferner exemplarisch für
alle „Unmündigen" und „Kleinen". Wie ihnen die besondere
Zuwendung Gottes (durch Jesus) galt, so haben die Kinder
Modellcharakter für Gottes ausdrückliches Dasein für alle Entrechteten
und Geringen.

Eine ganz andere Akzentuierung erhalten die Kinder dagegen
in den Briefen des Neuen Testaments. Sie arbeitet der Vf. in
dem Kap. „Kinder in den (christlichen) Häusern" heraus (295-
376). Da die Kinder in der Briefliteratur meistens in Beziehung
zu dem „Haus" als einer sozialen Größe genannt werden (Haustafeln
, 1 Kor 7,14, Oikos-Wendungen), liegt hier ihre Bedeutung
in ihrer Zugehörigkeit zu den Hausgemeinschaften. Die aber
war nach M. in den frühchristlichen Gemeinden (ebenfalls) problematisch
. Von da aus ergibt sich, daß in den Briefen des Neuen
Testaments die Frage der Beziehung von Kindern zu den
„Häusern" behandelt wird, d.h. wie sie sich zu ihnen (namentlich
den Vätern) verhalten (Kol, Eph) und wie sie „im christlichen
Sinn" (389) erzogen werden sollen (Past).

Angesichts dieser unterschiedlichen Akzentuierung des Themas
„Kinder im Neuen Testament" stellt sich die Frage: Liegen
in ihm „zwei voneinander unabhängige Traditionsstränge" vor,
oder gibt es zwischen beiden „Verbindungslinien" (ebd.)? M.
plädiert für das letztere. Er sieht das Verbindende darin, daß in
beiden Überlieferungsbereichen die gleiche (für die Gemeinden
des frühen Christentums noch offene) Frage der „Zugehörigkeit
von Kindern zur Gemeinde" (390) erörtert wird. Dabei ist für
ihn unzweifelhaft: So wenig Mk 10,13-16 als Beleg für die Kindertaufe
angesehen werden kann (65f), so sehr dürfte im
„Umkreis" dieser Fragen auch die nach der Kinder- bzw. Säuglingstaufe
„beheimatet" gewesen sein.

Im letzten Abschnitt „Exegese und Applikation" (377-407)
kehrt M. zum Ausgangspunkt seiner Darlegungen zurück. Hat
er verständlicherweise auch keine Rezepte für die Bewältigung
des hermeneutischen Problems der Applikation, so steht doch
deren Notwendigkeit für ihn außer Frage. Da die von ihm erörterten
Texte Beispielcharakter für die Gegenwart haben, betont
er mit Recht ihre bleibende Bedeutsamkeit für die (kirchliche)
Arbeit an Kindern.

Auch aus diesem Grund ist dem Vf. zu wünschen, daß seine
Untersuchung dazu beiträgt, diese möglichst vielen „Planern
und Pfarrerinnen, Lehrerinnen und Lehrern" (8) bewußt zu
machen.

Leipzig Werner Vogler

Schmithals, Walter: Johannesevangelium und Johannesbriefe
. Forschungsgeschichte und Analyse. Berlin-New York: de
Gruyter 1992. X, 473 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für
die neutestamentliche Wissenschaft, 64. Lw. DM 168,-.
ISBN 3-11-013560-4.

Dieses Buch stellt in gewisser Weise eine Fortsetzung der
von W. Schmithals 1985 vorgelegten ,Einleitung in die drei
ersten Evangelien' dar; hier wie dort verbindet sich ein forschungsgeschichtlich
geschärftes Problembewußtsein mit
einem prägnanten Neuentwurf. Das Buch gliedert sich in zwei
gleich große Teile (A: Forschungsgeschichte; B: Analyse).
Zunächst referiert der Vf. die bekannten altkirchlichen Traditionen
zum JoEv. Das Schweigen Papias' und Justins zum JoEv
wertet Sch. als ein wichtiges Indiz für die späte Abfassung des
Evangeliums, zumal P52 mit der neuesten Forschung nicht
mehr für eine Frühdatierung in Anspruch genommen werden
kann. Erst mit der Kanonsbildung (Irenäus) ist das JoEv sicher
bezeugt. Besondere Aufmerksamkeit widmet Sch. dem Konflikt
zwischen den Alogern und den Montanisten um das JoEv, den
er später zum Ausgangspunkt seiner Neuinterpretation der joh.
Frage macht.

Kenntnisreich wird die Forschungsgeschichte entfaltet. Die
vorkritische Auslegung streift der Vf. nur kurz, um dann auf die
epochalen Werke des 19. Jh.s ausführlicher einzugehen (Bret-
schneider, D. F. Strauss, B. Bauer, F. Chr. Baur und die Tübinger
Schule). Kennzeichnend für diese Forschungsepoche ist die
grundlegende Entscheidung gegen die Echtheit des JoEv. Dessen
Apostolizität wurde zwar vehement verteidigt (H. Ewald, F.
Bleek), konnte jedoch gegenüber der Kritik nicht aufrecht erhalten
werden. Die nächste bedeutsame Phase der Forschungsgeschichte
reicht von H. J. Holtzmann bis R. Bultmann. Hier dominiert
die im Alten Testament und der Kirchengcschichte bereits
bewährte Literarkritik (J. Wellhauscn/E. Schwartz). Nicht mehr
die altkirchliche Tradition oder apologetischen Kircheninteressen
beherrschen die Auslegung, sondern der Text selbst wird
einer minutiösen Analyse unterzogen. Die im Rahmen dieser
Arbeit entstandene Hypothese einer joh. .Grundschrift' vermag
Sch. allerdings nicht zu teilen, weil die ausschließliche Konzentration
auf die Literarkritik wichtige historische Aspekte der joh.
Frage außer Acht ließ. Gleichwohl steht sein Lösungsmodell
(,Grundevangelium') den Entwürfen von Wellhausen, Schwartz
und G. Richter sehr nahe. Der Vf. bespricht dann quellenkritisch
orientierte Auslegungen und bezieht selbst Stellung: t. In Übereinstimmung
mit der neuesten Forschung rechnet er damit, daß
Johannes syn. Evangelien kannte (123); 2. Die Annahme einer
.Semeia-Quelle' wird als „wenig beweiskräftig" (125) angesehen
; 3. Zurückhaltender urteilt Sch. gegenüber der Hypothese
einer .Redequelle', sie wurde voreilig ad acta gelegt. Innerhalb
der religionsgeschichtlichen Auslegung hebt Sch. z. R. die Kommentare
von W. Heitmüller und W. Bauer hervor. Er selbst
erneuert dann seine bereits bekannte These: „Ausgangspunkt
einer genauen Analyse muß die Beobachtung sein, daß nicht nur
die johanneische Theologie, sondern auch ein Strang paulini-
scher Theologie stark von gnostischer Begriffs- und Vorstellungswelt
geprägt ist" (149).

Bultmanns großer Kommentar rechtfertigt eine eigene Darstellung
, weil er im wahrsten Sinne des Wortes epochal ist: Er
nimmt die wesentlichen Erkenntnisse der vorangehenden kritischen
Forschung auf und bestimmt bis heute die Diskussion.
Sch. skizziert in kritischer Sympathie Stärken und Schwächen
des Bultmannschen Entwurfes und stellt die Entwicklung bis
zur Gegenwart dar (Entwürfe in Anlehnung an Bultmann,
Grundschrift-Hypothesen, Vertreter der weitgehenden Einheitlichkeit
des JoEv.). Scharf wendet sich Sch. in diesem Zusam-
menhnag gegen die These einer johanneischen Schule', er
rechnet sie zu den Phantasieprodukten der Exegese.