Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1993

Spalte:

838-839

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Müller, Peter

Titel/Untertitel:

In der Mitte der Gemeinde 1993

Rezensent:

Vogler, Werner

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

837

Theologische Literaturzeitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. 10

838

Die exegetischen Entscheidungen M.s beginnen in Kap. 4 bei
der Gliederung: Apk 20 bilde das Zentrum einer von 17,1 bis ca.
22,9 reichenden chiastischen Struktur (nach Giblin; Alternativen
werden nicht diskutiert). Zwischen Bildern der Verstoßenen und
Erwählten, Bräutigam und Braut stehend, beantworte es die Frage
, wer zur Hochzeit des Lammes geladen werde. Die Heiligen
seien dabei in der vorbereitenden Parusieszene 19,11-21 unter
das himmlische Gefolge Christi (V. 14) einzuordnen, in dem sie
Mitzeugen des Gerichts über die Bewohner der Erde würden
(VV. 19-21), die S. 69 auf eine Selbstzcrstörung der Mörder
nach 17,16f hin gedeutet werden). Die Parusie wird zum Vorzeichen
der weiteren Szenen.

Kap. 5 führt zu 20,1-3, das einseitig nach Jes 24,20-23 interpretiert
wird (Satan und alle nicht Bereuenden würden „viele
Tage" in der Unterwelt eingeschlossen; die Textpropria der Vereinzelung
Satans, der 1000 Jahre und des Abyssos treten, da sie
bei Jes nicht erscheinen, zurück).

Kap. 6 behandelt 20,4-6. In 20,4 erhalten nach M. die Ältesten
von 4,4 exekutive und richterliche Autorität, wird also das
Beisitzergremium von Gottes Gericht gebildet. Schüssler-Fio-
renzas Deutung, es gehe um die rehabilitierende Thronverleihung
an die bewährten Christen („krima" als Urteil über ihren
Rechtsanspruch, „Throne" als Herrschaftsmotiv nach 3,21), verweist
M. in ein untergeordnetes zweites Textverständnis. Doch
sind seine Argumente schwächer, da 20,4 auf das Stichwort
„Älteste" verzichtet. In 20,6 füllt er die mangelnde Bezeichnung
des Herrschaftsraums der im Gerichtsvollzug nach 20,4 Auferstandenen
über Gen 1,26 (da Gen 1,26 LXX nicht von „basileu-
ein" spricht, nicht zwingend). Eine restituierte Schöpfungsherrschaft
tritt vor Augen, in deren Paradies Satans Scharen aus der
Unterwelt aufstehen (20,7-10, in Kap. 7 interpretiert nach der
Vorentscheidung von 20,1-3). Gegenüber 20,5b wäre das eine
zweite Auferstehung (vgl. 115), doch in der Sache eine letzte
Versuchung, die Gottes enthüllendes Gericht und damit Strafe
statt Auferstehung trifft.

20,11-21,8 fügen der so eigentlich abgeschlossenen „story"
laut M. vertiefende Elemente hinzu und ein. 20,11-15 schaut
(nach Kap. 8) das Gericht, das wir zuvor als Schlacht und Konfrontation
kennenlernten, unter dem Gesichtswinkel eines Gerichtshofs
um den Thron von Gottes unverborgener Gegenwart.
Sind aber 20,4-10 und 20,11-15 "Two Sides of a Single Coin"
(184, eine wieder nicht zwingende Entscheidung), dann erhellen
sie sich gegenseitig. Das Millennium, das 20,12-15 nicht mehr
erwähnt, wird auf 20,12 beziehbar: Die Toten (vgl. 20,3 in M.s
Interpretation) müßten im Gerichtsvollzug eine an Gottes Tag
(einem Tag wie 1000 Jahre; vgl. Ps 90,3) gemessene Lebenszeit
lang gleichsam ihr eigenes Totsein sehen. Sie erhielten nach M.s
Kombination der Textelemente in Apk 20 noch eine, freilich
von ihnen nicht genützte, Chance, die der Fortgang von V. 12 zu
V. 13 verkürzend ineinanderschiebe (185f). Die zeitliche Qualität
des Millenniums relativiert sich zu einem Faktor möglichen
Wandels im menschlichen Herzen (vgl. 241).

21,1-8 zeigt daraufhin (so Kap. 9) die Textpriorität bei der
heilvollen neuen Schöpfung, zu der das Schwinden von Himmel
, Erde und gläsernem, trennendem Himmelssee ("thalassa"
21,1, bezogen auf 4,6) wie See des Unterwelt-Abyssos (Nebenschicht
von „thalassa" 21.1 nach 20,13) führe. Da auch dies
Gegenstück zu Kap. 20 ist, ist es für M. mit den dortigen Ausführungen
zu verbinden. M. fügt daher dem Vollzug der Neuschöpfung
Aspekte des Millenniums bei: Der Todessee schwinde
für die zum Todeszeugnis ermutigten Christen bereits im
Millennium von der Landkarte. Das Bild des himmlischen Jerusalems
ermutige die Leser, ohne daß vor dessen Kommen ein
lOOOjähriges Warten zu schieben wäre.

Kap. 10 summiert. Das Millennium rückt als durch die Parusie
inauguriertes Zeitalter in den Kontext erneuerter Welt. Die
Erlösten erfreuen sich seiner als erster Rate des unendlich Guten

der neuen Schöpfung. Die nicht Bereuenden könnten eine letzte
Chance sehen, legte nicht ihre irdische Entscheidung sie darauf
fest, sich auch im Urteilsspruch des Millenniums nicht mit Gott
versöhnen zu lassen. So ergeht von der Darstellung des Millenniums
der Impuls, umzukehren zu den offenen Toren von Offb
21,25.

Sind damit die erhofften weiterführenden Perspektiven der
Textauslegung erreicht? Der Rez. zögert, hält er doch bei vielen
Einzelentscheidungen, auf die sich die Gesamtlinie stützt, Zweifel
für möglich. M. versucht eine textintern ansetzende Interpretation
, überschreitet aber schon mit der Rahmengabe Parusie die
Begrifflichkeit der Apk („parousia" fehlt in ihr). Seine Interpretation
von 20,2f vereinseitigt wie die von 20,4a und 20,6. Die
Kombinationen der Szenen in 20,1-21,8 systematisieren eine
visionäre Bilderfolge. Die Erklärung der „tausend" Jahre über
Ps 90,3 ist, da in der Apk kein sicherer Psalmbezug vorliegt,
kaum das letzte Wort (wir werden wohl an einer verstärkten
Wahrnehmung außerisraelitischer Quellen nicht vorbeikommen;
C. Colpe verweist auf Bahman Yascht 3,60-62; m.E. näher steht
Plato, pol. X 614f)- Der Wert von M.s Buch liegt daher stärker
in der Anregung, weiter nach Lösungen für das schwierige
Kapitel zu suchen, als in den konkreten Vorschlägen einer
Lösung.

Wuppertal Martin Karrer

Müller, Peter: In der Mitte der Gemeinde. Kinder im Neuen
Testament. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1992. 47
S. 80- ISBN 3-7887-1423-9.

Diese Münchener Habilitationsschrift zeichnet sich zum einen
dadurch aus, daß sie sich nicht auf die Untersuchung der bekannten
Kinder-Texte in der synoptischen Tradition beschränkt
, sondern dem Thema „Kinder im Neuen Testament" in
umfassender Weise nachgeht. Zum anderen ist sie - aus der Praxis
des Gemeindepfarrers erwachsen - von der Absicht geleitet,
die in ihr erzielten Ergebnisse für die kirchliche Arbeit wirksam
werden zu lassen.

Nach einer „Einführung" (15-32) analysiert der Autor zunächst
(33-80) den „exemplarischen" Text Mk 10,13-16. Das
geschieht auf die gleiche umsichtige wie sorgfältige Weise, die
auch für die weiteren Kapitel dieser Arbeit charakteristisch ist.
Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis: In dieser „beispielhaften
Handlung" Jesu, die durch V. 15 erweitert wurde, ist „eine
konkrete Auseinandersetzung angedeutet" (76). Sie betrifft die
Stellung der Kinder in den frühchristlichen Gemeinden. Der
Text antwortet auf dieses Problem, indem er die Kinder als
„Modell des Glaubens" vorstellt. Da Kinder Gott nichts zu bringen
vermögen als sich selbst, wird an ihnen „modellhaft deutlich
, wie der Glaube sich in Kommen, Bitten und Annehmen
gegenüber dem Gottesreich verhält" (287). Außerdem zeigt diese
Perikope, was Jüngerschaft Jesu bedeutet.

Bevor der Vf. sich der Untersuchung weiterer Texte zuwendet
, informiert er den Leser in Kap. 3 über die Stellung der
„Kinder in der Umwelt des Neuen Testaments" (81-164). Dabei
holt er z.T. weit aus. Durch das von ihm herangezogene Material
gelingt es ihm jedoch, ein anschauliches Bild von der Stellung
der Kinder (zunächst) in der „hellenistischen Gesellschaft" und
(danach) im antiken Judentum zu geben und dabei auch die
Unterschiede zwischen beiden deutlich zu machen. In dem
Abschnitt „Kinder in der antiken jüdischen Gesellschaft" hätte
M. indes mitunter stärker zwischen Söhnen und Töchtern differenzieren
sollen. Vor allem aber weckt die Bemerkung, daß
„Kinder die Tora lernen" (154), bei dem unkundigen Leser
falsche Vorstellungen.