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Ausgabe:

1993

Spalte:

62-64

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Frey, Christofer

Titel/Untertitel:

Theologische Ethik 1993

Rezensent:

Rendtorff, Trutz

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 1

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Werk. Mit einem vorangestellten Abschnitt zu Kierkegaards Exi- nun ausgerechnet d.e dezision.st.schen Akzente das Verstand-
stentialismus trägt K. von außen her einen Interpretationsschlüs- nis des Lebens als kühnes Daseinsexperiment (I94fl ein Den-
sel an Bonhoeffer heran: Dem dänischen Theologen folgend, ist ken in der Logik der Ausnahme und die pointierte Abkehr der
die Gottesidee losgelöst von weltlich immanenter Zweckrationa- Ethik von normativen, prinzipienethischen Überlegungen dieje-
lität und Teleologie zu bedenken; religiöse Rahmenbedingungen nigen Gedankengänge sind, welche heute von Bonhoeffer auf-
der Gesellschaft, metaphysische Vorgaben wie auch Vorstellun- zugreifen wären. Die heutigen gesellschaftlichen Konstellat.o-
gen göttlicher Allmacht sind hinfällig geworden; abzuheben ist nen lassen für die ind.vidue le Lebensführung die dentttatspro-
auf das Glaubenswagnis, die „Entscheidung" der Existenz und Werne und schweren Rollenkonflikte hautig doch daraus entstehe
„Ausnahme-Existenz" (21-33). Durch K.s stete Bezugnahme hen, daß die verschiedenen Daseinsbere.che und Gesellschaf s-
auf Kierkegaard wird seiner Bonhoeffer-Interpretation ein durch- segmente, in denen jeder Einzelne sich zu bewegen hat. auto-
aus einseitig gewählter, jedoch deutlich profilierter hermeneuti- nom und eigengesetzlich geworden sind und sich gegene.nan-
scher Schlüssel zugrunde gelegt. Neben Kierkegaard wird ferner der verselbständigt haben. D.h.: Aufgrund vielfältig drohender
Nietzsches Einfluß auf Bonhoeffer wiederholt sichtbar (z.B. Überforderungen des Einzelnen im hochkomplex und heterogen
140f, 146f). Auch Bonhoeffers „experimentierender" Denkslil gewordenen Lebensalltag wird das Leben in der sog.--Norma-
(14) erinnert ja durchaus an Nietzsches Verständnis von Leben lität" (vgl. 122) zu dem Gegenwartsproblem, dem die Ethik sich
und Denken als Perspektive und Experiment. K. unterstreicht, zu stellen hat und auf das mit Hille von zugleich kritischen,
daß der - wesentlich auf Nietzsche zurückgehende - Lebensbe- normativen und verallgeme.nerungstahigen Reflexionen einzu-
griff der Lebensphilosophie noch bei Bonhoeffer eine große Rol- gehen ist. Kann die Berufung auf einen Gedanken der Ausnah-
le spielt, wobei freilich auch fragwürdige Aspekte eines Vitalis- me-Existenz hier wirklich weiterfuhren? Ist nicht ferner bei
mus bei ihm nachwirkten (53 Anm. 17, 55). Immerhin habe Bon- aller - in der Tat überaus notwendigen! - Akzentuierung der
hoeffer den irrationalen Lebensbegriff der Lebensphilosophie in ethisch verantwortlichen Individualität durchaus auch die knü-
theolosische Kriterien, so etwa in die Unterscheidung von Letz- sehe sozialethische Stellungnahme der institutionellen Kirchen
tem und Vorletztem, hinein eingebunden (51). einzufordern, statt diese grundsätzlich abschätzig zu apostro-
K.s Pointe ergibt sich aus dem Spannungsbogen, in den er phieren (118, 121)? Der Personbegr.ff sowie d.e Fragen nach
sein Buch einstellt Eingangs werden die traditionsbedingt auto- der Verantwortung und dem Schutz des Einzelnen in der geseU-
ritativen, bedenklichen Äußerungen Bonhoeffers zum Vorrang schaftlichen „Normalität" (in ihrer hochgradigen Ambivalenz )
des ..Oben" auch in politisch-sozialer Hinsicht und zum Obrig- sollten gegenwärtig verstärkt zum Thema theologischer Ethik
keitsgedanken erwähnt (43ff); seine Betonung der Kategorie werden. Jedoch erscheint es fraglich, ob die Akzente zur „her-
des Kollektiven in der Ekklesiologie gelangt zur Sprache, inso- ausgehobenen" individuellen Existenz und d.e Le.tidee einer
fern bei ihm ein „fataler Vorrang des Kollektiven" (35) und das „existentiellen Logik der Ausnahme , d.e K. unterstreicht, hier-
..Vorurteil eines Apriori der Gemeinschaft" (124) sichtbar wer- zu heule einen sozialethisch umsetzbaren Zugang eroffnen kon-
de; und es wird Bonhoeffers tiefe Aversion gegenüber der Wert- nen.
Schätzung von Individualität herausgestellt (16, 35, 71 ff u.o.). K.

lenkt auch auf problematische geschichtstheologische Überle- Wachtberg Hartmut Kreß
gungen Bonhoeffers die Aufmerksamkeit (37, 61 ff)- Ebenso
kommen Facetten einer überzogenen Ausweitung des Stellvertretungsgedankens
zur Rede, falls nämlich beim „stellvertre- QnctomfltiQrhP Thf»olonif»' Ethik
tend" Handelnden Motive der eigenen Überlegenheit wirksam byStemailSCHe I neOlOgie. CiniK
würden (109). Ferner entfaltet K. - nunmehr aber mit zustimmenden
Akzenten - Bonhoeffers Kritik der Religion (Kap. VI, Frey, Christofer, Theologische Ethik. Neuk.rchen-Vluyn: Neu-
131ff). Inwieweit es freilich vom heutigen Problemstand her kirchener Verlag 1990. XIV, 298 S. 8o = Neuk.rchener Ar-
befriedigt, im Anschluß an Bonhoeffer das Phänomen der Reli- beitsbücher. Pb. DM 39,80-. ISBN 3-7887-1286-4.
gion im wesentlichen nur unter den Kategorien der Metaphysik,

Entmündigung, Bedürfnisbefriedigung, Kompensation u.ä. zu Die als Neukirchener Arbeitsbuch für die Hand von Studiediskutieren
und abzuwehren (133ff, 138ff), sei hier beiseite renden vorgelegte Theologische Ethik von Christofer Frey will
gelassen. zur „Erörterung von Problemen, die mit der Grundlegung von
Jedenfalls: Ungeachtet dessen, daß K. zunächst Bonhoeffers Ethik verbunden sind", anleiten. Dabei steht dem Vf. die Schwie-
Ferne zu den Leitmotiven der Individualität und individuellen rigkeit von Studenten vor Augen, die für die Vorbereitung auf
Freiheit konstatiert, sieht er im Ergebnis die individuelle Exi- das Examen im Fach Ethik keine der Dogmatik vergleichbaren
Stenz bei Bonhoeffer gerade betont. Anders als die auf „Norma- Lehrbücher zur Verfügung haben, auch nicht haben können, weil
lität" und Konformität (vgl. 121f, 181) eingestellte Institution sich Ethik „heute nur im Diskurs entwickeln" läßt (IX). So wird
Kirche könne und solle nämlich'der Einzelne verantwortlich der Leser im Gange der Darstellung mit einer Vielzahl von Dis-
und kritisch handeln. Bonhoef fer folgend, sei an die „existenti- kurspartnern aus der Theologie, der Philosophie sowie angren-
elle... Logik der Ausnahme" zu erinnern (122). Zu Leitbegrif- zenden und für die Ethik relevanten Sozialwissenschaften be-
fen der Bonhoeffer-Interpretation werden dann:„Ausnahme und kannt gemacht. Das geschieht im Verlauf der einzelnen AbEntscheidung
" (175); die Ablehnung der Masse, des „Man" und schnitte mit unterschiedlicher Intensität und wechselnder Kon-
der Verpöbelung (161, 180, 145); die Option für einen „klugen sequenz und wird am Ende des Buches noch durch eine „Ein-
Dezisionismus" (58, vgl. 176, 189); der „Sprung" (175, 189) f uhrung in wichtige ethische Entwürfe" (246-289) ergänzt,
und das „Daseinsexperiment" des Menschen (194). Damit wer- Nach einer kurzen begrifflichen Vorklärung über die Bedeu-
den ein radikaler Individualismus und ein ethischer Dezisionis- tung von „Ethik", „Ethos", „Moral" etc.(4ff) wird die „Notwen-
mus zum Fazit von Bonhoeffers Denken erklärt - trotz sonstiger digkeit ethischer Auseinandersetzung" an der von Max Weber
autoritätsorientierter und antiindividueller Äußerungen. entwickelten Gegenüberstellung von Gesinnungs- und Verant-

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•Jergestalt interpretiert, bleiben bei Bonhoeffer zwar innere wortungsethik entfaltet und mit Fragen der Auslegung der Berg-

idersprüche bestehen. Uneinheitlichkeiten in seinem Werk predigt in Verbindung gebracht (8-22). „Normen als Thema der

verhindern es jedoch in der Tat keineswegs, wegweisende As- Ethik" werden im Anschluß und in Auseinandersetzung mit

Pekte zu rezipieren. Indes ist es m.E. fraglich, ob, K. folgend, Wilhelm Korff behandelt, was dem Vf. Gelegenheit gibt u a