Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1993

Spalte:

818-819

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Nowell, Robert

Titel/Untertitel:

Hans Küng - Leidenschaft für die Wahrheit 1993

Rezensent:

Schöpsdau, Walter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

817

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

818

che, der Bibelübersetzung, der Liturgie, den gottesdienstlichen
Symbolen. Erfreulich, daß das Thema Christliche Kultur in der
theologischen Diskussion endlich wieder positiv besetzt ist, ja,
als ein Desiderat bezeichnet wird („Die gegenwärtige Menschheit
braucht eine christliche Kultur, keine Attrappe, sondern
eine ernste, wirklich Christus-gemäße Kultur", schreibt Pavel
Florenskij); es muß eine inspirierte Kultur sein, die „die Seele
zufriedenstellt", ja, als Vorbercitungsstufe für den „vergöttlich-
ten Zustand des Menschen" dienen kann (Augustin Nikitin,
Christentum und Kultur, 728-730). Leider kommen die sprachtheologischen
Erwägungen von K.-H. Bieritz zu kurz. Seine
Forderung nach einer „Ikonizität" der Sprache, die sie „befähigt,
als Medium gottesdienstlichen Austauschs zu dienen" (777),
könnte z.B. hinsichtlich des Symbol- und Bildverständnisses für
das religiöse Erleben bedeutsam werden. Auf die Unvergäng-
lichkeit von Zeichen und Symbolen, ja, auf deren Wiederbelebung
hatte schon Geoffrey Wainwright in seinem Plenarvortrag
„Religiöse Sprache und sakrale Symbole in einer säkularisierten
Welt" (119-133) hingewiesen, indem er Zeichen und Symbolen
einen „sprechenden Charakter" zubilligte und sieben Quellen
benannte, „die der Offenbarung Symbole liefern" (125, 128ff).
Auch H.-Chr. Schmidt-Lauber hat dazu einen guten Artikel
geschrieben (779-789), in welchem er darauf aufmerksam
macht, daß „in jedem wirklichen Denken Bilder mitgesetzt
sind" (781) und, daß zur geistlichen Erneuerung der Kirche „die
Wiedergewinnung eines tragfähigen Symbolverständnisses"
nötig ist (783); denn - nach einer Formulierung Eugen Häm-
merles - besteht die Wirkung der Ikonen des christlichen Ostens
gerade darin, daß (göttliche) „Präsenz durch Transparenz"
ermöglicht wird (819). Hier könnte auch eine Antwort auf das
andauernde Problem einer „gemeinsamen Sprache der Kirchen"
(vgl. G.Gassmann: 807-813) liegen. Was vom orthodoxen Glauben
gilt, gilt für jeden Christen: „Wer orthodox reden will, muß
zuvor orthodox beten und leben" (Sergius Heitz, Erfahrungen
aus einer orthodoxen Diasporagemeinde, 842). V. Federov
macht deutlich, was das in der ehemaligen UdSSR für Theologie
und Gläubige hieß (Wiedergeburt und Wiederkehr: 845-
854), und F. Vasnev zeigt, vor welchen missionarischen Problemen
die Russisch-Orthodoxe Kirche nach dem Zusammenbruch
der Sowjetunion steht und fordert eine „Ökologie des menschlichen
Gewissens" (Die Mission der Russischen Orthodoxen Kirche
in der Gegenwart, 943); - Gudrun Löwner zeigt am Programm
der Orthodoxen Akademie Kretas, wie soziale und diakonische
Aspekte die „Orthodoxie" zur „Orthopraxis" machen
oder wie Liturgie und Diakonie angesichts der „unmittelbaren
Bewältigung konkreten Elends" zur Einheit werden können
(949, 952, 954). Nach A. Papaderos liegt hier übrigens das Ziel
einer „mikrodimensionalen therapeutischen Diakonie"!

Schließlich sind noch zwei Beiträge zu erwähnen, in denen es
um die Ganzheit der Kultur, d.h. um die Zusammenführung der
„auseinandergefallenen Hälften sakral und profan" geht (I.
Totzke, Sakral und profan in der Kirchenmusik: 863-868, und T.
A. Smith, Der Film als Diener des Evangeliums: 869-881). Beide
Aufsätze sind in gewisser Weise paradigmatisch für die Absicht
des Tutzinger Symposions: nämlich die Vertreter unterschiedlicher
Kirchen und theologischer Systeme zusammenzuführen
und hinter ihren Ansätzen den gemeinsamen Skopus
wiederzufinden. Für G. Wainwright heißt das: Die Protestanten
müssen die Sakramente, die Orthodoxen die Predigt wiedergewinnen
oder: Die Protestanten müssen sich in die patristische
I radition einfügen, die Orthodoxen den neuzeitlichen Herausforderungen
stellen, wenn die christliche Einheit wiedergewonnen
werden soll (131-133).

Um es zu wiederholen: Der Leser sieht sich einer verwirrenden
Fülle von Beiträgen gegenüber, die er kaum „verkraften"
kann. Es hat darum etwas für sich, wenn die Hgg. von Kongreßberichten
rigoroser bei der Auswahl verfahren und nicht alles

aufnehmen, was an Ort und Stelle gesagt wurde. Nur so können
sie der Fülle des Materials Herr werden und System in das
Ganze bringen. Das ist schwerlich gelungen. Dabei sind ja hier
- von wenigen Ausnahmen abgesehen (vgl. die Beiträge von P.
N.Tarazi, J. Hajjar und W. A. Semaan: 681-699) - nur die Kirchen
im Kontext der europäischen Kulturen zu Wort gekommen
. Im Grunde hätte man die afrikanischen, süd- und südostasiatischen
und die latein-amerikanischen Kirchen in die Diskussion
einbeziehen müssen, um das Corpus Christianum zur
Sprache zu bringen; denn sie sind ja mit „auf dem Weg ins dritte
Jahrtausend", - wahrscheinlich mit den größten Zukunftschancen
.

Bremen Peter Gerlitz

Nowell, Robert: Hans Küng - Leidenschaft für die Wahrheit
. Leben und Werk. Aus dem Engl, von U. Schäfer u. H. Dier-
lamm. Zürich: Benziger 1993. 400 S. gr.8°. Lw. DM 44,-. ISBN
3-545-34110-0.

Küngs 65. Geburtstag verdankt sich diese Aktualisierung
einer Biographie, die N„ aufgrund eines längeren Arbeitsaufenthalts
in Tübingen bestens mit Küng vertraut, 1981 unter dem
Eindruck des Lehrverbots veröffentlicht hat. Manches für englische
Leser Gedachte, wie z.B. die Schilderung der Tübinger
Atmosphäre oder die Beobachtungen zur deutschen Mentalität
im Unterschied von der schweizerischen, nimmt der deutschsprachige
Leser mit Interesse zur Kenntnis, zumal es einen
unverzichtbaren Bestandteil der Sachanalyse bildet. Im Gegenzug
erhält er Einblick in die vorkonziliare französische Situation
(Nouvelle theologie), an der Küng zeitweise partizipiert hat, und
in die angelsächsische Diskussion der von Küng aufgeworfenen
Fragen (z.B. Peter Chirico, Charles Davis, Brian Tierney).

Im Lebenswerk Küngs, das sich wie in konzentrischen Kreisen
um die Themen Kirche, Christenheit und Menschheit entfaltet
hat, bilden die Veröffentlichungen zur Rechtfertigungslehre,
zur Ekklesiologie und zum Christsein sicher den Höhepunkt der
öffentlichen Wirkung. Bei der Nachzeichnung dieser Problemzusammenhänge
und des im Anschluß an „Strukturen der Kirche
" (1962) einsetzenden Konflikts mit dem Lehramt kommt N.
die Kenntnis der internationalen theologischen und kirchlichen
Szene, die er als Konzilsberichterstatter für die Zeitschrift „The
Tablet" (1962-1967) und als Chefredakteur der englischen
„Herder Correspondence" (1968-1970) gewonnen hat, besonders
zugute. Es gelingt ihm, in Abhebung etwa von der transzendental
-spekulativen Theologie Karl Rahners (im Kapitel
„Ein liberaler Protestant?") und unter Einbeziehung der Kritik
von Louis Bouyer oder Yves Congar die Eigenart der „empirischen
Theologie" Küngs herauszuarbeiten und dabei unter
anderem zu zeigen, wie Küng bei allem entschiedenen Ausgang
vom Neuen Testament in seiner Ganzheit und Vielfalt sich
zuletzt dennoch vor das hermeneutische Problem des Kanons
gestellt sieht und sich dafür entscheidet, die „sekundären Zeugnisse
" nun „auch wirklich als sekundär" zu behandeln. Auch die
Dimensionen der christologischen Auseinandersetzung zwischen
Küng und den deutschen Bischöfen (verlangt das Bekenntnis
, daß Jesus der Sohn Gottes ist, auch den Einsatz der
Christologie ,von oben'?) werden mit aufschlußreichen Passagen
aus den Dokumenten des Streits eindrücklich vor Augen geführt
.

Daß man Küng im englischen Sprachbereich als „Taschenbuch
-Theologen" apostrophiert, empfindet N. mit Blick auf
Vorbilder wie Augustinus und Origenes nicht als Abwertung.
Küngs Begabung sei es gerade, Theologie nicht als Spezialwis-
senschaft zu betreiben, sondern die ,Laien' als theologische
Subjekte ernstzunehmen und Themen aufzugreifen, die den