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Ausgabe:

1993

Spalte:

813

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Evangelisches Kirchenlexikon. 3. Bd.: L-R 1993

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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813

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

814

Allgemeines, Festschriften

Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale theologische
Enzyklopädie. Hg. von E. Fahlbusch, J. M. Lochman, J. Mbi-
ti. J. Pelikan, L. Vischer. 3. Bd.: L-R. 3. Aufl. (Neufassung).
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992. X, 1738 Sp., 1
Faltplan als Beilage gr.8Q. Lw. DM 298,-. ISBN 3-525-
50137-4.

Das neue EKL hat allgemein Anerkennung gefunden, weil es
ein konzeptionell und in der Ausführung gelungenes Werk ist.
Der jetzt vorliegende 3. Band ist besonders auf den Gebieten
Okumenik, Missions- und Religionswissenschaft eine Fundgrube
. Nicht nur, weil die entsprechenden Stichwörter in diesem
Band vorgegeben waren, sondern auch wegen der den globalen
und den interkonfessionellen Aspekt einbeziehenden Konzeption
des ganzen Werkes. 40 Länder von Laos bis Rumänien werden
vorgestellt. Zu Lateinamerika wird nicht nur über jedes einzelne
Land informiert, sondern auch ein Überblick geboten,
dem sich Artikel über Konzile, Theologie, Bischofsrat, Rat der
Kirchen und Verband der Ordensleute anschließen. Die seit
dem Erscheinen des „alten" EKL stark veränderte ökumenische
Situation spiegelt sich in zahlreichen neu aufgenommenen
Stichwörtern wie Ökumenismus, Nordamerikanische Theologie
, Neue Religionen, New Age, Pfingstkirchen wider. Das Gewicht
des ökumenischen Kampfes gegen den Rassismus drückt
sich darin aus, daß diesem Thema 8 Sp. statt 3 Sp. zur „Rassenfrage
" gewidmet sind.

Wie in den beiden ersten Bänden werden viele herkömmliche
Themen durch die ökumenische Sichtweise bereichert. So enthält
der Art. „Neuzeitliche Kirchengeschichtc" Abschnitte über
Europa, die USA und die Ostkirchen. Der Art. „Praktische
Theologie" informiert über die Entwicklung der evangelischen
PT in Deutschland, im anglo-amerikanischen Sprachbereich
und in der römisch-katholischen PT.

Der globale Horizont verbindet sich mit intensiver Wahrnehmung
der Weltprobleme. Exemplarisch seien die neuen Stichwörter
Massenmedien, medizinische Ethik, Menschenwürde,
Pazifismus, Moderne, Postmoderne und Pluralismus genannt.
Eine sehr kritische Analyse des Marxismus (der Vf. spricht
auch von Marxismen, um Marx von seinen Epigonen zu unterscheiden
) steht neben einer positiven Würdigung des christlich-
marxistischen Dialogs, dessen Intentionen angesichts neuer
weltweiter Probleme ideologieübergreifend aktuell bleiben. Die
konkreten Existenzfragen der Einen Welt weisen darauf hin,
daß ein abstraktes Ja zum Pluralismus nicht das letzte Wort sein
kann. Mindestens auf ethischem Gebiet sind Konsensbildungen
notwendig, die wie z.B. die Überzeugung der Ehrfurcht vor
dem Leben über rein pragmatische Motive hinausgehen. Als
Beispiel dafür, wie objektive Information und subjektive Stellungnahme
aufeinander folgen können, sei der Art. Militärseelsorge
genannt. Der Finne Heikkilä beschreibt sine ira et studio
die Regelungen der Militärseelsorge in Westeuropa einschließlich
der BRD (alte Bundesländer). Der Deutsche Müller-Kent
sieht in der vorhandenen Praxis die Gefahr, „daß herrschende
verteidigungspolitischc Konzeptionen theologisch legitimiert
werden" und tritt deshalb für Soldatenseelsorge in Gemeindeverantwortung
ein.

Durch die Verbindung oder das Nebeneinander von fachlich
kompetenten, gediegenen Informationen und engagierten Stellungnahmen
trägt das Lexikon dazu bei, in einer immer unübersichtlicher
werdenden und zugleich zum Zusammenrücken
gezwungenen Welt Orientierungshilfen zu finden.

Hauschild, Wolf-Dieter: Frömmigkeit und Weltverantwortung
. Gütersloh: Mohn 1991. XI, 216 S. gr.8o = Kirchliches
Jahrbuch für die Evang. Kirche in Deutschland 1988, 2. Kart.
DM 42,-.

Es werden viele Jahrbücher geschrieben, gekauft und verschenkt
. Die zweite Lieferung des Kirchlichen Jahrbuchs für
die Evangelische Kirche in Deutschland aus dem Jahre 1988
verdient es darüber hinaus, intensiv gelesen zu werden. Die
kirchlichen Stellungnahmen, die Wolf-Dieter Hauschild unter
dem Titel „Frömmigkeit und Weltverantwortung" zusammengetragen
hat, sind auch heute noch brandaktuell und wegweisend
. Ein Jahr vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten
standen innerhalb der EKD folgende Themen auf der Tagesordnung
:

1. Neue Religiosität - Zeichen der Zeit?

2. Religiöse Erneuerung der Volkskirche

3. Gesamtkirchliche Strukturen, Probleme und Aufgaben

4. Politische Parteien und Christen

5. Kirche und politische Kultur: Der Fall Barschel

6. Die fortdauernde Gegenwart der NS-Vergangenheit

7. Hilfe für Asylanten, Aussiedler und Ausländer

8. Arbeitslosigkeit als Dauerproblem kirchlicher Stellungnahmen

9. Versöhnung mit der Sowjetunion - EKD und Russische
Orthodoxe Kirche

10. Der konziliare Prozeß „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der
Schöpfung"

11. Frieden, Abrüstung und militärische Sicherung

12. Militärseelsorge - Infragestellung und Bejahung

13. Die ethische und soziale Herausforderung durch „AIDS"

14. Gefährdungen des menschlichen Lebens zwischen Geburt und Tod

15. Sonntagsheiligung als kultureller Wert.

Die Mehrzahl dieser Themen ist in Politik, Gesellschaft,
Staat und Kirche nach wie vor heftig umstritten. Das Jahrbuch
liest sich wie ein spannender Roman, weil jeder Leser gezwungen
wird, die Situationen zu vergleichen und selbst zu entscheiden
, welche Stellungnahme heute anders ausfallen müßte.
Andererseits ist es beeindruckend festzustellen, mit welch prophetischer
Gabe bereits 1988 Dinge offen ausgesprochen wurden
, die auch nach der Überwindung der Teilung volle Anerkennung
erfahren.

Wer gegenwärtig zu den fünfzehn aufgezählten Themen zu
arbeiten hat, dem empfehle ich unbedingt, auf das 88er Jahrbuch
zurückzugreifen.

Um die Sprengkraft, die in den bearbeiteten Themen liegt, zu
illustrieren, zitiere ich aus einer EKD-Studie, die zum Problem
der Langzeitarbeitslosigkcit angefertigt wurde. Da heißt es:

„Arbeitslosigkeit, insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit, betrifft
den Einzelnen und häufig auch seine ganze Familie nicht
nur in seiner äußeren materiellen Existenz, sondern in seinem
Personsein und in seinem Selbstverständnis. Die Würde des
Menschen steht auf dem Spiel. Arbeit und Erwerbsmöglichkeiten
entstehen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft durch ökonomische
Zusammenhänge. Langzeitarbeitslosigkeit hingegen wird
durch das Verhalten von Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft
und Gesellschaft mitverursacht und mitverantwortet. Die
Langzeitarbeitslosigkeit darf deshalb nicht als Folge einer
eigengesetzlichen Entwicklung hingenommen werdne, sondern
ist eine Herausforderung an unsere Verantwortung... Kriterien
des Zugangs zu Arbeitsplätzen lassen sich nicht ausschließlich
am Bedarf der freien Wirtschaft orientieren. Die Gesellschaft
als Solidargemeinschaft ist verpflichtet, darüber hinaus nach
Chancen und Möglichkeiten für sinnvolle Arbeit Ausschau zu
halten. Es ist Teil menschlicher, gemeinschaftlicher Verantwortung
, auf eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Arbeitsplätze
hinzuwirken und zugleich neue sinnvolle Arbeitsmöglichkeiten
zu erschließen"... (211).

Halle (Saale)

Eberhard Winkler

Satow

Ulrich Müller