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Ausgabe:

1993

Spalte:

59-60

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Irwin, Alexander C.

Titel/Untertitel:

Eros toward the world 1993

Rezensent:

Sturm, Erdmann

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 1

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Raum des Glaubens (318) provoziere erneut die Frage nach
dem Existentiellen. Das „Leben der Kinder Gottes" beantworte
sie auf eine Weise, die Probleme überspringe (325). Zwar werde
, vor allem in Form einer Auslegung des Samaritergleichnisses
, die Kirche eindrucksvoll als Ort der gelebten Christuswirklichkeit
in der Liebe zu Gott und zum Nächsten herausgestellt.
Aber der Selbstbezug der Glaubenden werde nicht thematisiert,
vielmehr durch Handlungsdruck kompensiert.

Habe sich in einer Predigt von 1914 die Hoffnung auf den
neuen Menschen angekündigt, so bleibe auch in der Barmer
Theologischen Erklärung von 1934 der Christusbezug den Glaubenden
letztlich äußerlich (351). Indem Barth den Selbstbezug
des Glaubens tabuisiere, habe er selbst einen wesentlichen
Grund für die Alternative von Handlungsdruck und autoritärem
Glaubensverständnis mitgelegt (353). G. kommt zu dem nachvollziehbaren
Ergebnis, daß Barth einerseits die christliche Identität
eines inkarnatorischen Kirchenbegriffs dogmatisch eindeutig
zur Sprache bringe, der Ethik impliziere und christliches
Leben in der Welt frei bestimme. Andererseits werde die Krise
der Neuzeit nicht im Selbst thematisiert und dem narzißtischen
Selbst die versöhnende Kraft des Christusglaubens nicht vermittelt
. So bleibe an entscheidender Stelle der Wahrheitsbezug
unthematisch und autoritär (368). Ein Resümee der Hauptergebnisse
, die Erörterung des Verhältnisses des Anfangs und der
Mitte der Position Barths zu seinem Spätwerk und einige Thesen
zu ökumenischen Konsequenzen schließen das Buch ab. In der
sorgfältig gearbeiteten Untersuchung G.s wird nicht nur ein weiterführender
Beitrag zur Herausarbeitung von Karl Barths Lehre
von der Kirche in ihrer Stärke und in ihrer Schwäche geleistet.
Darüber hinaus greift G. ebenso fundiert wie problembewußt in
die aktuelle Diskussion über das Kirchenverständnis ein, in der
die dogmatische Lehre von der Kirche auf ihre empirische Realität
nicht autoritär, sondern in offenem Diskurs zu beziehen ist.

München Christof Bäumler

Irwin, Alexander C: Eros Toward theWorld. Paul Tillich and the
Theology of the Erotic. Minneapolis: Fortres Press 1991. XII,
204 S. 8».

Im Rekurs auf die ontologische Grundstruktur von Selbst
und Welt schreibt Tillich (= T.) vom Menschen als dem am
stärksten zentrierten und individualisierten Seienden: "But, at
the same time, he has the greatest potentiality of universal par-
ticipation. He can have communion with his world and eros
toward it" (Syst. Theology III S. 33). Auf diesen Satz geht der
Titel der Untersuchung von A. C. Irwin zurück. Damit ist ein
Rahmen abgesteckt, der in seiner Abstraktheit und Weite dem
Vf. bewußt ist und den er am Schluß seiner Studie mit Hilfe
der feministischen Theologie verläßt.

Im I. Kap. (Eros in Context. The Ontological Unity of Love)
referiert der Vf. über T.s Theorie der Formen oder Qualitäten
der Liebe und ihrer ontologischen Einheit. Der Eros sei für T.
eine Form, in der „die Liebe zu Gott, Gemeinschaftsbeziehungen
und kulturelle Kreativität, Gemeinschaft mit der Natur, geschlechtliches
Begehren und Sexualität in einer nichthierarchischen
Konstellation zusammenkommen" (17). Die Agape lasse
sich in diese Typologie kaum einordnen (16). Im 2. Kap. (Puri-
tans, Freudians, and the Classical eros) behandelt der Vf. T.s
Kritik an A. Nygrens und S. Freuds Abwertung des Eros und
die „Wiederentdeckung" der Philosophie des Erotischen in Piatos
Symposium durch T. Ihm folgt in Kap. 3 (Eros Toward the
World. The Faces of the Erotic in T.s Thought) eine ausführliche
Darstellung der spezifischen Funktionen des Erotischen bei
T., z.B. als Ursprungsmacht, philosophischer Eros, einendes Erkennen
, transmoralische Motivation, Eros der Gemeinschaft,

religiöser Eros und Liebe zur Welt. Der Unterschied zwischen
Eros und Agape sei aufgehoben. Entsprechend gebe es zwischen
Gott und Mensch eine „dynamische Interdependenz, in
der die erotische Leidenschaft auf beiden Seiten der Gott-
Mensch-Beziehung präsent ist" (81). Der Vf. rückt damit T.s
Gotteslehre in die Nähe der Prozeßtheologie. T.s diesbezügliche
Vorbehalte, die er mit seiner Symboltheorie in diesem Zusammenhang
vorträgt, werden nicht erwähnt.

Eine Schlüsselstellung nimmt Kap. 4 ein (Enchantment and
Deconstruction. T.s Erotic Life). T.s „erotische Lösung" stellt er
im Anschluß an Hannah Tillichs "From Time to Time" und an
die Biographie von W. und M. Pauck dar. Mit der kreativen
Macht des Eros verbinde sich bei T. eine destruktive Macht,
deren Opfer seine eigene Frau geworden sei (113-118). I. kommt
zu dem Schluß: "T. failed to give sufficient attention to the concreto
connections (or lack thereof) between eros and moral ac-
tion in actual human relationships" (118). Der Vf. konfrontiert
dann in Kap. 5 (Eros and "Power in Right Relation": The Erotic
in Feminist and Womanist Theologies) T.s Eros-Thematik mit
der Forderung der feministischen Theologie, Eros, Macht und
Gerechtigkeit konkret miteinander zu verbinden und zu versöhnen
. Es sei T. nicht gelungen, zu zeigen, daß unsere Erfahrung
des Erotischen nur dann moralisch bedeutsam sei, "il it brings
with it a heightened sense of ethical and political responsibility,
and an increased capacity for just action" (147). T. habe wegen
seiner eigenen Lebensführung ethische Konkretionen in seiner
Theologie gescheut. Daß die Frage der ethischen Konkretion ein
Problem protestantischer und v.a. an Kant orientierter Ethik darstellt
, kommt durch die Fixierung auf das Biographische nicht in
den Blick.

Das Buch schließt in Kap. 6 (T.s Eros and Feminist/Woma-
nist Theologies: Toward the Theological Future) mit einem instruktiven
Vergleich zwischen T. und der feministischen Theologie
. Im Gegensatz zur feministischen Theologie haben bei T.
„körperlose spirituelle Werte den Vorrang vor konkreten, leiblichen
Beziehungen" (169). Fazit: "T. never develops explicitly
the idea that justice is the criterion which distinguishes essenti-
al or creative eros from distorted, demonic expressions of the
erotic" (183). Lediglich das traditionelle metaphysische und religiöse
Denken halle T. davon ab, seine Unterscheidung zwischen
Eros und Agape aufzugeben (179).

Irwins Darstellung ist weitgehend aus der Sicht der feministischen
Theologie geschrieben. Sie will, indem sie die Eros-Thematik
aufgreift und zum zentralen Thema der Theologie T.s
macht, bewußt einen anderen Weg gehen als die üblichen T.Darstellungen
, die sich mit seinem System und seinen philosophischen
und theologischen Begriffen und Zusammenhängen
beschäftigen (155). Ob freilich T.s Verständnis des Eros sich unabhängig
von seiner Metaphysik, Ontologie, Eschatologie und
Symboltheorie, sozusagen als ein Thema der Erfahrung und
nicht seines Symstems, hinreichend erfassen läßt, muß man
bezweifeln. So sind denn auch bei aller Nähe die Unterschiede
zwischen T. und der feministischen Theologie beträchtlich. Dies
gezeigt zu haben, ist das Verdienst dieser Untersuchung, auch
wenn man die These „Erfahrung und Beziehung contra Metaphysik
und System" nicht teilt.

Münster Erdmann Slurni

Kodalle,Klaus-M.: Dietrich Bonhoeffer. Zur Kritik seinerTheo-
logie. Gütersloh: Mohn 1991.206 S. X«. Kart. DM 58,-ISBN 3-
579-00277-5.

K.s überaus anregendes Buch widmet sich nicht der Biographie
Bonhoeffers, sondern seinem theologischen und ethischen