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Ausgabe:

1993

Spalte:

57-59

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Greive, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Die Kirche als Ort der Wahrheit 1993

Rezensent:

Bäumler, Christof

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 1

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ohne eine Frage zu hinterlassen." (70) Oder: „Gott ist entbehrlich
und überflüssig geworden in den Dimensionen der Welt, des
Lebens, der Wissenschaft und der Technik. Er ist als Hypothese
entlassen, der Abschied von Gott ist vollständig." (73) - Insgesamt
ist dieser Teil zweifellos eine instruktive Zusammenlassung
.

Der II. Teil - „Versuch einer Antwort" (93-155) - ist als Kommentar
zu den zitierten Auslührungen der Religionskritik konzipiert
. Immer wieder wird hier konzediert, daß die Religionskritik
eine „Reinigung und Läuterung der Religion und des Gottesgedankens
von Mißbrauch und ideologischer Inanspruchnahme"
sehr berechtigt zum Ziele habe, daß sie aber nur und allein den
Mißbrauch der Religion und des Gottesgedankens zum Gegenstand
habe. Zu den „Zeichen" für die „Zwecke... der eigentlichen
Religion" hingegen .gehören': „das Unegoistische, das Selbstlose
, das Unverfügbare und Nichtmanipulierbare" (98). Das Argument
dafür, daß die Religionskritik einseitig und verkürzend ist.
läuft so: (1.) Warum „muß" das so sein, wie die Religionskritik
behauptet: „Warum aber muß das Göttliche und Unendliche als
Prädikat und Eigenschaft des... Menschen in Anspruch genommen
werden?" (ebd.) Diese Art zu fragen suggeriert: Es könnte
doch auch anders sein. So wird dann (2.) behauptet: „Der Satz,
daß der Mensch Gott nach seinem Bild schafft, ist durch den
ebenso in der Religion erwiesenen Satz zu ergänzen - im Sinn
eines Gegen-Satzes: Daß der Mensch sich Gott ganz anders vorstellt
als nach des Menschen Bild und Gleichnis", nämlich als
„Unendlich-Unwelthaft" (93). Abschließend heißt es (3.): „Eines
aber ist sicher: Der Gott, den der christliche Glaube bekennt, ist
nicht der Gott menschlicher Vorstellungen und Wunschgebilde
,... sondern der Gott, der allem widerstrebt, was menschliche
Vorstellung von Gott ausdenken kann", denn er ist „im Tod am
Kreuz offenbart" (ebd.). Das Argument: „es gibt auch anderes"
wird ebenfalls S.l 13, 142, 152 bemüht. Aus ihm kann auch
geschlossen werden: Da es auch anders sein kann, beruht Sartres
Konzeption „auf einer Entscheidung" (127) und ist auch eine
gegenteilige „Entscheidung" möglich und berechtigt (132).

Warum jedoch wird nicht dargelegt, was wahr ist? Und warum
wird, wenn die Religionskritik den Mißbrauch der Religion
aufdeckt, nicht deren wahrer Gebrauch inhaltlich ausgeführt?

Der III. Teil (157-173) faßt thetisch zusammen, daß „Gott
lebt" (158) - und beruft sich dafür insbesondere auf die „Grundbefindlichkeit
des Menschen", durch „Herkunft, Verdanktheit
und Angewiesenheit bestimmt" zu sein (167).

Hamburg Traugott Koch

Greive, Wolfgang: Die Kirche als Ort der Wahrheit. Das Verständnis
der Kirche in der Theologie Karl Barths. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1991. 406 S. gr.8° = Forschungen
zur syst. u. ökum. Theologie, 61. Kart. DM 118,-. ISBN 3-525-
56268-3.

„Christus tritt für den Sünder ein, der als angenommene Person
im Christushandeln in der Kirche der Brüder einfach dabei
ist und vertrauen muß. Das ist die entscheidende Pointe der
Theologie Barths. Sie stellt zugleich das eindringlichste und
aufregendste Ergebnis dieser Untersuchung seines Kirchenbe-
gnffs in seinen eigenen Fragestellungen zwischen 1909 und
1937 dar, weil es die Stärke und Schwäche dieses Denkens
zeigt, und zwar in größter Nähe, worin die Schwierigkeit einer
kritischen Barth-Interpreteation liegt, die sich deren Komplexität
stellt" (342).

Wolfgang Greive (= G.) stellt sich in einer sehr genauen Untersuchung
dieser Aufgabe einer Rekonstruktion des Verständnisses
der Kirche in den unterschiedlichen Texten Karl Barths

aus den Jahren 1909-1937 in seiner im Wintersemester 86/87 im
Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg
eingereichten Habilitationsschrift, die für den Druck leicht überarbeitet
und um zwei Kapitel erweitert wurde. G. setzt ein mit
der Feststellung, es gehe „unter dem Druck neuzeitlicher Fragen
..., die vor allem durch Feuerbach, Freud. Marx und Nietzsche
radikal gestellt sind... um die Wahrheit und Echtheit der Erfahrungen
in der Kirche..., die ihrerseits glaubt, die Wahrheit zu
verkündigen, die die Menschen frei macht (Joh 8.32)" (15).

G. untersucht zunächst Probleme der bisherigen Barth-Interpretation
im Blick auf den Kirchenbegriff (22-31). Sodann werden
einige „pointierte Studien" (32) zur Ekklesiologie Barths
knapp referiert und diskutiert (32-41). Die werkimmanente kritische
Interpretation der Ekklesiologie Barths wird von G. in
fünf Schritten durchgeführt. Im I. Kap. (45-126) wird das Verständnis
der Kirche als „Ort der erlebten und gelebten Wahrheit
" aufgrund von Aulsätzen und Predigten Barths aus der Zeit
von 1909-1914 rekonstruiert. In ihnen werde Kirche als Gemeinde
Christi „durch Individuen konstituiert, die von der geistigen
Macht Christi als dem Geist der Wahrheit ergriffen sind"
(74). Unter dem Einfluß der Wirkung Christoph Blumhardts
und im Anschluß an Johann Tobias Beck entwickele Barth, vor
allem in seiner Auslegung des Römerbriefes von 1919, seine
Auffassung von der „Kirche als Ort der biblischen Wahrheit"
(127-163). Im III. Kap. (164-211) zeigt G. an der Neufassung
des Römerbriefes von 1922. wie Karl Barth sich von Becks
Geschichtstheologie mit ihrer neuen Ethik radikal abwendet
und die „Kirche als Ort der existentiellen Wahrheit" thematisiert
. Die Wiederkehr des Individuums konzentriere sich jetzt
„auf den Tod des Individuums, auf die Leere und Nacktheit seiner
Existenz vor Gott" (171). Ganz an Sören Kierkegaard orientiert
, erkenne Barth in dieser Phase seines Denkens die „Not der
Kirche" darin, daß sie der geschichtlich notwendige Ort des
unanschaulichen Handelns Gottes sei (189) und unter dem Primat
der göttlichen Erwählung von der reinen Hoffnung lebe
(194). In einem „Zwischenergebnis" (212-221) hält G. fest, für
Barth sei weder ein Zurück zum vertrauten Gott der Väter noch
ein Verharren in der Aporie der Existentialdialektik möglich.
Die dogmatische Besinnung auf die Kirche führe weiter. Sie
erfolge in zwei Schritten. In einem ersten Schritt werde die Kirche
als „Ort der Wahrheit des Wortes Gottes" bestimmt (222-
301). In den Prolegomena zur christlichen Dogmatik von 1927
gehöre die Predigtkirche fundamental zum Verständnis der
Offenbarung als Wort Gottes. Die Existentialdialektik werde in
der Lehre vom dreifachen Wort Gottes dogmatisch-dialektisch
nachvollzogen (225). Externe und interne Wahrheit seien in der
Kirche aufeinander bezogen (232). Durch die kritische Rezeption
von Erich Przywaras Argument, die reale Glaubenserkenntnis
hänge am Verständnis der realen Inkarnation (233). habe
Barth seinen eigenen Neuprotestantismus „gereinigt" (238), sei
aber dennoch dem Existenzverständnis Kierkegaards weiterhin
verpflichtet geblieben (239). Die Rezeption der Programmatik
Anselms von Canterbury bereitet die Wendung zur Kirchlichen
Dogmatik vor. In ihr werde die Kirche als das Sein Christi bestimmt
, in dem das Sein Gottes als Herrschaft in Freiheit und
Beziehung die externe wie interne Wahrheit auf die Erfahrung
der Glaubenden beziehe. Als Grundproblem bleibe die Frage
offen, wie der Zusammenhang von Externität und Internität der
Wahrheit zutreffend verstanden werden (308). Der zweite
Schritt der dogmatischen Entfaltung der Lehre von der Kirche
bestimme diese als „Ort der Wirklichkeit Jesus Christus" (301-
358). In der Auseinandersetzung mit den „Deutschen Christen"
führe die christologische Konzentration zu einer Vertiefung der
Ekklesiologie Barths: Gott alleine in Jesus Christus in der Kirche
der Brüder und Schwestern.

Das Verständnis der Kirche als objektiver, sakramentaler