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Ausgabe:

1993

Spalte:

777-779

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Rohls, Jan

Titel/Untertitel:

Geschichte der Ethik 1993

Rezensent:

Kreß, Helmut

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777

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

778

Rendtorff, Trutz: Ethik. Grundelemente, Methodologie und
Konkretionen einer ethischen Theologie. Bd. 2. 2., Überarb. u.
erw. Aufl. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1991. 263 S.
gr.8° = Theologische Wissenschaft, 13,2. Kart. DM 36,-.
ISBN 3-17-011366-6.

Nach zehn Jahren ist nun die zweite Auflage als überarbeitete
und erweiterte Auflage erschienen. Das betrifft freilich nicht
Struktur und Gliederung, die gegenüber der ersten Auflage unverändert
sind, wohl aber die ausführlichere Darstellung und die
Erweiterung der Literaturhinweise. Dadurch ist das Buch
umfangreicher geworden, doch die einzelnen Abschnitte lassen
sich leichter lesen. Die Argumentation kommt dem Leser stärker
entgegen, der ein solches Lehrbuch nicht in einem Zuge liest,
sondern es als Nachschlagewerk zu bestimmten ihn interessierenden
Problemen benutzt.

Freilich bekommt der Leser es weiterhin damit zu tun, daß
nicht einfach aktuelle Fragen der materialen Ethik in lockerer
Folge abgehandelt werden, sondern die methodologisch begründete
Folge von neuen Reflexionsstufen jeweils an fünf Themenbereichen
entfaltet wird. Es ist bewußte Absicht des Vfs., „die
gegenstandsbezogene Erörterung der materialen Ethik durch die
jeweils neu ansetzende ethische Reflexion zu unterbrechen"
(11). Mit dem Anspruch einer ethischen Theologie stellt sich die
Aufgabe, „im Universum der ethischen Lebenswirklichkeit
jeweils die Beziehung zu identifizieren, in der die Stellungnahme
der Lebensführung gefordert ist" (12).

Ebenso ist es Absicht geblieben, „die ethischen Konflikte im
Kontext weltlicher Lebensführung zu verorten" (155). Ausdrücklich
wird abgewiesen, durch die theologische Perspektive
der Sünde die Deutung von Konflikten pauschal vorzunehmen,
statt Konflikte als Anfang ethischer Reflexivität des Lebens zu
verstehen. Insofern wird auch derjenige, der sich diese letzte
theologische Perspektive nicht zu eigen machen kann, in den
Argumentationsgang einbezogen und am ethischen Diskurs
beteiligt.

Rostock Joachim Wiebering

Röhls, Jan: Geschichte der Ethik. Tübingen: Mohn 1991. XI,
553 S. 80. Kart. DM 69,-. ISBN 3-16-14662-9.

Die ethische Kultur der Gegenwart ist von einem tiefen geistigen
Umbruch geprägt, der im weitgehenden Abschied der Gesellschaft
von tradierten religiösen und normativen Überzeugungen
, in einen neu entstehenden weltanschaulichen Pluralismus
sowie in allgemeiner ethischer Orientierungssuche seinen Niederschlag
findet. Angesichts dessen vermag dem Blick auf die
Bäükgeschichte gegenwärtig eine wesentliche, erkenntnisleitende
Aufgabe zuzufallen: Denn der gedankliche Rückbezug auf
geschichtlich überlieferte Begründungsmodelle und -methoden
der Ethik kann zur Schärfung heutiger ethischer Urteilsfindun-
gen beitragen. Programmatische ethikgeschichtliche Darlegungen
und Anleihen bei tradierten ethischen Argumentationen erfolgen
derzeit z.B. zur Rehabilitierung einer Tugendlehre (bei
A. Maclntyre), bezogen auf eine erweiterte, nicht-reziproke Mitleidsethik
(bei Walter Schulz) oder in Hinsicht auf eine Ethik
der Natur (vgl. Hans Jonas' Rückgriff auf aristotelische sowie
auf jüdische Ansätze). Schon Albert Schweitzer griff um seines
Anliegens einer Ethik des Lebens und des Tierschutzes willen
ältere ethische Vorstellungen auf. Der heuristische Sinn ethikgeschichtlicher
Reflexionen ist mithin unverkennbar. Umfassende
Ge.samfdarstellungen der Ethikgeschichte liegen indes nur sehr
spärlich vor (z.B. F. Jodl, Geschichte der Ethik, 21906). R.s
Buch bietet nun eine sehr breit angelegte Übersicht zur Geschichte
ethischer Konzeptionen, die in 5 Kapiteln die zeitliche

Abfolge von der Prähistorie bis zum 20. Jh. abschreitet. Daß
zahlreiche geistesgeschichtliche Sachverhalte und Einzelheiten,
die von R. dabei erwähnt werden, großes Interesse verdienen,
liegt nahe und ist offenkundig. Obwohl in R.s Buch auf Zitate
und Einzelnachweise verzichtet wurde, läßt es sich als Nachschlage
- oder Studienwerk nutzen. Dies vorangestellt, sind im
folgenden verschiedene, m.E. diskussionsbedürftige Gesichtspunkte
anzumerken.

Die Epocheneinteilung der Ethikgeschichte, die das Buch
anhand seiner 5 Kapitel vornimmt, fordert zu Rückfragen heraus
. So werden in den Kapiteln III bis V die „Neuzeit" (III),
„Der deutsche Idealismus und das neunzehnte Jahrhundert" (IV)
und schließlich „Das Zwanzigste Jahrhundert" (V) behandelt.
Jedoch wird nicht deutlich, welche tieferliegenden Kriterien und
ideengeschichtlichen Argumente für diese eher schematische
Aufteilung maßgebend waren. Ist unter die Epoche der „Neuzeit
" (Kap. III) gedanklich tatsächlich nur das 17./18. Jh. - und
nicht auch in bestimmten Hinsichten das 19. und 20. Jh. zu fassen
? Im voranstehenden Kap. II, „Christliche Antike, Mittelalter
und Reformation", werden u.a. Luther und die Gegenreformation
angesprochen. Dies legt die Anfrage nahe, warum Luther mit
seinen ethikgeschichtlich weitreichenden Impulsen - Entkleri-
kalisierung des Staates; weltliches Arbeits- und Berufsverständnis
; Ansätze zur Gewissensfreiheit - mit solcher Eindeutigkeit
und Entschiedenheit vorneuzeitlich eingeordnet wird. Auch die
Struktur der Einzelabschnitte ist nicht immer durchsichtig: Z.B.
wird das Kap. V („Das Zwanzigste Jahrhundert", 381-487) mit
einem Abschnitt eingeleitet, dessen Überschrift einen weiten
Bogen von der sozialen Frage des 19. Jh.s, also einer strukturpolitischen
, sozialethischen Thematik, bis hin zu Carl Schmitts
Denkmodell des Dezisionismus schlägt („Soziale Frage, Neukantianismus
und Dezisionismus", 382-407). In der Einzeldarstellung
bildet dann „Der Nationalsozialismus" (406) den Abschluß
dieses Abschnittes. Akzente der Ethikgeschichte, die allgemeine
politische Entwicklung und das Referat über ideologische
Abwege, gehen dabei allzu stark ineinander über.

Das Buch erwähnt zahlreiche Positionen und Denkansätze der
Ethikgeschichte. Im einzelnen fällt dann aber auf, daß sich z.B.
zur alttestamentlichen Prophetie, zu Philo oder in der Moderne
zu Autoren wie Ernst Bloch, Hans Jonas oder Franz Böckle - als
Vertreter der katholischen autonomen Moral! - nur ganz knappe
oder aber gar keine Hinweise finden. Andere Abschnitte (Plato,
Aristoteles, Pelagius und Augustin, Hegel) sind breit angelegt
und informationsreich. Jedoch lassen die offenkundigen Auswahlprobleme
es grundsätzlich fraglich erscheinen, ob die
Ethikgeschichte heute überhaupt noch in einem einzelnen Band
umfassend und als ganze darstellbar ist. Indem R. in seinem
Buch eine Übersicht über verschiedenste Ethikkonzeptionen und
Autoren bietet, werden zwar die Vielfalt sowie die Umbrüche
und Einschnitte der Ideengeschichte sichtbar. Zur geistesgeschichtlichen
Orientierung wäre es indes hilfreich gewesen,
wenn epochale Leitgedanken der Ethikgeschichte als solche
paradigmatisch herausgestellt und benannt worden wären. Idealtypisch
könnten z.B. als eines der Leitmotive antiker Ethik der
Tugendbegriff oder als ein die Ethik des 20. Jh.s erhellender
Schlüsselgedanke der Verantwortungsbegriff ins Licht gerückt
werden.

Worin sieht R. das gedankliche Fazit seines ethikgeschichtlichen
Überblicks? Bereits innerhalb des geschichtlichen Referats
gelangt die Religions- und Rechtsphilosophie Hegels recht breit
zur Geltung (330-345). Dies wird umso deutlicher, wenn man
zum Vergleich die kurzen Abschnitte über Schleiermacher und
die Güterethik (320-323) oder über Nietzsche und die Nihilismuskrise
(377-380) betrachtet. Gedankengänge Hegels zur absoluten
bzw. zur objektiven Vernunft gelangen dann in der
(knappen) Schlußüberlegung R.s nochmals zur Sprache: Das
Resümee macht für die Gegenwart die Leitidee einer metaphysi-