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Ausgabe:

1993

Spalte:

769-771

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Prolegomena, Gotteslehre

Titel/Untertitel:

Schöpfungslehre, Christologie, Pneumatologie 1993

Rezensent:

Pöhlmann, Horst Georg

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

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mitbetont. Aber könnte es nicht sein, daß - um es kurz zu fassen
- gegenüber dem Foralen manchmal das Kreuzestheologisch-
Sanative etwas an Gewicht verliert?

Das sind Fragen, die innerhalb eines tiefreichenden Konsenses
zu besprechen wären, aber nach einem langen lernenden
Umgang mit E.s großem Werk zur Anthropologie doch auch
laut werden dürfen. Dank zu sagen ist für eine immense und
immer wieder in ihren Einzelheiten und in ihren Weiträumigkeiten
staunenerregende literarische Gabe, deren Qualität die
Lutherforschung wohl auf lange Zeit kaum einzuholen in der
Lage sein wird und deren Gehalt das Nachdenken des Menschen
über sich selbst und die Wirklichkeit, in die er verfügt ist, hoffentlich
nachhaltig mitbestimmt.

Jena Martin Seils

Handbuch der Dogmatik, hg. von Th. Schneider. Christenglaube
im Überblick - ein Lehr- und Lernbuch. Bd. 1: Prole-
gomena, Gotteslehre, Schöpfungslehre, Christologie, Pneu-
matologie. Düsseldorf: Patmos 1992. XXI, 584 S. 8°. geb.
DM 58,80. ISBN 3-491-77042-4.

Die originelle neue römisch-katholische Teamdogmatik verdient
Beachtung, nicht zuletzt, weil sie einen dritten Weg zu
gehen versucht zwischen Traditionalismus und Modernismus, in
die die Theologie des Katholizismus auseinanderzubrechen
droht. J. Werbick grenzt sich einleitend („Wozu Dogmatik")
gegen beide Extreme ab. Verfehlt ist eine bloße Verwertungsund
Gebrauchstheologie, die „die Wahrheit auf das Verwertbare
und Brauchbare reduziert" und in der die Tagesaktualität zur
geheimen Norm wird. So eine Anpassungs- und Gefälligkeitstheologie
ist ein Bumerang. Denn „Wahrheit" wird „gerade
dadurch hilfreich und heilsam wirken, daß sie auch als irritierende
Herausforderung zur Geltung kommen kann". „Wir dürfen
die Relevanz des Christlichen nicht auf Kosten seiner Identität
suchen und die Heilkraft des Glaubens nicht zu Lasten seiner
immer auch befremdlich-irritierenden Inhaltlichkeit". Trotz
ihrer Ungleichzeitigkeit kommt aber Wahrheit nicht „beziehungslos
, abgehoben von menschlicher Lebenswirklichkeit und
Lebenspraxis zur Sprache". Sie will ja den Menschen „freimachen
", die „Korrelation" mit seinem Denken, Wollen und Sehnen
ist unabdingbar, selbst wenn sie sich ihm querstellt.

Dogmatik will - ganz im Unterschied zur neuscholastischen
Dogmatik - dem „Leben" dienen, wie im Vorwort Th. Schneider
betont. Der rote Faden dieser heilsgeschichtlich orientierten
Dogmatik ist „das wahre und erfüllte Leben, das der lebendige
Gott uns ermöglichen will" (vgl. die Überschriften I „Der Gott
des Lebens", II .Jesus Christus - Weg des Lebens", III „Leben
aus dem Geist").

So hat diese Dogmatik gleicherweise ein theologisches
Standbein wie Spielbein. Diese Konzeption, intensive und extensive
Theologie zugleich zu sein, kommt auch in dem methodischen
Viererschritt zum Ausdruck, in den jedes Kapitel oder jeder
Locus eingeteilt wird und der m.E. vorbildlich ist auch für evangelische
Dogmatik: 1. „Zugang", 2. „Biblische Grundlagen", 3.
„Dogmengeschichtliche Entwicklung", 4. „Systematische Reflexion
".

Der „Zugang" am Anfang eines Locus skizziert die heutigen
Schwierigkeiten, Chancen und Fragen, also die „Zeichen der
Zeit". Sodann folgen jeweils, was vor allem aus ökumenischer
Sicht erfreulich ist, die „Biblischen Grundlagen", die bewußt am
Anfang als Orientierung aller späteren Überlegungen kommen.
Diese biblische Grundlegung bringt nicht - wie oft in Dogmatiken
- dilettantische Assoziationen, sondern eine solide Exegese,
die den neuesten Stand der Forschung zusammenfaßt, auf historisch
-kritische Fragen eingeht und das Eigenprofil der verschiedenen
Schriften und Schichten des Neuen Testaments herausarbeitet
. In der „Gotteslehre" mit insgesamt 68 Seiten umfaßt diese
biblische Grundlegung immerhin 27 Seiten, in der „Schöpfungslehre
" mit insgesamt 118 Seiten 45 Seiten, in der „Christologie"
mit insgesamt 201 Seiten 80 Seiten. Ich kenne keine Dogmatik, in
der der biblischen Grundlegung so ein Gewicht zukommt und die
so ausführlich auf exegetische Erkenntnisse eingeht. So eine voll
in die Dogmatik integrierte Exegese wäre ein dringendes Deside-
rium gerade auch für die evangelische Theologie, wo oft Exegese
und Dogmatik in einer für den Theologiesstudenten irritierenden
Weise auseinanderklaffen.

Doch viel bedeutsamer ist: in dieser Voranstellung des biblischen
Zeugnisses im Aufbau kommt zum Ausdruck, daß - so J.
Werbick - „die Heilige Schrift" „der normgebende und grundlegende
Ausdruck des Glaubens" ist. Das war in der neuscholastischen
Dogmatik (Diekamp, L. Ott etc.) nicht der Fall mit ihrem
ganz anderen Aufbau und ihrem Dreischritt: 1. „Darlegung der
kirchlichen Lehre", 2. „Aufweis dieser Lehre aus Schrift und
Tradition, also der Nachweis, daß die vorgetragene Lehre durch
die Offenbarung gedeckt sei" was durch aus dem Kontext gelöste
biblische „Beweisstellen" geschah, 3. „spekulative... Durchdringung
".

Die Bibel ist hier - so Werbick - „erste Norm" und „Norma
normans non normata", nicht nur Zierpetersilie. Die in der Glaubenslehre
der Kirche ausgelegten Offenbarungswahrheiten sind
lediglich „Normae normatae". Wie sich diese protestantische
Sicht von Schrift und Tradition vom Vatikanum II her verifizieren
läßt, das diese Dogmatik ja ausgesprochenermaßen fortschreiben
will, ist eine andere Frage (De divina revelatione Nr. 9
u. 10). Wichtig scheint auch, daß man - in Absage an ein fundamentalistisches
Schriftverständnis - eine Art Kanon im Kanon
anerkennt: „Gottes Selbstmitteilung als die Norm aller Normen"
(Werbick).

Sachkompetent und instruktiv ist auch der jeweils 3. Teil
„Dogmengeschichtliche Entwicklung", in dem übrigens Luther
und andere Reformatoren ausführlich als fast gleichgewichtige
Zeugen neben scholastischen Theologen zu Worte kommen.
Diese unbefangene Lutherrezeption ist in einer römisch-katholischen
Dogmatik ein Novum und Inauditum, zumal dieses Handbuch
eine kirchliche Dogmatik, keine Privatdogmatik ä la Küng
sein will.

Die Teile „Systematische Reflexion" sind manchmal kompliziert
und sprachlich verquollen. Man wünschte sich hier eine
breitere Korrelation mit dem Denken der Zeit, etwa mit der
modernen Dichtung und Literatur. Der Atheismus fällt fast ganz
aus. Vieles ist in diesen Teilen innovatorisch, wie die Korrelation
zwischen Evolution und Schöpfungsglauben in der Schöpfungslehre
(„Gottes schöpferische Ermöglichung geschöpflicher
Eigenwirkung" Dor. Sattler/Th. Schneider).

In der Christologie wird auf die - in der katholischen Theologie
häufig nicht ernstgenommene - Menschheit und Menschlichkeit
Jesu ausführlich eingegangen („Jesu Gottvertrauen und
Gottverbundenheit als Mitte seines Lebens", „Nichtwissen,
Grenzen des Wissens, Krisen, Lernprozesse und Erkenntnisfortschritte
Jesu" H. Kessler). Besonders geglückt scheint das Kapitel
über die „Pneumatologie" von B. J. Hilberath zu sein, der
erstmals in der römisch-katholischen Dogmatik die spiritualisti-
schen und charismatischen Bewegungen zu integrieren versucht.
Seine Ausführungen über die „Geistvergessenheit" der Kirche
und die „pneumatologische Erneuerung der Theologie" brechen
wirklich zu neuen Ufern auf. Man liest hier Sätze, die aufhorchen
lassen, gerade auch den protestantischen Leser: „Der Heilige
Geist läßt sich nicht vereinnahmen" und „nicht festsetzen", er
„weht, wo er will" und kann nicht institutionell kanalisiert werden
. Die Bindung des Hl. Geistes an die Heilsmedien der Kirche
ist „Selbstbindung", nicht Angebundensein, „freie Bindung". Es