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Ausgabe:

1993

Spalte:

56-57

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Fries, Heinrich

Titel/Untertitel:

Abschied von Gott? 1993

Rezensent:

Koch, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 1

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einem existential-ontologischen „Jargon der Eigentlichkeit"
konfrontiert wird, der fortlaufend dem Urtümlichen Ausdruck
verleiht. Das gilt insbesondere für die „Einführung" (19-78), in
der der Vf. seine „Grundkonzeption" unter methodischen und
problemorientierten Gesichtspunkten vorbereitet. Dabei setzt er
mit dem„Vorverständnis"( 19-34) ein, die Religion beruhe nicht
- wie in der modernen Religionsphilosophie seit der Aufklärung
mit unterschiedlichen Akzentsetzungen behauptet wird -
auf „Vollzügen des Denkens, Fühlens oder Wollens" (19), sondern
auf dem „Zeugnis und Bekenntnis der selbstursprünglichen
Existenz" (79). Die exislentiale und phänomenologische
Analyse zusammenführende Religionsphilosophie nimmt das
seit Schleiermacher diskutierte Grundproblem der „Selbständigkeit
und Selbstbegründung der Religion" (56) so auf, daß
sie deren „Selbstursprünglichkeit" in dem „aus Geist und Psyche
schlechthin unableitbaren Ursprungsprinzip(...)" der „Exi-
stentialität" (61) verankert. Die im 1. Teil (79-135) entwickelte
„Strukturontologie der Religion" begründet diese folglich auf
die „existentielle Selbsterfahrung" (93), die sich von der vorreligiösen
Existenz dadurch unterscheidet, daß sie „zu ihrem
eigensten und eigentlichsten Selbstsein in ein Verhältnis tritt"
(94). Indem die sich zu sich selbst verhaltende Existenz aber
„nicht die Fähigkeit besitzt, sich selbst ins Dasein zu bringen"
(87), dränge sich die Frage nach dem „letzten Urgrund ihres
Selbstseins" (88) als unabweisbar auf.

Dieser Urgrund müsse freilich, um nicht „im Letzten ein
Vorletztes" (100) zu sein, über allem menschlichen Denken
und Sein hinausliegen, so daß sich die religiöse Existenz „in
einer absoluten Selbstursprünglichkeit" gegründet wisse, „wie
sie nur ein Wesen besitzen kann, das der Urprung seines gesamten
Seins selbst ist" (102). Diese religionsbegründende Argumentation
läuft somit darauf hinaus, das Unbedingte in der
Weise zum Grund der sich selbst transzendierenden Existenz
zu erklären, daß diese den Grund ihrer Eigentlichkeit „zugleich
in ein existentiell- personales Sein" (126) verwandle. Auf exi-
stential-ontologischer Basis erneuert der Vf. damit einen Versuch
zu der häufig und vielfältig praktizierten anthropologischen
Religionsbegründung, die der Argumentationsstruktur
des kosmologischen Gottesbeweises ebenso folgt wie deren
Aporie.

Der 2.Teil (137-223) ist der Auseinandersetzung mit der „nihilistischen
Existenzphilosophie" (138) gewidmet, um „zu verdeutlichen
, daß gerade in der existentiellen Begegnung mit
dem Nichts solche Seins- und Sinnerfahrungen aufbrechen, die
von seiten der Religionsphänomenologie immer schon als Inhalte
religiöser Erfahrung bezeichnet und beschrieben wurden"
(139). Denn die in den Existentialien der Angst und Sorge, der
Verfallenheit, Langeweile und Verzweiflung, der Verlorenheit
und Verfremdung und des Gefühls des Absurden und des Ekels
zum Ausdruck kommende „Begegnung mit dem Nichts" (153)
ließe sich auch als die Erfahrung eines Schwebezustandes deuten
, die darauf verweise, daß die Existenz ihre Erfüllung und
Vollendung nicht in sich selbst finden könne. Die zwischen
Nichts und Sein, Sinnlosigkeit und Sinn oszillierende Erfahrung
, die sich im Zeit- und Todesbewußtsein (167ff) verdichtet,
will der Vf. daher im Sinne einer „ontologischen Dialektik
menschlicher Existenz" (212) so vertiefen, daß die ihres Seins
und Sinns nicht mächtige Existenz auf das transzendente Sein
des Unbedingten und Absoluten hingeordnet sei. Die mit der
„Konstitution der Existenz" (230) zusammenfallende „Selbstbegründung
der Religion" (225), die der Vf. im 3. Teil (224-
289) mittels einer Metakritik der Religionskritik apologetisch
abzustützen versucht, zehrt zunächst von der negativen Einsicht
, daß sich die Existenz weder aus ihrem Eigensein noch
aus dem Weltsein begründen könne. Der scheiternde Versuch
zu ihrer Selbstbegründung zeige folglich, daß die Existenz

eines unbedingten Seins- und Sinngrundes bedürfe, „den sie somit
allein in dem Maße erreichen und verwirklichen kann, in
dem sie an ihn als einer ihr Sein immer überschreitenden Wirklichkeit
teilhat" (232). Auf diese Weise erklärt der Vf. den
Wunsch bzw. das Bedürfnis der Existenz, sich als begründet zu
wissen, zum Vater der angenommenen „Wirklichkeit" des Absoluten
. Diese Argumentation kann in zweifacher Hinsicht nicht
überzeugen: Erstens verkehrt sich der im Ausgang von der begründungsbedürftigen
Existenz eingeführte unbedingte Grund
in ein von dieser abhängiges Gegründetes. Aus der Annahme
allein, daß die Existenz um ihrer Begründung willen auf einen
unbedingten Seins- und Sinngrund angewiesen sei (230ff, 252,
267, 275, 288, 302), läßt sich nicht einmal auf die Denkbarkeit
dieses Grundes schließen. Zweitens stellt daher der mittels
eines Bedürfnisses und„Anliegens"eingeführte Grundallenfalls
ein gedankliches, gleichwohl inkonsistentes Konstrukt dar.
Diesen Schwierigkeiten trägt der Vf. insoweit indirekt Rechnung
, als er die religiöse Existenz vor die „Wahl" gestellt sieht,
„zu entscheiden, ob dieser Urexistenz (sc. diesem unbedingten
Grund) eine transzendente Wirklichkeit entspricht oder nicht"
(275). Indem der Vf. die radikalgenetische Religionskritik zu
einer „psychologistischen Religionskritik" verkürzt, macht er
sich für deren zentrales Argument blind: Sein Religionsbegrün-
dungsversuch verfällt dem Einwand, den unbedingten Grund
allein in Abhängigkeit der zu begründenden Existenz zu konzipieren
. Nach der Manier der (Barthschen) Wort-Gottes-Theolo-
gie mag zwar behauptet werden, die „existentielle Frage der
Religion" sei nur möglich, „wenn sie zugleich vom Erfragten
her gestellt ist" (217). Gleichwohl entpuppt sich der zustimmend
zitierte Satz: „Die Frage Gottes nach dem Menschen erweist sich
als Bedingung der Möglichkeit für die Frage des Menschen nach
Gott" (217 Anm. 388) als ein die Transzendentalphilosophie
verkehrendes Wortgeklingel; in ihm wird schlicht unterschlagen,
daß die menschliche Rede von der „Frage Gottes" nicht diese
selbst ist

Wien Falk Wagner

Systematische Theologie: Dogmatik

Fries, Heinrich: Abschied von Gott? Herausforderung und
Chance des Glaubens. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1991.
173 S. kl.80 = Hcrdcrbücherei, 1747. Kart. DM 12,80.-
ISBN 3-451-08747-2.

• Zum dritten Mal läßt H. Fries seine populäre „Antwort" auf
den Atheismus der Parole „Gott ist tot" erscheinen. Zum ersten
Mal wurde sie im Jahre 1968 veröffentlicht; dann erschien sie
im Jahre 1971 als ein Band der Herderbücherei, inzwischen in
acht Auflagen publiziert, im Religionsunterricht und in der
kirchlichen Erwachsenenbildung viellach verwendet. Nun erscheint
sie in neuer Bearbeitung.

Gegliedert ist dieses Taschenbuch in drei Teile. Der I. Teil,
Überschrieben als „Texte" (23-92), bringt prominente Zeugnisse
der Religionskritik von J. Paul über Feuerbach, Nietzsche, Sartre
, die Positivisten u.a. bis zu S. Freud und T. Moser: teils als
erläuterndes Referat mit längeren Zitaten (so z.B. bei Feuerbach
und Nietzsche). Dazwischen finden sich eine eigene denkgeschichtliche
Darlegung des Vf.s darüber, wie es zum Atheismus
kam (65-74). Hier stehen erstaunliche Sätze, etwa: „Was Comte
behauptete, wollte und ahnte, ... hat sich... in unseren l agen in
einer bisher noch nicht gekannten Intensität und Extensität
durchgesetzt und als Resultat hervorgebracht: Gott isl gegangen.