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Ausgabe:

1993

Spalte:

759-761

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Villar, José R.

Titel/Untertitel:

Teología de la Iglesia particular 1993

Rezensent:

Nagel, Walter

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759

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

760

Villar, Jose R.: Teologia de la Iglesia Particular. El tema en la
literatura de lengua francesa hasta el Concilio Vaticano II.
Pamplona: Universidad de Navarra 1989. XIX, 578 S. gr 8°
= Colecciön Teolögica. ISBN

Das spanische Wort „particular" ist üblicherweise mit „privat
" oder „persönlich" zu übersetzen. Aber theologisch heißt es
zusammen mit Iglesia „Teilkirche". Jedoch wird weder ein
Konventikel oder eine Gruppe, etwa wie die Herrnhuter, oder
ein Kloster damit bezeichnet. Nach dem evangelischen Verständnis
könnte eine Gemeinschaft wie Taize so bezeichnet
werden. Für unsere Seite ist die Iglesia particular ohne Bedeutung
, weil das Gegenstück dazu, die Iglesia universal keine Rolle
spielt, - mag auch diese im Hintergrund -, eine verschwiegene
Rolle behalten. Aber für die römisch-katholische Kirche ist
die Existenz einer oder gar mehrerer Teilkirchen im Sinne der
Untersuchung von Villar eine oder gar die eine Existenzfrage
seit rund 100 Jahren geworden. Obwohl der Vf. nicht mehr zu
der Generation der Väter des Konzils Vaticanum II zählt, sondern
bereits einer jüngeren Generation angehört, ist er ein Beispiel
für die ungebrochene Kraft der Konzilsbeschlüsse. Das
gilt zunächst für das Dekret „Lumen Gentium", - dogmatische
Konstitution über die Kirche, dann aber auch die Konstitutuion
„Sacrosanctum Concilium", die Konzepte zur Liturgie bietet.

Es bedarf einer Klärung, daß der Vf. die francophonen, also
die französischen und die francobelgischen Autoren darstellt,
wenn auch an entscheidenden Eckpunkten einige deutsche
Autoren für den Text und die Schlüsse der Untersuchung
benannt werden müssen. Die französische Kirchengeschichte
ist auf dem Hintergrund der einstmaligen gallikanischen Freiheiten
ein Modell für die Entstehung einer Partikularkirche. In
neuerer Zeit ist sie ganz anders als die italienische, die spanische
und die belgische Kirche, gleich ob Wallonen oder Flamen
, genötigt werden, einen eigenen Weg zu finden. Ein ihr
feindlicher Staat und eine immer mehr zum Un-Christentum
neigende Öffentlichkeit stellten Vorgaben auf, die mit der sonst
üblichen Distanziertheit nicht zu bewältigen waren. Anders als
die benachbarten Franzosen haben die Belgier, gruppiert um
das Erzbistum Mecheln und die Universität Löwen (Malines
und Louvin), die Chance genutzt, ein vom Staat und der Öffentlichkeit
gefördertes kirchliches Leben zu behalten. Bereits
während der Diskussion um die Gewalt des Papstes und das
Unfehlbarkeitsdogma standen die Belgier sogleich auf der ultramontanistischen
Seite. Bei beiden Ländern hat das gleichermaßen
in den Weltkriegen erlittene Schicksal das Gefälle zur
Partikularkirche vergrößert.

So haben die Christen in beiden Ländern im Rahmen ihrer
Zugehörigkeit zur röm.-kath. Kirche eher als andere Teilkirchen
, es sei an Südamerika gedacht, stellvertretend für die Universalkirche
die Probleme gesehen, die Argumente aufgesucht
und griffig beschrieben. Es bleibt bei der Darstellungsweise des
Vf.s nicht aus, daß er große Abschnitte aus der von ihm bearbeiteten
Literatur zitiert. So dürften etwa 2/3 der Darstellung
französich zu lesen sein und es bekommt ihr gut, daß diese
Sprache in ihrer Griffigkeit und Präzision vorherrscht. Allerdings
ist dem Vf. zu bescheinigen, daß er in seinen spanischen
Zusammenfassungen große, wohl aus seiner Sachkenntnis entstandene
Geschicklichkeit zeigt.

Der Vf. fügt nun Blatt um Blatt seine Bücher aneinander. Er
macht dabei Einschnitte, die durch die begleitende Weltgeschichte
diktiert sind. Der eine Einschnitt wird durch die beiden
Kriege der andere durch das Konzil Vatikanum II vorgegeben.
Freilich ist auch das Vatikanum I zu berücksichtigen. Der französische
Dominikaner Adrien Grea ist 1885 (soweit der Vf. seine
Literatur ausschöpft) mit dem Wort „Teilkirche" (particulie-
re) als Ergänzung zur Universalkirche hervorgetreten. Er
schrieb: „Das 19. Jh. ist das der Universalkirche und des Papsttums
. Es stellte die Größe des souveränen Papstes in das volle
Licht der Öffentlichkeit. Aber das 20. Jh. wird das Jh. der Teilkirche
sein (Eglise particuliere). Die Stunde ist gekommen, um
die Augen der Priester und der Gläubigen für die wahre Bedeutung
des Episkopates zu öffnen, allerdings in Union (union) mit
dem obersten Haupt der Kirche sowie in Unterwerfung seiner
Autorität" (übersetzt aus dem franz. Text). Es ist die auf das
Jahr 1871 folgende Ernüchterung zu hören, aber auch die Entstehung
der Altkatholischen Kirche in Österreich und Deutschland
. Erstmals wird die Diözese als Amtsbezirk des Bischofs
nicht nur als die notwendige Unterteilung der Gesamtkirche
zum Ziele der besseren Verwaltung gesehen, sondern als ein
Bereich der eigenen geistlichen Vollmacht. Statt vieler Einzelmitteilungen
, die darauf ergingen, sei auf die Bücher von Yves
Congar verwiesen, der unmittelbar an Grea anknüpft. 1904 in
Sedan geboren, hatte er eine Reihe akademischer Ämter inne
und war „Perito", d.h. als Sachverständiger dem Vaticanum II
zugeordnet. Natürlich setzt Congar Linien fort, die z.B. von
Adam Möhler vor rund 150 Jahren angedeutet worden waren.
Aber Congar hat eine eigene Aufgabe in seiner eigenen Gegenwart
. Der fast visionären Schau von Möhler, gefördert durch die
romantische Unbestimmtheit, setzt Congar in der Weise von
Grea das völlig reale Schauen gegenüber. Sprach Möhler von
der Einheitlichkeit der Christenheit, so zögert Congar nicht,
dem Bild, das Möhler und mehr oder minder Grea entwirft, den
Gedanken der „zerstrittenen Christenheit" als Ausdruck der
gegenwärtigen Zeit und Erfahrung gegenüberzustellen.

Congar schrieb 1937 das Buch „Chretiens desunis" und gab
damit nicht nur seine eigene Weise, die ihn umgebende katholische
Wirklichkeit zu fordern und zu fördern, kund, sondern gab
auch einer ganzen Generation Anweisungen für künftiges Verhalten
. Eines unter vielen Beispielen sei das von Gregory Baum
O.S.A., geb. 1923 in Berlin. Mit der Dissertation "That they
may be one" erläutert er, daß von Leo XIII. bis Pius XII. laufend
die „Einheit" (oder Einigkeit?) der Christenheit erörtert
worden sei. Dabei sei herausgekommen, daß die „katholische
Kirche eine Familie episkopaler Kirchen sei". Aber Baum akzeptiert
nicht die Folgerung, daß damit alle Christen vom Papst
abhängig seien. Die Bischöfe sind nicht die Vikare des Papstes,
sie haben eine eigene Autorität. Sie müssen zwar in Gemeinschaft
(comunion) mit dem Papst sein, und der Papst stärkt ihre
bischöfliche Autorität. Jedoch gibt es keine Delegierung von
geistlicher Gewalt (oder) vom Papst auf die Bischöfe. Und es
gibt keine Konkurrenz zwischen diesen beiden Faktoren. In diesem
Augenblick entdeckt Baum das Stichwort "particulares".
Eine Teilkirche solcher Art ist die Gemeinschaft von Glaubenden
rings um den Nachfolger der Apostel. So erlangen die Teilkirchen
ihre volle Katholizität durch die Gemeinschaft mit dem
Stuhl des Petrus. Und jede Teilkirche realisiert in sich selbst die
wesentliche Struktur der Universalkirche. Sie besitzen also den
authentischen Glauben, die volle Sakramentsgewalt und die
apostolische Vollmacht. Aus diesen Gründen sind die Teilkirchen
eine wirkliche Kirche. Congar sagte noch genauer: sie sind
Teile, die die Natur (naturaleza) des Ganzen haben. Mit diesen
Sätzen, in denen sich Baum an Congar anschließt, sind die
wesentlichen Teile der Jahrzehnte währenden Diskussion wiedergegeben
. Die Art und Weise aber, wie nun die einzelnen
Teile zueinander geordnet sind, erscheint dem Betrachter als
fast undurchschaubares Dickicht. Wer gibt wem die Autorität,
so wird der Priester nachfragen. Hat der Bischof eine andere
Weihe (ordo) als der Papst, und wie sieht das für den Priester
einer lokalen Gemeinde, d.h. eine Parochie aus?

Fast sollte man meinen, je mehr der Papst seine zentrale
Gewalt betont, desto mehr hat sich in den Diözesen und erst
recht in lokalen Gemeinden, d.h. den Parchien, ein eigenes
Leben entwickelt. So wird die universale Kirche der partikularen
Kirche seltener zugeordnet. Aber das läuft alles in einem