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Ausgabe:

1993

Spalte:

758

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Spee, Friedrich von

Titel/Untertitel:

Güldenes Tugend-Buch 1993

Rezensent:

Sommer, Wolfgang

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

758

unterzogen, alle Zitate in ursprünglicher Schreibweise wiederzugeben
. Dadurch wird insbesondere die behandelte Feuerbach-
schrift auch aus diesem Buch zitierbar.

Vor uns liegt - ohne daß es der Vf. primär intendiert hätte -
eine Miniatur zur neuzeitlichen Traditions- und Rezeptionsgeschichte
in Theologie und Philosophie. Im Spiel sind dabei nicht
nur protestantische Provenienzen, sondern ebensogut (wenn
auch nicht vordergründig erkennbar) römisch-katholische. So
hat etwa der Feuerbachsche Geschichtsschematismus gegenre-
formatorische Vorläufer, freilich unter anderem Vorzeichen.

Sodann lehrt der Vf. den Grafen Nikolaus von Zinzendorf
nach dessen Selbstverständnis zu begreifen. Aus lebendiger Erinnerung
an eine vorreformatorische Reformation heraus wollte
der Graf die Erkenntnisse und Überzeugungen der Reformatoren
des 16. Jh.s für das 18. Jh. in einer gesamtchristlichen Grundhaltung
neu zum Tragen bringen. Socinianer haben Zinzendorf
dann das Etikett „Lutherus redivivus" oder auch „Lutherus
Lutheranissimus" angeheftet. Der Graf zitiert beide Epitheta,
doch hat er sie sich nicht selber zugelegt!

In einer Fußnote fast versteckt gibt uns die Belesenheit des
Vf.s einen wichtigen Fingerzeig: „Was das für ein Vergnügen
war und welchen ersten Eindruck es auf einen machte, wie wir
durch die alte Stadt ritten", schreibt der noch junge Feuerbach
1823 an Helene Feuerbach, „wo einst Luther vor Kaiser und
Fürsten mutvoll die Wahrheit bekannte, kannst Du Dir leicht
denken." (62) Feuerbach war dann nicht der einzige Hegelianer
bzw. Linkshegelianer, der ein hypertrophes Selbstbewußtsein
entwickelte und auf sich bezogen schlicht sagte: „Ich bin Luther
II!" (48) Aber wer solchermaßen auf Martin Luther steht, tut es
doch wohl eher, um den Reformator in den Boden zu drücken.
Jedenfalls haben all die Vorstellungen und Behauptungen von
Weiter- und Höherentwicklung - sie kamen gleichermaßen vom
sozusagen inner- wie außerchristlichen Milieu her - erheblichen
Schaden gestiftet und waren allesamt ganz und gar nicht das,
was als reformatorisch bezeichnet zu werden verdient.

Der seiner akademischen Chancen beraubte Feuerbach macht
sich daran, als pro-fessor die letzten Rätsel von Gott und
Mensch zu lösen. Er sah hierin sein Lebenswerk und kokettierte
damit, wie er selber nur schrittweise zur höchsten Erkenntnis
gelangt sei.

Als Friedrich Kapp 1864 von jenseits des Großen Teichs und
aus einer Art Verbannung heraus den alten Freund Feuerbach
bittet, ihm einige Kenntnisse zu vermitteln zu den Herrnhutern -
er brauchte solche Kenntnisse für die von ihm geplante Geschichte
der deutschen Einwanderung nach Amerika; ihm waren
die Herrnhuter als ein spirituelles Igredienz aufgefallen -, wird
diese Bitte dem schon betagten Feuerbach zur letzten Gelegenheit
, über den angeblich ganz folgerichtigen Entwicklungsprozeß
von der Religion zum Christentum und vom Christentum
zum areligiösen Humanismus zu dozieren.

Feuerbach liefert seinem Freund Kapp Weltformeln, wo dieser
doch um schlichte Informationen gebeten hatte. Das heißt:
Schon dem Freund in New York gegenüber wird Feuerbach zum
Vorbeihörer. Erst recht aber sieht Feuerbach, trotz offenkundig
erfolgender Lektüre, an Luther, Zinzendorf, John Wesley und
den Herrnhutern vorbei. M. überführt Feuerbach in sorgfältiger
Kleinarbeit der verzerrenden Zitation. Bewegen Feuerbach
dabei Absicht und Vorsatz, ist ihm also ein strafverschärfender
dolus-Vorwurf zu machen? M. verbietet sich jegliches Moralisieren
; und auch die Leser sollten es sich ersparen. Entscheidend
ist vielmehr die Erkenntnis, auf welche Abwege es führt, wenn
Menschen, Vorgänge und Zustände - und im vorliegenden Fall
ein Teil der Christentumsgeschichte - nicht in ihrem zeitenabhängigen
Anderssein begriffen werden, sondern besser verstanden
werden sollen, als sie sich selber verstehen konnten und
können. Diese menschen verachtende Besserversteherei ist an
Feuerbach tatsächlich exemplarisch ablesbar.

Mehr auch wieder nicht. Wer Feuerbach zum philosophischen
Stammvater des Totalitarismus erklärt, will nur die Anfragen
überhören, die nun doch in Feuerbachs Lebenswerk stecken. M.
drückt Feuerbach kein Etikett auf, sondern - das ist der Skopus
dieser Untersuchung - er unterzieht ihn just demselben Examen,
das Feuerbach mit rigider erkenntnistheoretischer und denkpsychologischer
Technik auf jegliche überlieferte Religionsäußerung
angewendet wissen wollte. Feuerbach feuerbachisch geprüft
verstrickt sich in ausweglose Widersprüche.

Bensheini Heiner Grote

Spee, Friedrich: Güldenes Tugend-Buch. Auswahl, Bearb. u.
Einführung von A. Arens. Einsiedeln: Johannes 1991. 216 S.
8« = Christliche Meister, 40. Kart. DM 32,-. ISBN 3-89411-
297-2.

Das „Güldene Tugend-Buch" des Friedrich Spee von Langenfeld
SJ (1591-1635) hat Gottfried Wilhelm Leibniz als ein „göttliches
Buch" gerühmt und in den Händen aller Christen gewünscht
. Er meinte, daß die Theologie dieses Andachtsbuches
eine gemeinsame Basis bei der von ihm erstrebten Wiedervereinigung
der christlichen Konfessionen sein könne.

Der Spee-Forscher Anton Arens hat zum 400. Geburstag von
Friedrich Spee 1991 das Tugend-Buch in einer vorzüglichen Edition
heu herausgegeben und damit einem breiteren Leserkreis
zugänglich gemacht. Mit dem Namen Friedrich Spee verbindet
man vor allem seine weitverbreiteten, in den katholischen und
evangelischen Gemeinden bis heute gern gesungenen Kirchenlieder
sowie seine mutige Kampfschrift „Cautio Criminalis" gegen
den Hexenwahn und die Hexenprozesse. Weniger bekannt ist dieses
Andachtsbuch aus dem frühen 17. Jh., das für die Frauengemeinschaft
St. Ursula zu Köln geschrieben wurde. Diese Kölner
Gemeinschaft, die sich 1606 aus der großen Bruderschaft St.
Ursula herausgebildet hatte, gehört zu einer umfangreichen apostolischen
Frauenbewegung der frühen Neuzeit, die bisher kaum
näher erforscht wurde. Für diese Gemeinschaften, die in mehreren
europäischen Ländern unabhängig voneinander und in je
eigener Ausprägung entstanden, ist die Verbindung eines intensiven
religiösen Lebens mit verschiedenen Formen des Apostolates
charakteristisch. In der Fürsorge für Arme und Kranke, besonders
in der Glaubensunterweisung der Jugend, vor allem der Mädchen,
sahen sie ihre Hauptaufgabe. Weder dem Ordensstand noch dem
Laienstand zugehörig, umschreibt Spee ihre Stellung als einen
„geistlichen Mittelstand", dessen Mitglieder er im Titel des „Güldenen
Tugend-Buches" als „weit-geistliche Personen" bezeichnet
. Durch die Zusammenarbeit mit den Jesuiten waren in diesen
Frauengemeinschaften auch regelmäßig Exerzitien vorgesehen.
Aber im Klerus, der nur klausurierte Nonnenklöster als legiiim
ansah, wurden diese Frauengemeinschaften mit ihren verheißungsvollen
Reformansätzen unterdrückt und verfolgt. Die
Kölner Gemeinschaft blieb jedoch von solchen Beeinträchtigungen
weitgehend verschont.

Die Einführung von Arens in diese vom Geist und der Methode
des Ignatius geprägte „Schule des Betens" stellt zunächst das
Leben und Wirken Friedrich Spees kurz dar und zeigt sodann
die konkreten Entstehungsverhältnisse des „Güldenen Tugend-
Buches" auf. Es folgen wichtige Informationen über Inhalt und
Methode dieses geistlichen Übungsbuches sowie über die Wirkungsgeschichte
und Aktualität der Werke Spees. Ein Stellenverzeichnis
verweist auf die historisch-kritische Ausgabe von
Theo G. M. van Oorschot. Hinweise auf Literatur über Spee und
das goldene Tugendbuch beschließen dieses sehr zu empfehlende
Taschenbuch.

Neuendettelsau Wolfgang Sommer