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Ausgabe:

1993

Spalte:

750-752

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Die Evangelische Landeskirche in Baden im Dritten Reich. Bd. 1: 1931 - 1933 1993

Rezensent:

Schäfer, Gerhard

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749

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

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ist einem Gremium gewidmet, das im Zwielicht der kirchlichen
Zeitgeschichte steht. Der „Geistliche Vertrauensrat", dessen
erste Zusammenkunft am Nachmittag des 30. August 1939 stattfand
, und der bis in das Jahr 1945 118 Sitzungen abhielt (15,
Anm. 10), fungierte in den Kriegsjahren neben der DEK-Kir-
chenkanzlei als Zentralorgan der offiziellen evangelischen Kirche
. Vergleicht man den „Geistlichen Vertrauensrat" mit anderen
reichskirchlichen Organen - z.B. dem „Geistlichen Ministerium
" und dem „Reichskirchenausschuß"-, so waren seine Aktivitäten
ungleich ausgebreiteter und vielfältiger als die Arbeit
dieser Institutionen. Es gab, wie der Vf. feststellt, zwischen
1939 und 1945 nahezu kein Thema der Kirchenpolitik und Kirchengestaltung
, mit dem sich der „Geistliche Vertrauensrat"
nicht befaßt hätte. Bei dieser Sachlage schien es geboten, nicht
nur einzelne Aspekte seines Wirkens zu analysieren, sondern
dessen gesamtes Tätigkeitsfeld historiographisch abzuschreiten.

Mitglieder des „Geistlichen Vertrauensrates" waren der hannoversche
Landesbischof D. August Marahrens, der mecklenburgische
Landesbischof Walther Schultz und der Geistliche
Vizepräsident der Evangelischen Kirche der APU Johannes
(nicht, wie öfters irrtümlich geschrieben, Friedrich) Hymmen.
Seit März 1940 gehörte dem Gremium im Status eines assoziierten
Mitgliedes auch der reformierte Professor Otto Weber an.
Der Autor hat die Mitglieder in „Kurzporträts" bis zu ihrem Eintritt
in den „Geistlichen Vertrauensrat" vorgestellt (Exkurs [; 54-
66). Leider sind diese Porträts ein wenig zu knapp ausgefallen.
Bei Marahrens, über den eine ziemlich umfangreiche Literatur
vorliegt, mag dieser Mangel verschmerzbar sein. Über Schultz,
Hymmen und Weber hätte man jedoch gern mehr erfahren. Was
der Vf. über sie von 1939 bis zu ihrem Tode mitzuteilen hat, findet
sich auf S. 332 in drei Fußnoten zusammengedrängt.

Der „Geistliche Vertrauensrat" hat unrühmlich von sich reden
gemacht durch seine Kirchenpolitik der „seelischen Mobilmachung
" in den ersten Monaten des Zweiten Weltkrieges,
durch sein übervorsichtiges Taktieren im Zusammenhang mit
den Geisteskrankenmorden und der Judenvernichtung und durch
seine Ergebenheitsadresse an Hitler nach dem mißglückten
Attentat vom 20. Juli 1944. Gegen eine auf diese Sachverhalte
konzentrierte Optik ist seit den Sechziger Jahren immer wieder
die Forderung erhoben worden, die Tätigkeit des „Geistlichen
Vertrauensrates" allseitig zu rekonstruieren, um evtl. zu einem
günstigeren historischen Urteil über ihn zu gelangen. Der Vf.
hat sich dieser Aufgabe mit Fleiß unterzogen. Die archivalische
Überlieferung kann insgesamt als gut bezeichnet werden. Dem
Autor standen die reichhaltigen Bestände der landeskirchlichen
Archive in Hannover und Schwerin, des Evangelischen Zentral-
archivs in Berlin sowie weiterer kirchlicher und staatlicher
Archive zur Verfügung. Die ihm vor der politischen Wende
nicht zugänglichen Bestände des Reichskirchenministeriums in
Potsdam sind „soweit wie möglich" (16) in den schon fertigen
Text eingearbeitet worden.

Methodisch und darstellerisch bewegt sich die Monographie
in den Bahnen jener organisations-, problem- und verlaufsgeschichtlichen
Darstellungen, wie sie für die Publikationen der
AKiz-Reihe in aller Regel typisch sind. An verschiedenen Stellen
hat der Vf. nicht den Anschluß an den fortgeschrittensten
Stand der Forschung gefunden (besonders auffällig im Zusammenhang
mit der „Euthanasie" und der „Shoah"). Insgesamt tritt
dem Leser aber eine informell dichte, gut orientierende Arbeit
vor Augen. Unter Anknüpfung an bereits vorliegende Ergebnisse
zur Kirchenpolitik Kerrls entrollt der Vf. präzise die Vorgeschichte
des „Geistlichen Vertrauensrates" (17ff). Sie war um
die Idee einer Ergänzung der administrativen Leitung der DEK
(Kirchenkanzlei) durch eine geistliche Leitung zentriert. Deutlich
tritt auch hervor, in welch widersprüchlichem Spannungsfeld
der „Geistliche Vertrauensrat" sich von Anbeginn bewegte.
Die Kirchenkanzlei (Dr. Werner/Dr. Fürle) sah es begreiflicherweise
nicht gern, ihre Kompetenzen durch ein weiteres Leitungsorgan
tangiert zu sehen. Die deutsch-christlichen Landeskirchenführer
waren erst recht nicht an einem zentralen Leitungsgremium
interessiert. Da ein DEK-Organ im Windschatten
der staatlichen Kirchenpolitik auch weitab der kirchlich-theologischen
Interessen der Bekennenden Kirche lag, blieben nur die
nicht deutsch-christlichen Kirchenführer als Stütze des „Geistlichen
Vertrauensrates" übrig. Nimmt man zu diesem Kräftebild
noch die Kirchenpolitik von Staat und NS-Partei hinzu, innerhalb
derer die radikal christentumsfeindlichen Kräfte mehr und
mehr die Oberhand gewannen, wird vollends klar, daß dieses
Gremium auf nahezu verlorenem Posten stand.

Neben seinem politisch affirmativen Kurs (der im Verlauf des
Krieges von Akklamation zu Zurückhaltung abflachte), hat der
„Geistliche Vertrauensrat" sich bemüht, den Bestrebungen zur
Entchristlichung Deutschlands entgegenzuarbeiten: im Ringen
um die Erhaltung der konfessionellen Kindergärten, des christlichen
Schrifttums, des Religionsunterrichts, der Wirksamkeit der
Wehrmachtsseelsorge u.a. Nach dem Urteil des Vf.s waren die
hierbei erreichten Erfolge äußerst bescheiden. „Überblickt man
die zweifellos umfangreiche und von starkem persönlichen Engagement
getragene Arbeit des Vertrauensrates und vergleicht sie
mit seinen Resultaten, fällt das Ergebnis zweifellos mehr als
mager aus"(342). In den Wirren des Kriegsendes ist der Vertrauensrat
, ohne offiziell aufgelöst worden zu sein, „sang- und klanglos
" untergegangen (341). Die kirchenpolitische Zukunft lag nicht
bei ihm, sondern beim kirchlichen Einiglingswerk von Landesbischof
D. Theophil Wurm. Ob durch die nüchterne historische
Sachstandserhebung des Vf.s zumindest im Blick auf das Wirken
von Marahrens günstigere Akzente zu setzen sind, kann bezweifelt
werden. Die Meinung von Kurt Schmidt-Clausen, formuliert
auf der Grundlage der seinerzeit noch ungedruckten Dissertation
Melzers, der Autor habe „eine Ehrenrettung von Landesbischof
Marahrens vorgenommen", läßt sich m.E. nicht aufrecht erhalten
(Kurt Schmidt-Clausen: August Marahrens, Landesbischof in
Hannover. Wirklichkeit und Legende. Hannover 1989. 78).

Leipzig Kurt Nowak

Rückleben, Hermann, u. Hermann Erbacher [Hg.]: Die Evangelische
Landeskirche in Baden im „Dritten Reich". Quellen
zu ihrer Geschichte. Im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats
Karlsruhe hg. Bd. I: 1931-1933. Karlsruhe:
Evang. Presseverband für Baden 1991. XVI, 891 S. gr.80 =
Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der
Evang. Landeskirche in Baden, 43. Lw. DM 39,80. ISBN 3-
87210-332-6.

Zu dem Kreis der deutschen Landeskirchen, die durch eine
Quellenpublikation zur Aufarbeitung ihrer Geschichte während
des „Dritten Reiches" beitragen wollen, ist nun auch die Badische
Landeskirche gestoßen. Der gleichsam offizielle Charakter
des jetzt vorgelegten ersten Bandes einer wohl als Reihe geplanten
Veröffentlichung zeigt sich nicht nur im Wortlaut des Titelblattes
, sondern auch im Geleitwort von Landesbischof Dr.
Klaus Engelhardt: „Die hier vorgelegte Publikation ist längst
fällig - nicht nur um historische Quellen einem größeren Forscherkreis
zugänglich zu machen, sondern vor allem unsere
Gefährdungen heute zu begreifen." Dem möglichen Einwurf,
eine Dokumentaion des Kirchenkampfes vor einem halben Jahrhundert
komme heute doch etwas zu spät, ist damit sehr prinzipiell
begegnet. Unmittelbares Thema sind die Jahre des „Dritten
Reiches"; diese stehen aber beispielhaft für die immer notwendige
Auseinandersetzung von Theologie und Kirche mit allen Versuchen
, die Kirche einem ideologisch sich absolut setzenden
politischen System gleichzuschalten und so schließlich auszu-