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Ausgabe:

1993

Spalte:

745-747

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sandnes, Karl Olav

Titel/Untertitel:

Paul - one of the prophets? 1993

Rezensent:

Hübner, Hans

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

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phetische Begabung sei eine Folge seiner Weisheit (125-149).
Zu den Erzählungen über eine Schau aus der Ferne gehören nur
drei (Spatzen: IV, 3; Insel: IV, 34; Tod des Domitians: VIII, 26).
Diese Erzählung („Fernsicht") und die vorhergehende („Voraussage
") haben etwas gemeinsam: sie offenbaren eine besondere
Kenntnis. Die Vfn. schlägt folgende Klassifizierung vor: 1.
Wundererzählungen: Blindenheilung III, 39b, Gelähmtenhei-
lung III, 39c und Dämonaustreibung IV, 20, von denen die
ersten zwei Wunderheilungen von indischen Weisen bewirkt
werden. 2. Erzählungen von unbestimmten Gattungen (mit zwischen
Phantastischen und Wunderbaren liegenden Inhalten): a)
Erzählungen über Vollmachtsoffenbarung; b) Erzählungen über
Weisheitsoffenbarung; c) Erzählungen über Kenntnisoffenbarung
(150-176).

Abschließend wird das sich aus den untersuchten Erzählungen
ergebende Bild des Apollonios von Tyana entworfen: Ein neo-
phythagoreischer Wanderphilosoph, der die Gesellschaft und die
religiösen Kulte reformieren will. Philostratus wollte ihn als
einen Weisen darstellen mit allen Konnotationen, die dieses Wort
in seiner Zeit beinhaltete: Wundertäter, Exorzist, Prophet, Wahrsager
, der Menschen und Tiere kennt und versteht. Apollonios ist
in erster Linie ein Weiser, der dank seiner Verbindung mit der
Gottheit aufgrund seiner Weisheit als „göttlicher Mensch" bezeichnet
werden kann (176-179).

Die sorgfältige und gründliche Untersuchung, in der die wissenschaftlichen
Kenntnisse der modernen Textlinguistik sachgemäß
verwendet werden, ist ein wichtiger Beitrag zur religionsgeschichtlichen
Wunderproblematik in der neutestamentli-
chen Zeit.

Benediktbeuern Miguel Rodriguez Ruiz

Sandnes. Karl Olav: Paul - One of the Prophets? A Contribu-
tion to the Apostle's Self-Understanding. Tübingen Mohr
1991. X, 291 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen
zum Neuen Testament, 2. Reihe, 43. Kart. DM 84,-. ISBN 3-
16-145557-6.

Die im Augenblick so akute Frage nach dem theologischen
Verhältnis von Altem und Neuem Testament zueinander ist auch
eine Frage nach dem Selbstverständnis des Paulus als Apostel.
Ist dieses Selbstverständnis alttestamentlich fundiert? Präziser
gefragt: Versteht sich Paulus in der Kontinuität von den alttesta-
mentlichen Propheten her? Genau diese Frage meint der Titel
der hier zu rezensierenden Monographie von Karl Olav Sandnes
(S.): "Paul - One of the Prophets?" Die Antwort, die der Autor
gibt, ist ein klares Ja.

Zunächst die Inhaltsübersicht: Im 1. Teil referiert S. den gegenwartigen
Forschungsstand, sein methodisches Vorgehen und das Prophetenverständnis
zur Zeit des Paulus. Im 2. Teil interpretiert er Gal 1,15.16a. Diese Exegese
ist sozusagen der Eckstein seiner Argumentation. Doch reiche es nicht
aus, diese Aussage isoliert auf die gestellte Frage hin zu untersuchen. Deshalb
interpretiert er im 3, Teil noch folgende Stellen aus dem Corpus Pauli-
num: IKor 2,6-16; lKor9,5-18; 2Kor4,6; Rom 1,1-5; Rom 10,14-18; Rom
11,25-36; IThess 2,3-8 und den deuteropaulinischen Abschnitt Eph 2,19-3,7
(auch S. versteht den Eph als deuteropaulinische Schrift).

Es ist richtig, daß S. mit der für das apostolische Selbstverständnis
des Paulus so essentiellen Aussage Gal 1,15f. einsetzt.
Daß dieser hier mit Worten aus Jes 49,1 (so mit Recht auch S.)
oder/und Jer 1,5 seine Berufung zum Apostel aussagt, ist allgemein
anerkannt. S. gibt sich jedoch damit nicht zufrieden, sondern
fragt, ob Paulus dies nur zufällig, weil ihm die LXX-Worte
vertraut sind, oder bewußt getan habe. In der Auseinandersetzung
mit G. Lyonsi und B. H. Brinsmead2 weist er überzeugend
nach, daß sich Paulus, der sich als xXrfcöc; änöaxoXog versteht,
sein apostolisches Selbstverständnis bewußt mit Worten des
Propheten aussprach. Seine Berufung und sein Apostolat hängen
eng zusammen. Und gerade um diesen Apostolat geht es
Paulus. Er verteidigt ihn, weil man ihm den Vorwurf der
falschen Prophetie gemacht habe. Also habe er zeigen müssen,
daß er ein wahrer Prophet sei, freilich auf einer höheren als der
alttestamentlichen Ebene. Schade ist jedoch, daß S. der rhetorischen
Analyse des Gal durch W. Stengel folgt. Diese halte ich
für falsch.

Ich begrüße, abgesehen natürlich von dem zuletzt genannten
Sachverhalt, die Exegese von Gal l,15f. durch S. Er gelangt,
wenn auch auf etwas anderen Wegen, zu einem ähnlichen Ergebnis
, wie ich es jetzt im Gal-Teil des 2. Bandes meiner Biblischen
Theologie des Neuen Testamentes vorgelegt habe.4 Ich begrüße
ferner, daß S. auch den Kontext von 49,1, vor allem Jes 49,6
berücksichtigt: ibov tedEixd oe elq qpu")c; efrvöjv xov elvai oe elc;
atx>xrQiav etoc; koxäxov xfjg yf)g. Allerdings sollte man die Differenz
des „Zuständigkeitsbereiches" des Paulus und der Propheten
nicht so stark betonen, wie S. es tut (65): "The OT examples
of prophets preaching to the nations (e.g. Isa 49:6, Jer 1:10; Jonah
3:1-10) are not real parallels to the exclusive and underscored
address of Paul's commission to preach the gospel. Hence the
.Zuständigkeitsbereich', even though it forms part of a strueture
typical of call-narratives, is something special to Paul."

Es kann nicht Sinn dieser Rezension ein, jede Einzelexegese
zu referieren oder gar zu beurteilen. Ich greife hier nur noch S.s
Interpretation von IKor 2,6-16 und Rom 11,25-36 heraus.

Zu IKor 2,6-16: S. versteht das uA)0"cr|Qiov von V. 7 mit
Recht als das Evangelium vom gekreuzigten Herrn und folglich
die jr,veuu,cmxoi als alle Christen. Ein Zitat aus der Conclusion
möge seine zutreffende Exegese der Stelle veranschaulichen
(115):

"Paul's wisdom of the cross therefore transcended the different prophetie
revelations of the community-prophets. It was more than normal prophecy.
it was higher or fundamental prophecy. It moved beyond the many mysteries
since it presented the one fundamental mystery... Hence Paul met the
Corinthian Situation with 'the word of the cross' as a norm of criterion on
how to practice prophecy in Corinth."

In innerem Zusammenhang mit dieser Deutung steht auch seine
Interpretation von Rom 11,25-36, wo er das [xuott|qiov von
V. 26 als prophetisches Orakel (175) und in dieser Funktion als
charismatische Reflexion des Alten Testaments versteht (180).
Wie O. Hofius und ich sieht er hier einen Rekurs u.a. auf Jes
45,25 LXX. In diesem Zusammenhang sei auf den Exkurs "Ear-
ly Christian Prophecy and Charismatic Exegesis" (182ff.) aufmerksam
gemacht.

Das "Final Summary" faßt das Ergebnis zusammen. Wenige
Zitate, die der näheren Erläuterung nicht mehr bedürfen, seien
zur Information zitiert (241, 242, 243f.):

"The various mysteries produced by the prophetes in the congregation
were confronted with the fundamental prophetie mystery transcending them
all, namely that of the Pauline gospel about Christ crueified. If this exegesis
is correct, Paul was admonishing and rebuking early Christian prophets in
Corinth on the basis of a crealive usage of his prophetlike apostolic self-
understanding."

"Paul's Status as an apostle was in constant need of defence and legitima-
tion. In the OT, the prophetie commission played an important role in legiti-
mising the mission and message of prophets who funetioned largely. if not
entirely, outside the boundaries of the religious establishment. Paul found
himself in a corresponding Situation, and used this biblical traditions in order
to establish his legitimaey as the ambassador of Christ."

"Paul's gospel was a fulfillment of promises uttered by the OT prophets.
In Rom 1:1-2 we observed that Paul placed the prophets and himself in dif-

1 G. Lyons. Pauline Autobiography. Toward a New Understanding
(SBLDS 73), Atlanta 1985.

2 B. H. Brinsmead. Galatiens. A Response to Opponents (SBLDS 65),
Chico 1982.

' W. Stenger. Biographisches und Idealbiographisches in Gal 1,11-2,17,
in: Kontinuität und Einheit. FS F. Mussner, Freiburg/Basel/Wien 1981, 123-
140.

4 H. Hühner, Biblische Theologie des Neuen Testaments II: Die Theologie
des Paulus und ihre neutestamentliche Wirkungsgeschichtc, Göttingen
1993, 61f.