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Ausgabe:

1993

Spalte:

742-743

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

The gospel of Mark 1993

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

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zweite peroratio. Aus dieser Geschlossenheit zieht M. freilich
nicht die Folgerung, daß es sich in 1,10-4,21 um einen ehemals
selbständigen Brief handelt.

Das korinthische Weisheitsverständnis wird - unter Aufnahme
der Studie von G. Sellin (vgl. die Rez. in ThLZ 113, 1988,
352-354) - auf dem Hintergrund hellenistisch-jüdischer Weisheitsspekulation
verstanden und folgendermaßen charakterisiert:
„Die Auferstehung Christi wird zur Chiffre des noetisch-pneu-
matischen Aufstiegs. Das Kreuz wird zum Paradigma der Ent-
weltlichung. Das im Kerygma festgehaltene Heilsgeschehen ist
letztlich ein exemplarisches Geschehen, dem Singularität bestenfalls
im Sinne typologischer und erkenntnisvermittelnder
Priorität zukommt. Die heilsgeschichtliche und eschatologische
Dimension des Kerygmas geht verloren bzw. wird zum mythologischen
Ausdruck einer ontologisch bzw. protologisch konzipierten
Erlösungslehre" (130).

Die Gruppenbildung innerhalb der korinthischen Gemeinde
sieht M. darin begründet, daß es auf Grund der weisheitlich orientierten
Hermeneutik der christlichen Botschaft durch Apollos
zu einem Konflikt zwischen Apollos- und Paulusanhängern
kam. Zur Apollosgruppe sollen insbesondere besser situierte,
gebildete Gemeindeglieder, die den Weisheitslogos und die
Erkenntnis schätzten, gehört haben, während sich die Paulusgruppe
aus Geringgebildeten, die sich an der Glossolalie begeisterten
, rekrutiert haben soll. Im Zuge solch einer soziologisch
orientierten Aufteilung ist es folgerichtig, wenn M. die in 1, 14.
16 erwähnten, von Paulus getauften und offenbar angesehenen
Personen nicht zur Paulusgruppe rechnet. Dann fragt man sich
jedoch, warum der Apostel in 16,15-18 so nachdrücklich zur
Anerkennung des Stephanas aufruft. Auch scheint mir die Zuweisung
der Glossolalie primär an sozial niedrige Schichten
(Paulusgruppe) nicht gerechtfertigt zu sein. Daß ihr die Gebildeten
mit Skepsis begegneten, entspricht m.W. weder der üblichen
Wertung dieses Phänomens in der Spätantike noch ist dies aus
dem IKor zu entnehmen; wenn der in 3,1 verwendete Ausdruck
„Unmündige" von M. dahingehend interpretiert wird, daß Paulus
einen Vorwurf der Apollosgruppe aufgreife, mit dem die
Glossolalie als Kindersprache charakterisiert werden solle, so
beruht diese Deutung wohl eher auf einer modernen psychologischen
Einschätzung der Zungenrede.

Die Kephasgruppe hat sich nach M. als Reaktion auf die Kontroversen
zwischen Apollos- und Paulusgruppe gebildet und hat
auf konsequenten Bruch mit heidnischen Sitten in bestimmten
Grundsatzfragen (z.B. hinsichtlich des Götzenopferfleisches-
sens) gedrängt. Anstelle der Existenz einer besonderen Christus-
gruppe vermutet M. den Gebrauch der Christusparole in allen
drei Gruppen - vorzugsweise aber in der Paulusgruppe - zur
rivalisierenden „Legitimation des eigenen Anspruchs" (147).

1,14-16 wird „ausschließlich als Exkurs" (157), als ironisierende
Explikation des Gedankens von V. 13c verstanden, so daß
die Gruppenbildung nicht mit der Taufe in Zusammenhang zu
bringen wäre. Offen bleibt dann jedoch, warum Paulus ausgerechnet
zur Taufe einen Exkurs bringt und welche Funktion die
Notiz V. 16 hat.

Ausführlich (180-187) und überzeugend werden die Interpretationsprobleme
von 1,21 diskutiert und - auf dem Hintergrund
von Rom 1,18-3,20 - gelöst mit dem Ergebnis: „Das Neue und
Rettende der Torheit der Verkündigung ist nicht eine andere
Weisheit Gottes, sondern die eschatologische Aufdeckung dessen
, was Gott gegenüber von Anfang an gegolten hat und gilt:
daß nämlich die Weisheit Gottes zu glauben und nicht nach den
Kriterien der eigenen Weisheit zu definieren ist" (186). Die
Auslegung von 2,7 bestätigt dann: „Das Kreuz ist kein zweiter
Heilsweg oder gar eine Notlösung angesichts der gescheiterten
Schöpfungsweisheit Gottes, sondern deren Ziel" (228).

2,6-16 interpretiert M. als Korrektur sowohl des Weisheits-
verständisses der Apollosgruppe als auch der Glossolaliebegei-

sterung der Paulusgruppe; der Apostel zeige, daß Gottes Weisheit
alle menschlichen Weisheitskategorien sprenge, zugleich
aber dem Verstände zugänglich sei. Das Wort „Verstand" ist
jedoch nicht bestimmend in diesem Abschnitt, es begegnet
lediglich im Schlußvers 16 und ist dort durch das alttestamentli-
che Zitat vorgegeben. V. 8, der nicht auf gnostischem Hintergrund
gedeutet, sondern primär auf irdische Machthaber bezogen
wird, exegesiert M. zu Recht in konsequent paulinischer
Weise: „Der Kreuzestod Jesu ist nicht Durchgang zur Herrlichkeit
, sondern deren unverzichtbares Merkmal. Gerade so wird
eine menschliche (Pseudo-)Definition von Herrlichkeit von
Grund auf verhindert und das menschliche Heilsverlangen,
anstatt auf den Irrweg der Selbstverherrlichung, auf den Weg
der von Gott geschenkten Herrlichkeit gelenkt" (231).

Zutreffend wird zu 3,1-4 bemerkt, daß die paulinische Weisheitsverkündigung
grundsätzlich keinen anderen Inhalt hat als
die Anfangspredigt, nämlich den Gekreuzigten, „nun allerdings
in der paradoxen Perspektive, daß eben dieser Gekreuzigte der
Inbegriff der göttlichen Weisheit ist... Diese Paradoxie hatte
Paulus den Korinthern bei seiner ersten Verkündigung noch
nicht zugemutet" (250).- Im Zusammenhang der Auslegung von
4,6-13 wird die Prägung der apostolischen Existenz vom Gekreuzigten
betont. Dieser Aspekt wird auch zu 4,16 für das paulinische
Verständnis der Nachahmung zur Geltung gebracht:
„Nicht, was Paulus von sich aus einzubringen hat: seine vorbildliche
Persönlichkeit oder sein beispielhaftes Tugendstreben,
sondern gerade das, was er nicht aus sich selbst ist: seine vom
Gekreuzigten geprägte Existenz, ist Gegentand der Nachahmung
" (327).

Der gründlich erarbeitete Kommentar zu 1 Kor 1 -4 präsentiert
die Vielfalt exegetischer Bemühungen in eindrucksvoller Geschlossenheit
, die nicht zuletzt durch die eingehende Reflexion
theologisch relevanter Ausssagen des Paulus erreicht wird. Dafür
wird jeder, der dieses Buch zur Hand nimmt, dem Autor
Dank wissen.

Eine abschließende Anfrage richtet sich an den Vf. und zugleich
an die Hgg. der Kommentarreihe: Entspricht die äußere
Gestalt dieser Auslegung noch einem 7a.vc'/jenkommentar? Dem
Vorwort nach soll „das Zuviel und das Zuwenig gleicherweise
vermieden werden" (5). Der Umfang des Teilbandes(!) tendiert
jedoch in die Richtung des „Zuviel". Z.B. werden zu Perikopen-
beginn nach der Übersetzung Literaturlisten geboten, die - in
Petitdruck - wiederholt zwei Seiten und mehr umfassen und
auch sehr entlegene Publikationen enthalten. Ferner sind die
analysierenden Teile häufig sehr breit geraten. Für den avisierten
Leserkreis (Studenten, Lehrer, Pfarrer, interessierte Laien; s.
5) dürfte eine repräsentative Literaturauswahl und eine Straffung
in der Darstellung hilfreicher sein.

Berlin Christian Wolff

Neirynck, F., Verheyden, J„ Segbroeck, F. van, Oyen, G. van,
u. R. Corstjens: The Gospel of Mark. A cumulative Biblio-
graphy 1950-1990. Leuven: University Press; Leuven: Pee-
ters 1992. XIII, 717 S. gr.8Q = Bibliotheca Ephemeridum
Theologicarum Lovaniensium, 102. BEF 5000.-. ISBN 90-
6186-502-6 u. 90-6831-414-9.

Das von der Katholischen Universität Löwen getragene Projekt
einer bibliographischen Erfassung der Literatur zu den
Evangelien hat mit den Werken zu Johannes (E. Malatesta 1965;
G. van Belle 1988) und Lukas (F. van Segebroeck 1973, 1989)
der wissenschaftlichen Arbeit vorzügliche Hilfsinstrumente bereitgestellt
. Nun liegt unter der Verantwortung des Löwener
Neutestamentiers F. Neirynck (dem neben anderen auch die
Mitarbeiter früherer Bände zur Seite standen) ein analog ange-