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Ausgabe:

1993

Spalte:

740-742

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Merklein, Helmut

Titel/Untertitel:

Der erste Brief an die Korinther 1993

Rezensent:

Wolff, Christian

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739

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

740

von Mk 7,1-23 im Blick auf den historischen Jesus zusammen
(23-35); Trümmer führt verschiedenartige semantische, kulturgeschichtliche
und psychologische Erwägungen zum Wortfeld
,Gesetz' vor (37-52); Broer bietet forschungsgeschichtliche
Einsichten (Strauß, Reimarus, Baur, Bousset, Schweitzer, Dibe-
lius; 61-71) sowie einen Überblick zu Sündenvergebung im AT
und Frühjudentum' (79-97). Die Ausführungen von K. Müller
und J. Maier wenden sich zentral dem frühjüdischen Horizont
zu und zeigen, wie fruchtbar dessen Erhellung für die Beurteilung
der historischen Jesus-Frage sein kann.

Der Hg. bewertet die stattgehabte Diskussion mit einem zurückhaltenden
Fazit: „Auf Dauer kann die so unterschiedliche
Bestimmung des Verhältnisses Jesu zum Gesetz nicht bestehen
bleiben, ohne daß die Wissenschaftlichkeit der neutestamentli-
chen Exegese gefährdet wird. Der hier geführte Dialog ist notwendig
und muß weitergeführt werden." (12) Man wird diese
Feststellungen nach der Lektüre des Buches nur bestätigen können
. Eine sinnvolle Weiterführung des Dialogs kann in diesem
Sinne wohl kaum ohne Anstöße einer methodologischen Neubesinnung
möglich sein. Ein Mindestkonsens über die Möglichkeiten
der Rückfrage nach dem historischen Jesus und ihren
theologischen Stellenwert bildet gegenwärtig eines der dringendsten
Desiderata der neutestamentlichen Wissenschaft. Dem
Band ist vor diesem Hintergrund eine impulsgebende Wirkung
zu wünschen.

Naumburg (Saale) Eckart Reinmuth

Hoffmann, Paul: Das Erbe Jesu und die Macht in der Kirche
. Rückbesinnung auf das Neue Testament. Mainz: Grünewald
1991. 155 S. kl.8o = Topos Taschenbücher, 213. Kart.
DM 9,80. ISBN 3-7867-1588-2.

Dies ist ein zorniges, zugleich aber ein streng sachliches
Buch. In ihm artikuliert sich der Zorn eines Theologen, der mit
seiner (römisch-katholischen) Kirche leben will, der aber an
dieser Kirche leidet - an der überheblichen Intoleranz ihrer zen-
tralistischen und bürokratischen Institutionen, an ihrem Bündnis
mit den Mächtigen, an der Hierarchisierung ihrer Strukturen
und der damit verbundenen Entmündigung der Laien. Aber die
zornige Polemik hat stets die Sache im Blick, die der Exeget als
Theologe in seiner Kirche zur Geltung bringen will und die ihn
wider allen Augenschein der gegebenen Verhältnisse Hoffnung
schöpfen läßt: es ist die Sache Jesu und des Neuen Testaments.

Von den fünf Essays, aus denen das Buch besteht, sind vier
bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden. Nur der erste
und wohl auch inhaltlich wichtigste („Das gefährliche und
gefährdete Erbe des Jesus von Nazaret") ist ein Originalbeitrag
und hat eine bezeichnende Vorgeschichte: die ursprüngliche
Vorlage war als Entwurf für den Artikel „Lehrtätigkeit Jesu" in
einem Marienlexikon vorgesehen, wurde jedoch von dessen
Herausgebern zurückgewiesen. Hoffmann betont hier die Notwendigkeit
der Bindung an den historischen Jesus. Nur in ihr
„kann die Konkretheit der christlichen Erlösungsbotschaft erhalten
bleiben" (15). Jesus war der profetische Urheber eines
charismatischen Aufbruchs; er hat Gottes gegenwärtige Herrschaft
unbedingter Güte proklamiert und in seinem Handeln die
Option Gottes für die von der Gesellschaft an den Rand Gedrängten
demonstriert; er hat eine neue, von Freiheit geprägte
Gottesbeziehung ermöglicht, in der zugleich eine neue Beziehung
zum Mitmenschen grundgelegt ist, und er hat in alledem
den Weg zu einer von Grund auf erneuerten menschlichen
Gesellschaft erschlossen. Freilich - die Rezeptionsgeschichte
Jesu ist gebrochen, durch vielfältige Fremdeinflüsse überlagert
und korrumpiert. Deshalb helfen uns auch „die zahllosen Namen
, die ihm verliehen wurden" und die „für viele zu leeren

Worthülsen geworden sind", nicht weiter (38). Es gilt deshalb
heute, erneut „Spurensuche" zu treiben und über alles Trennende
hinweg den Sprung in die Vergangenheit zu wagen, „wenn
wir jenen kritischen Augenblick erfassen wollen, in dem das
Rettende wie ein Blitz aufleuchtet" (ebd.).

Die übrigen Essays wenden sich vorwiegend dem Bruch in
der Rezeptionsgeschichte Jesu zu und stellen Überlegungen zu
seiner möglichen Überwindung an. H. lokalisiert, sicher zu
Recht, den Bruch in der Herausbildung einer hierarchischen
Ämterstruktur im 2. Jh. Zumindest vorbereitet will er ihn, in
einer m.E. vielleicht etwas überscharf kritischen Sicht, in der
Ämterordnung der Pastoralbriefe finden. Die damals verdrängte
Alternative einer an Jesus anschließenden freien personal-charismatischen
Bewegung kann durch historische Forschung wieder
freigelegt werden. Aber entscheidend ist, daß es nicht dabei
bleibt, sondern daß diese Alternative von der heutigen Kirche
als konkrete Lebensmöglichkeit wiedergewonnen wird. Das
konkrete biblische Modell, das hier eine Leitbildfunktion ausüben
könnte, ist durch Paulus vorgegeben. Zwar können wir
heute nicht mehr die paulinischen Gemeindeverhältnisse imitieren
. Aber die konstitutiven Elemente des paulinischen Konzepts
, die Vorordnung des Charismas gegenüber dem Amt und
die gleichberechtige, freiheitliche Teilhabe aller am gemeindlichen
Leben, lassen sich auch in einer modernen Großkirche
verwirklichen. Darin, daß dies geschieht, sieht H. die Chance
der Christenheit dafür, „den Herausforderungen der neuzeitlichen
Freiheitsgeschichte eine gültige christliche Antwort" entgegenzusetzen
(78).

Erlangen Jürgen Roloff

Merklein, Helmut: Der erste Brief an die Korinther. Kapitel
1-4. Gütersloh: Mohn; Würzburg: Echter 1992. 335 S. 8<> =
GTB, 511. Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen
Testament 7/1. Kart. DM 44,-. ISBN 3-579-00511-1.

Von den neueren Kommentaren zum 1 Kor unterscheidet sich
diese Auslegung durch die konsequente und ausführliche Berücksichtigung
der Linguistik, die jedoch nicht monoman, sondern
in harmonischer Einheit mit der bewährten historisch-kritischen
Methode angewendet wird. M. bietet in dem ersten Teilband
neben der Behandlung der Einleitungsfragen die Exegese
der Kapitel 1 bis 4 des IKor und stellt in Aussicht, „daß der
zweite Teilband, der die Kapitel 5 bis 16 umfassen soll, wesentlich
kompakter ausfallen wird" (12).

Einleitend wird das religiöse und sittliche Milieu Korinths
um die Mitte des ersten nachchristlichen Jh.s beschrieben und
die Sozialstruktur der korinthischen Gemeinde untersucht (mit
dem Ergebnis: keine Mittelstandsgemeinde, sondern „mehrheitlich
... Menschen der unteren und untersten sozialen Schicht"
[413]), ferner werden literarische Aspekte erörtert (die Einheitlichkeit
wird erneut - vgl. ZNW 75, 1984, 153-183 - und gut
begründet verteidigt) sowie Ort und Zeit (Anfang 54 bzw. 55)
des 1 Kor bestimmt und die Entwicklung der Korrespondenz mit
der korinthischen Gemeinde nachgezeichnet.

Die Auslegung der einzelnen Perikopen ist jeweils in drei
Abschnitte unterteilt, in denen 1. textkritische und Übersetzungsprobleme
bedacht werden, 2. der Text unter syntaktischem
, semantischem und pragmatischem Aspekt analysiert
wird und 3. die versweise Detailerklärung erfolgt. Des öfteren
sind informative Exkurse eingearbeitet.

In 1,10-4,21 wird - im Anschluß an M. Bünker (vgl. die Rez.
in ThLZ 109, 1984, 890-892 [A. Lindemann]) - die Abfolge der
klassischen antiken Rede erkannt: 1,10-17 exordium, 1,18-2,16
narratio, 3,1-4 Übergang zur argumentatio, 3,5-17 argumenta-
tio, 3,18-21 peroratio, 4,1-5 Übergang, 4,6-13 refutatio, 4,14-21