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Ausgabe:

1993

Spalte:

735-737

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Reimer, Haroldo

Titel/Untertitel:

Richtet auf das Recht! 1993

Rezensent:

Naumann, Thomas

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735

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

736

Meer, 1977; Y. T. Radday, An analytical... concordance, 1985;
W. H. Schmidt, Exodus, Sinai und Mose, 1983).

Abgesehen von kritischen Anfragen zu jeder These in den
einzelnen Kapiteln reichen die Ausführungen grundsätzlich
nicht aus, um einen wissenschaftlich interessierten Leser zu
überzeugen, daß ein Motiv mythisch gedeutet werden muß. Das
gilt besonders für die eindeutig von der Überlieferung im Raum
der Geschichte angesiedelten Traditionen Altisraels. Das Vorkommen
eines Motivs in der ugaritischen oder babylonischen
Literatur ist kein Grund, die gleiche Funktion (ob kultisch,
semantisch etc.) in atl. Texten anzunehmen. Allmählich sollten
doch diese Irrwege der Patternforschung überwunden sein.

Außerdem wird, z.B. bei Ps 81, festgestellt, daß ein Motiv
auf drei Ebenen erscheint, aber es bleibt offen, welche Verbindungen
zwischen den Ebenen bestehen und wieso ein Motiv
gleichzeitig in verschiedenen Bedeutungen auftreten kann. Das
Fehlen einer sachgerechten semantischen Motivanalyse ist nicht
zu übersehen. Ein an der historisch-kritischen Forschung geschulter
Leser atl. Texte wird diese Publikation interessiert lesen
, aber mehr wegen der Fragen, die sie aufwirft, als wegen
der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sie vermittelt.

Leipzig Hans Seidel

Reimer, Haroldo: Richtet auf das Recht! Studien zur Botschaft
des Arnos. Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1992. 256 S. 8»
= Stuttgarter Bibelstudien, 149. Kart. DM 49,80. ISBN 3-
460-04491-8.

Die Ankündigung des totalen Gerichts über ganz Israel durch
den Propheten Arnos steht im Zentrum der deutschsprachigen
Amosexegese. Ihr hermeneutischer Schlüssel: „,Das Ende ist
gekommen für mein Volk Israel' (8,2). Alles was sonst über
Israels Zukunft von Arnos gesagt wird, legt diesen härtesten
Satz aus", schreibt etwa H. W. Wolff in seinem einflußreichen
Kommentar (BK. AT, 124).

Gilt dieses Gericht unterschiedslos dem ganzen Volk Israel,
den Herrschaftseliten Samarias wie den von ihr unterdrückten
Armen? Wird die tiefe gesellschaftliche Kluft, in welche die
Amosbotschaft hineinführt und in der Gott immer wieder für
das Recht der wirtschaftlich Bedrängten eintritt, dadurch „überwunden
", daß dieser Gott gleichermaßen Unterdrücker wie die
unter ihnen leidenden Opfer mit dem Tod bedroht? Was wäre
das für ein Gott? Was hätte ein solches Gericht mit Gerechtigkeit
zu tun?

Lassen sich die Adressaten der Unheilsbotschaft des Arnos
soziologisch näher bestimmen? Dies ist die Ausgangsfrage der
hier zu besprechenden Studie, einer überarbeiteten und gekürzten
Dissertation, verteidigt 1990 bei F. Crüsemann in Bethel.
Ihr Vf. Haroldo Reimer, Brasilianer und Schüler von Milton
Schwantes, ist seit 1991 Pastor in der „Communidade Evangeli-
ca Luterana do Rio de Janeiro". Anlaß und Inspiration zur Bearbeitung
dieses Themas ist ihm die südamerikanische, befreiungstheologische
Hermeneutik der Amosprophetie, in der
soziale Identifikation der jeweils in einem Text genannten Personen
oder Gruppen immer schon unternommen wurden.

Daß eine solche Differenzierung der Adressaten in den Gerichtsworten
des Arnos kein leichtes Unterfangen ist, weiß R.,
denn diese erscheinen oft nur in Pronominalendungen oder
unter plakativen Bezeichnungen wie „Bet-El", „Israel", „Haus
Israel", „Jakob" oder „Joseph". Den methodischen Zugang sieht
er daher in der genauen sozialgeschichtlichen Analyse der
Handlungen, die mit den genannten oder auch nicht genannten
Adressaten in einem Text jeweils verbunden werden. Von solchen
Handlungsmustern sucht er dann auf eine soziologisch differenzierte
Bestimmung der jeweils angesprochenen Gruppen

zurückzuschließen, um so „mindestens versuchsweise die Vorstellung
aufzubrechen", daß die Gerichtsworte „stets gegen das
Volksganze gerichtet sind." (26) Welche Gruppen z.B. die
Erwähnung „Israel" jeweils meint, darf nicht durch den Begriff
allein vorgegeben werden, sondern ist aus den immanenten Relationen
des konkreten Textes zu erschließen. (58)

Nach einer methodischen und forschungsgeschichtlichen
Einführung ist der Hauptteil des Buches (28-214) einer eingehenden
Analyse der folgenden Textkomplexe gewidmet: den
Völkersprüchen 1,3-2,16* (28-73); den Sprüchen in 3,9- 4,3*
(74-95) und 5,2-6,14* (96-159) sowie dem Visionszyklus 7,1-
9,4* (160-214).

Die Ergebnisse der profunden Diskussion der Einzelbelege
seien hier grob zitiert: „Die Unheilsankündigungen des Arnos
sind sozial- und schichtenspezifisch ausgerichtet, sie betreffen
nicht das Volksganze." Vom Gericht in der einen oder anderen
Weise betroffen sind „das Militär (2,13-16; 5,2-3 u. 6,13-14),
die repräsentativen Bauten und Verteidigungsanlagen des Reiches
(3,11.15; 6,8.11), die herrschenden Personen in der Hauptstadt
(3,12; 4,1-3; 6,7; 7,9b; 8,1-3), die Hauptstadt selbst (6,11),
die an den Staatsheiligtümern amtierenden Heilspropheten und
Priester (5,18ff. 21 ff. 27; 9,1 ff.; vgl. noch 5,5) und die reichen
Israeliten im Volk in allen befestigten Städten und Ortschaften
(5,1 Off. 16-17)." (229) Im Gericht bestehen bleibt ein Volk ohne
Militär, ohne administrative Herrschaft, ohne Hauptstadt, ohne
amtierendes Personal an den staatlich kontrollierten Heiligtümern
, ein Volk ohne Ausbeutungsschicht. Indem die Verursacher
der Mißstände entfernt werden, klingt in der Gerichtsbotschaft
des Arnos - auch wenn es nur indirekt erschlossen werden
kann - das Projekt einer „akephalen (Re)Organisation der
gesellschaftlichen Verhältnisse an". (231)

An diesen Hauptteil des Buches schließt sich eine Beschreibung
der beiden frühesten literarischen Spruchkompositioncn
der Amosworte (1-6*,7-9*) an, die für R. Arbeitsgrundlage
und „Ausgangspunkt für die Erschließung der Amosbotschaft
" (221) sind, die in einer Entstehungsskizze des Prophetenbuches
mündet. (215-225)

Im Rahmen der „Zusammenfassung und Perspektiven" (216-
240) findet sich ein Exkurs zur Gesellschaftsform Nordisraels
im 8. Jh. Nach R. ist es notwendig, das Modell der „antiken
Gesellschaft" (H. G. Kippenberg) in das der „tributären Gesellschaft
" (C. Dreher, M. Schwantes) zu integrieren, um der Komplexität
der durch die Amosbotschaft hindurch sichtbaren
gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht zu werden (235-240).

Es ist dem Vf. zu danken, daß er m.W. erstmals detailliert
den Versuch einer sozialgeschichtlichen Differenzierung der
Adressaten der Gerichtsverkündigung des Arnos unternommen
hat. Darin hat das Buch programmatischen, die weitere Forschung
in Gang setzenden Charakter. (Eine knappe Skizze zu
dieser Frage hat unlängst E. Zenger - unabhängig von R. - in
der FS J. B. Metz 1988 veröffentlicht.) Seine Hauptthese hat R.
überzeugend durchgeführt, und alle künftige, besonders die
deutsche Amosforschung wird sich mit dieser klugen und kompetent
argumentierenden Studie auseinandersetzen müssen,
deren großer Vorzug darin besteht, daß die Gerichtsdrohung im
Kontext der gesellschaftlichen Kritik des Arnos verstanden
wird: „Das Kennzeichen der Botschaft des Arnos ist: Gericht
und Gerechtigkeit." (234)

Ob im einzelnen in der oft mit hohen Risiken belasteten
Detaildiskussion immer das wahrscheinliche getroffen ist, wäre
andernorts zu diskutieren.

Mit der deutschen Forschung (H. W. Wolff u.a.), gegen die
sich der Vf. regelmäßig wendet, hat indes R. dies gemeinsam,
daß auch er mit einem unerbittlichen „Nein" des Arnos rechnet,
nur daß dieses unaufschiebbare, keine Chance zur Umkehr
gewährende Gericht, allein die unterdrückerische Oberschicht
betrifft. (233) Wem gilt aber dann die Mahnung, das Gute zu