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Ausgabe:

1993

Spalte:

46-48

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Peschke, Erhard

Titel/Untertitel:

Die frühen Katechismuspredigten August Hermann Franckes 1693 - 1695 1993

Rezensent:

Wallmann, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 1

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die Summe des Evangeliums, die ich in verschiedenen, im folgenden
niedergelegten Predigten auf verschiedene Weise ausgelegt
habe" (p II. I, fol. 21r). NvK ist sich bewußt, in seinem
Predigtwerk eine Entwicklung durchlaufen zu haben (50).

Im 2. Kap. werden die „Grundlagen der cusanischen Verkündigung
" untersucht (52-98). Richtig hebt Vf. hervor, daß NvK
nach seiner Erkenntnis der docta ignorantia den Quellen nicht
mehr rezipierend gegenüber steht, sondern diese an seiner Lehre
mißt (nach J. Koch). Er weiß, daß es keinen Gottesnamen
gibt, der sein Wesen adaequat trifft (52f.). Trotzdem ist er zeitlebens
auf der Suche nach dem geeignetsten. Ebenso ist er auf
der Suche, mit Hilfe der „manuduetio" „zu einer intellektualen
Schau der Koinzidenz aller Symbole" zu kommen (62f.). Wichtig
ist NvK der Begriff des „Glaubens Christi" in seinem ganzen
Predigtwerk. Der „in der Liebe vollendete Glaube" eint die
Menschen so mit Christus, daß sie am größten Glauben Christi
teilhaben (70-72). Das ist nicht mehr die scholastische fides ca-
ritate formata! Das hätte der Vf. deutlicher herausarbeiten können
. Der reale Inhalt des Glaubens der Menschen ist Christus,
sein Glaube wird mit Christi Glaube eins, sie koinzidieren (76).

Daß der Vf. in der moselfränkisch überlieferten Vaterunser-
Erklärung das ein/ige Werk sieht, „das den Versuch macht, das
Gesamt des christlichen Glaubens im Zusammenhang zu behandeln
" (86), überrascht. Der Rez. sieht das viel eher in De docta
ignorantia, diese Schrift ist schon so etwas wie eine Summe.
Der Vf. hat ein gewisses Vorurteil gegen eine systematische
Theologie.

Im 3. Kap. behandelt er „Eine didaktische Entwicklung in der
cusanischen Glaubensvermittlung: Von der 'dreifachen Geburt'
zur .geistlichen Geburt' Christi" (99-128). Er untersucht Predigten
von 1440 bis 1444, die soeben ediert worden sind (h XVI/4,
XVII/2) und die er im Anhang übersetzt (162-235). NvK
bemüht sich in diesen Weihnachtspredigten um den sensus spi-
ritualis. der mit dem landläufigen Verständnis von Allegorie
wenig gemein hat. Die Krippe verkörpert für NvK die „Leib-
lichkeit des Menschen, die für die .Liebe der erleuchteten Seele
' das ,Gefäß' oder ,Kleid' darstellt" (124), ein Gedanke, der
luth. Theologie nicht fremd ist (vgl. EKG 28, 9). In den besprochenen
Predigten verschiebt NvK den Schwerpunkt seiner Betrachtung
von der ewigen und zeitlichen auf die geistliche Geburt
Christi in uns (128).

Im 4. Kap. legt der Vf. „Grundlinien der cusanischen Konzeption
der Glaubensvermittlung" dar (129-152). Das Wort Gottes
setzt sich für NvK in der Predigt Jesu und in den Sakramenten
fort. Nur in der Nachfolge Christi läßt sich „Christum evange-
lizare" (133, 140). Er sieht zwischen dem verkündigten Wort,
den Predigern und den Hörern eine wechselseitige Beziehung.
Grundlegend und tragend dabei ist Christus als das Wort, in
dem sich Gott selbst offenbart (150).

Im ..Schluß: Den Glauben Christi teilen - heute und morgen.
Ergebnisse der Untersuchung" (153-160) hebt der Vf. hervor,
daß NvK sich wie kein anderer Theologe und Prediger seiner
Zeit mit der Frage beschäftigt hat, wie der unbegreifliche Gott
trotz seiner Unbegreiflichkeit zu denken und der Unsagbare
trotz seiner Unsagbarkeit auszusagen ist. Auf die Frage, wie

Christus inhaltlich zu verkündigen sei. antwortet NvK: .....daß

wir ihn durch die Tür der Menschlichkeit verkündigen müssen",
also auf dem Wege einer Christologie von unten.

NvK kann uns heute, 500 Jahre später, sicher helfen, auch
dem modernen Menschen das Evangelium nahe zu bringen,
..Christum evangelizare". Der Vf. hat das gut herausgearbeitet
und uns dafür eine Hilfe in die Hand gegeben.

Auf einige Einzelheiten sei noch hingewiesen: Der Aufsatz
von J. Stallmach, Der „Zusammenfall der Gegensätze" und der
unendliche Gott, ist nicht 1957. sondern 1979 erschienen (26,
Anm. 36; 244 u.ö.). „De visione Dei" ist noch nicht in der Heidelberger
Ausgabe ediert (zu 236). Gerade in dieser Schrift geht
NvK auf die theologia mystica ein (26). Warum zitiert der Vf.
„De deo abscondito" nach einem Aufsatz? Die Edition liegt
ebenso vor wie eine gute Übersetzung (48).

Daß der Vf. „simplicitas" auf Grund der Vaterunser-Erklärung
mit „Einfaltigkeit" übersetzt, ist überzeugend (58).

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Peschke, Erhard: Die frühen Katechimuspredigten August
Hermann Franckes 1693-1695. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1992. 235 S. gr.8° = Arbeiten zur Geschichte des
Pietismus, 28. geb. DM 80,-. ISBN 3-525-55812-0.

Die 1965 gegründete „Historische Kommission zur Erforschung
des Pietismus" plante Editionen der Schriften der Hauptvertreter
des Pietismus im 17. und 18. Jahrhundert: voran Philipp
Jakob Spener, Augusi Hermann Francke und Nikolaus Ludwig
Graf von Zinzendorf. Sie hat mit ihren Plänen bisher wenig
Glück gehabt. Das „Flaggschiff" der Pietismus-Kommission, die
von Kurt Aland vorbereitete historisch-kritische Ausgabe der
Werke Speners. kann heute als gekentert angesehen werden.
Nachdem Martin Schmidt schon 1974 über „die Bummelei mit
der Spenerausgabe" klagte, hat inzwischen das schnelle Voranschreiten
der von Erich Beyreuther besorgten Reprintausgabe der
Werke Speners im Olmsverlag das Unternehmen einer erneuten
kritischen Ausgabe derselben Werke forschungsökonomisch
unsinnig gemacht. Die historisch-kritische Zinzendorfausgabe
scheint durch die Konkurrenz der weit vorangetriebenen Zinzen-
dorf-Reprintausgabe im Olmsverlag ähnlich gefährdet zu sein.
Doch ist hier innerhalb der Pietismus- Kommission ein Alternativkonzept
entwickelt worden, das, da hauptsächlich auf handschriftliches
Material zrückgehend, sich neben der auf Wiedergabe
der alten Drucke beschränkten Reprintausgabe durchaus behaupten
kann.

Einzig mit der Ausgabe der Werke August Hermann Franckes
ist es glücklich vorangegangen. Keine Reprintausgabe macht
hier lästige Konkurrenz. In Halle hat man ruhig und stetig arbei
ten können. Nach dem Vorlauf der „Werke in Auswahl" (Berlin
1969), die einen informativen Querschnitt durch das li-terarische
Werk August Hermann Franckes bieten, liegen von der vorerst
auf zehn Bände veranschlagten kritischen Werkausgabe inzwischen
drei gewichtige Bände vor: ein Band „Streitschriften",
zwei Bände „Predigten" (bespr. in: ThLZ 107, 1982, 539f; 113,
1988, 761 f: 115, 1990, 283f). Zwei Bände „Hermeneutische
Schriften" sind druckfertig und werden hoffentlich die nötigen
Druckkostenzuschüsse erhalten. Weitere Bände sind in Vorbereitung
. Es ist ein Glücksfall, daß zu dem Zeitpunkt, da durch die
Aufhebung der deutschen Teilung das nach dem 2. Weltkrieg
einseitig auf den westdeutschen Raum verlagerte Forschungsinteresse
sich wieder stärker dem für den Pietismus zentralen mitteldeutschen
Raum zuwenden wird, sich überdies in Halle a. S.
ein „Europäisches Zentrum für Aufklärungs- und Pietismusforschung
" gebildet hat, eine Ausgabe der Werke und Schriften
August Hermann Franckes in einem weit fortgeschrittenen Stadium
vorliegt. Zu verdanken ist dies der unermüdlichen Schaffenskraft
des emeritierten Hallenser Kirchenhistorikers Erhard Peschke
, der als Herausgeber sämtlicher bisher erschienenen Bände
fungiert, aber auch der Mitarbeit Friedrich de Boors und anderer
Hallenser Kirchenhistoriker.

August Hermann Francke hat kurz vor seinem Tod als letzten
seiner Predigtbände „Katechismuspredigten" (1726) herausgegeben
. Die frühen Katechismuspredigten, um die es in der vorliegenden
Veröffentlichung geht, stammen aus den ersten Hallenser
Jahren. Sie sind noch vor Gründung des Waisenhauses in