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Ausgabe:

1993

Spalte:

674-675

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wizisla, Claus-Jürgen

Titel/Untertitel:

Schwierigkeiten mit der Ehe? 1993

Rezensent:

Beyer, Franz-Heinrich

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673

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

674

sorgerliche Aufgabe der Kirche" - nach Luther „ihre wesentliche
Aufgabe" - liegt „in der Thematisierung dieser Spannung /wischen
Intimität und Autorität". Schließlich: In der genannten
Zuordnung von Intimität und Autorität wird „ein spezifisches, in
der Reformationszeit historisch neues Lebensgefühl seelsorgerlich
bearbeitet: nämlich die Individuierungs- und Lebensprobleme
des Mannes in der bürgerlichen Lebenswelt einer entstehenden
bürgerlichen Gesellschaft" (7). - Die Frage drängt sich auf:
Geht es nicht nach Luther stets und primär um das Zustandekommen
der erstgenannten „Intimitätserfahrung" selbst - also um den
Glauben (somit um Freiheit, Urteils- und Handlungsfähigkeit des
„Christenmenschen"!) als A und O christlicher Seelsorge'?

Die Begriffe „Intimität" und ..Autorität" samt allem, was der Vf. ihnen
sozial psychologisch zuordnet, hilden das universal verwendete und in zahlreichen
Varianten gehandhabte Instrumentarium für die Lutherinterpretation
. Darüber geraten zentrale Topoi der lutherschen Theologie - insbesondere
die nirgends gesichtete kategoriale Unterschiedenheit und Gleichzeitigkeit
des Existierens der Menschen „coram deo" und „coram hominibus" -
aus dem Blick. Das Menschsein erscheint als innerweltlich-"lebensweltlich"
total determiniert durch die Spannung von Intimität und Autorität. Dabei
vertritt das unter dem Begriff „Intimität" Versammelte in der Sicht des Vf.s
offenkundig ein überwiegend positiv zu wertendes (von Luther allerdings It.
Vf. stark beargwöhntes und ausgegrenztes) Ensemble: Erfahrung von Intimität
und Nähe, insbesondere der Bereich des Erotisch-Sexuellen mit „Verschmelzungssehnsucht
", das Mutter-Kind-Verhältnis der vorgeburtlichen
und frühkindlichen Phase samt „ozeanischem Glücksgefühl", der der Erau
autoritativ zugewiesene Intimitätsbereiche des „Hauses" (bzw. enger: der
Familie), ..volkskulturelle" Traditionen - und religiös die (It. Lutherdeutung
des Vf.s) qua Intimität/Verschmelzung gefährliche mystische Vereinigung
der Seele mit Gott. Diesem allen tritt „Autorität" in distanzierender und sozial
ausgrenzender Eunktion entgegen. „Dimensionen" des von Luther via
„Autorität" ausgegrenzten „Außen" sind: „ungebändigte Antriebe von
Jugendlichen". ..sexuelle Attraktivität der Frau", „frühkapitalistische Ökonomie
" (177).

Als äußerst ergiebig für das Interpretationsinteresse des Vf.s
erweist sich die Hohelied-Vorlesung 1530/31, in der Luther den
Staat (statt traditionell das Gott-Seele-Verhältnis) thematisiert.
Hier wird es sozusagen ganz schlimm: der Staat wird durch
„weiblich-mütterliche Attribute" „erotisiert" und entwickelt
zugleich via „Bedrohungsphantasie" „aggressives Verhalten"
(ans der Wendung „fortis in bello" herausgelesen) incl. der Aufforderung
, expansiv auch ..andere Gemeinwesen zu domestizieren
" (1981 f. 203. 207). Wer einige Kenntnisse über Luthers
„politische" Theologie und Praxis besitzt, reibt sich verwundert
die Augen.

Der im Duktus des eben Skizzierten leicht aus dem Blick
geratende Topos „Seelsorge" stellt sich im letzten Drittel des
Buches vor allem im Zusammenhang mit „Sozialtechnologie"
ein. Dieser Begriff steht für die „Interpretationshypothese", daß
Lutherauf die seinerseits „unverstandene Lebenswelt der volkskulturellen
Unterschichten im Sinne von Kontrolle und Modifikation
Einfluß nimmt" (253). Das hat offensichtlich innerhalb
des besagten „Zivilisationsprozesses" auch sein Gutes, da die
„sozialtechnologische Durchsetzung einer .Ordnung'" eine
„seelsorgerliche Qualität gewinnen kann", indem sie „Verhaltenssicherheit
" schafft „durch ein Angebot neuer Rollendefinitionen
... in einer Lage, die für große Menschengruppen eine
extreme Verhaltenstinsicherheit mit sich bringt" (273).

Unter den Stichworten „Selbstbeobachtung", „Selbstkontrolle
". ..soziale Kontrolle" erfährt u.a. das Libido-Problem eine
breite Behandlung. Bei einem diesbezüglichen Vergleich zwischen
Luther und Ignatius von Loyola kommt fast unerwartet
ursprünglich „Lutherisches" zu Gehör („Entkrampfung" im
Selbstverhältnis des Subjekts wie auch im sozialen und Gottesverhältnis
; 312f).

Wenn Ignatius eine „dezidiert männliche Seelsorge" attestiert
wird (308). so scheint das Gleiche für Luther doch nur in irgendwie
erträglicherer form zu gelten, und man erfährt auch, daß
Intimität der Beziehung zwischen Eheleuten nach Luther den
„Herrschaltscharaklcr" der Mann-Frau-Bcziehung „unterlaufen"

müsse (353): versteckte Hinweise auf die unentdeckt gebliebene
Dimension von „Intimität" im geistig-geistlichen Sinne -
als das Wort-Geist-Verstehen und Einssein, mit dem „Autorität"
ihre Funktion als Gegeninstanz verliert (bei Luther im Zusammenhang
mit „Glauben" vielfältig thematisiert, mit dem Beispiel
von innerster Gewißheit und fröhlicher Spontaneität zwischen
Mann und Frau, aber auch - statt Autoritäts-Zwang - im
„Fühlen" der Wahrheit des „Gesetzes"; WA 6, 207; 39/1, 406).

Aber hier mögliche Einsichten werden nicht vollzogen. Dominierend
bleibt das die gesamte Darstellung leitende Theorien-
konstrukt. Das zeigt sich auch wieder am Schluß in einer Auseinandersetzung
mit Jüngels Interpretation des Lutherschen
Freiheitstraktats.

Berlin Rudolf Mau

Wizisla, Claus-Jürgen: Schwierigkeiten mit der Ehe? Für Liebende
, die nach der Ehe fragen, und für Verheiratete, die nach
der Liebe fragen. Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1991. 108 S.
80. DM 12,80. ISBN 3-374-01384-8.

„Lassen wir uns nun von den Beraterinnen und Beratern sagen
, wie sie ihre Tätigkeit verstehen... Sie machen uns das
Angebot, unsere Gesprächspartner zu sein, uns zuzuhören, unsere
Situation zu verstehen und die Zusammenhänge zu entwirren
." (971.) Diese Passage aus dem Schlußkapitel kennzeichnet
die Intention des vorliegenden Buches treffender als der Untertitel
auf dem Titelblatt. Dem gut lesbaren Buch spürt man ab. daß
der Autor souverän aus einem großen Fundus von Theorie und
Praxis der seelsorgerlichen Beratung, insbesondere der Eheberatung
schöpft. Der Text ist flüssig geschrieben und kommt ohne
Anmerkungen aus. Gegliedert ist das Buch in sechs Abschnitte:
Die Krise der Ehe: Die Phasen der Ehe; Die Struktur der Ehe;
Rollen in der Ehe; Leitlinien für die Ehe; Konflikte in der Ehe.

Das Stichwort Krise weist auf die gesellschaftliche Bedingtheil
der Institution Ehe hin. Die Veränderungen des soziologischen -
auch des ökonomischen - Umfeldes bedingen jeweils eine veränderte
Auffassung von Ehe, aber auch veränderte Ansprüche an die
Ausgestaltung der Ehe-Beziehung. In der jüngeren Vergangenheit
kam als zusätzliche Herausforderung die Form der „nichtehelichen
Lebensgemeinschaft" hinzu. Zu beiden Faktoren gibt es in
dem Buch instruktive Gegenüberstellungen.

Die Abschnitte zu den Phasen und zu der Struktur der Ehe
sowie zu den Rollen in der Ehe erscheinen ausgewogen, ja förmlich
weisheitlich geprägt - bis in den Duktus der Darstellung
hinein. Der Problemhorizont wird jeweils kenntnisreich abgeschritten
und einsichtig gegliedert. Die sympathische Darstellung
gibt aber kaum Raum und Veranlassung wahrzunehmen,
daß gerade in diesen Feldern tiefe Krisen und Entfremdungen in
der Ehe ihren Ort haben. Die Konflikte werden zwar gesehen,
aber sie erscheinen gleichsam aufgehoben auf der höheren Ebene
der Einsicht.

Kontrapunktartig dazu erscheint in dem folgenden Kapitel
..Leitlinien für die Ehe" der Begriff Freiheit, der jedem Untertitel
vorangestellt ist: Freiheit und Partnerschaft; Freiheit und Gemeinschaft
; Freiheit und Ordnung; Freiheit und Verantwortung.
Der Autor geht hier in jedem Abschnitt von einschlägigen biblischen
Perikopen aus, um dann einzelne theologische wie ethische
Aspekte der Ehe bzw. des Zusammenlebens in der Ehe zu
beschreiben. Dabei wird der Freiheitsbegriff kaum gebraucht.
Sein Verständnis ist theologisch definiert: „Aus freier Liebe ruft
uns Gott in die Freiheit zur Liebe." (74; Die Assoziation zu Freiheit
im Sinne der f rage, ob die Ehe eher Freiheit oder Unfreiheit
für einen Partner bewirkt, wird implizit an anderer Stelle angesprochen
, wäre aber durchaus auch explizit zu erörtern.) In der