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Ausgabe:

1993

Spalte:

665-666

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Löhe, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Abendmahlspredigten (1866) 1993

Rezensent:

Wiesemann, Günter

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665

Theologische Literaturzeitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

666

letische Diskussion eingeführten Begriff der „homiletischen
Situation'" in die übergreifende Kontinuität der Wort-Goltes-
Theologie einzustellen. So zeigt H. im ersten Teil seiner Arbeit
vor allem dies, daß es - entgegen landläufigen Annahmen -
auch der von der Wort-Gottes-Theologie durchprägten Homiletik
um eine die Wirklichkeit des Hörers erschließende Predigt
gegangen ist. Es sollte diese Wirklichkeit nur ganz und gar nach
Maßgabe der dem christlichen Glauben eigenen kategorialen
Verfassung gedeutet sein.

Nimmt man die beiden Teilergebnisse der vorliegenden Untersuchung
zusammen, so ergibt sich, daß E. Lange mit dem
Begriff der „homiletischen Situation'" deshalb ein zentrales
„Predigtproblem" benannt hat, weil er gesehen hat, daß es in
dieser „Situation" durchaus differente Wirklichkeitsperspektiven
zu vermitteln gilt. Darauf macht H. denn auch in seinem,
den ..systematischen Ertrag" erfassenden Schlußkapitel (273-
298) aufmerksam. Ist das Wirklichkeitsverständnis des christlichen
Glaubens in seiner Besonderheit wahrgenommen (was bei
E. Lange der Fall ist), dann stehen die kirchlichen Kommunikationsanstrengungen
zugleich unter der gesteigerten Anforderung
, daß Besondere des christlichen Glaubens unter den Bedingungen
des gesellschaftlich allgemeinen, in sich selber höchst
diHerenten Wirklichkeitsverständnisses zur Geltung zu bringen.
Zur pastoralen Berufserfahrung des Predigers gehört es nun insbesondere
, um die von ihm erwarteten Vermittlungsanstrengun-
gen zu wissen.

Dazu, wie diese Vermittlungsleistungen zu erbringen sind,
wächst dem Prediger aus derjenigen homiletischen Theorietradition
, auf deren Untersuchung sich die vorliegende Arbeit leider
beschränkt, freilich kaum nennenswerte Hilfe zu. Das macht
denn auch die Bescheidenheit des „systematischen Ertrags" vorliegender
Untersuchung aus. Ihr dürftiges Ergebnis kann für die
gegenwärtige Homiletik vielleicht aber auch eine weitere Ermutigung
bedeuten, sich vom Paradigma der Wort-Gottes-Theologie
entschlossener als bisher zu verabschieden und sich - in der
Aufnahme neuprotestantischer Theorietraditionen um eine die
natürliche Theologie rehabilitierende, das Christliehe-Besonde-
re zugleich ins Menschlich-Allgemeine vermittelnde Predigtarbeit
zu bemühen.

Göttingen Wilhelm Grab

Löhe, Wilhelm: Abendmahlspredigten (1866). Hg. von M.

Wittenberg. Neuendettelsau: Freimund 1991. 184 S. gr.8o =
Wilhelm Löhe. Gesammelte Werke, Ergänzungsreihe, I. DM
19,80. ISBN 3-7726-0157-X.

Wilhelm Löhe hat aus der Enge - einem kleinen Bauerndorf
von nicht einmal KHK) Einwohnern in Mittelfranken, Neuendettelsau
. in dem er von 1837 an über 34 Jahre Pfarrer war - in die
Weite gewirkt. Seine intensive Gemeindearbeit, sein Charisma
als Prediger, Seelsorger und Organisator, die Gründung eines
Diakonissenhauses und Missionsseminars, umfängliche Litur-
gikstudien und zahlreiche Veröffentlichungen machten ihn unter
seinen Zeitgenossen bekannt und verschafften ihm eine nicht
geringe Nachwirkung bis in unser Jahrhundert. Neben der
Erweckungsbewegung hat ihn lutherische Theologie entscheidend
geprägt. Dabei rückte je länger, je mehr das Hl. Abendmahl
in das Zentruni seines theologischen Denkens und seiner
Gemeindepraxis. Da er infolge vorrückenden Alters und belastender
Krankheit nicht mehr dazu kam. seine Abendmahlslehre
zu veröffentlichen, füllt die Herausgabc seiner ..Abendmahlspredigten
" durch Martin Wittenberg - als Band 1 einer Ergänzungsreihe
zu Löhes ..Gesammelten Werken" (1951-1986) -
eine nicht unerhebliche Lücke aus.

Die in diesem Band versammelten 20 Abendmahlspredigten -
ein zusammenhängender Zyklus - hat Löhe von Juli bis Dezember
1866 (mit 2 Ausnahmen) in den Freitagsgottesdiensten der
Neuendettelsauer Pfarrgemeinde gehalten. In klarer, einfacher,
aber auch eindringlich beredtsamer (und zuweilen erbaulieh-
erwecklicher) Sprache entfaltet Löhe darin im Anschluß an biblische
Texte seine Abendmahlslehre nach allen Seiten.

Den heilsgeschichtlichen Ausgangspunkt bildet die Einsetzung
und Feier des jüdischen Passamahls nach Ex 12 als Vorspiel
des - ungleich herrlicheren - neutestamentlichen Bundes-
mahles.

Ausführlich setzt sich Löhe mit Abendmahlspraxis und -Verständnis
der römischen und reformierten Kirche auseinander
und stellt dabei seine lutherische Position als die allein schriftgemäße
und fest in der apostolischen Tradition verwurzelte heraus
. Daß alle Konfessionen im Vertrauen und Gehorsam gegenüber
dem Wort des Herrn das Abendmahl halten, ist „Einigungs-
punkl aller Getrennten" (53), ein starkes Band der Einheit. Daß
aber die römische Kirche den Laien den Kelch vorenthält und
die Transsubstantialion lehrt, ist „strotzender Ungehorsam"
(57), und daß die Reformierten Brot und Kelch nicht segnen und
aus dem „ist" in den Einsetzungsworten ein bloßes „bedeutet"'
machen, ist eine „Frechheit" (85), Ketzerei (144). unvereinbar
mit dem Wort des Herrn und dessen legitimer Interpretation
durch die apostolischen Väter, denen vielmehr das lutherische
„mit, in und unter", die Union, „Vereinigung des Brotes und
Weines mit dem Himmelsgut" (107), entspricht.

Löhe vertritt dogmatisch und polemisch lutherische Theologie
, übt aber zugleich entschieden und heftig Kritik, wo er auf
mangelnde Konsequenzen zu stoßen scheint. So kann er die
„real existierende" lutherische Kirche seiner Zeit eine „gar verderbte
und abgewichene Schar, wo jeder an seinem Altar schier
anders handelt" (58), nennen, hofft jedoch, daß „ihre Gabe und
ihr Kleinod"' sie „zum Phönix machen" wird, „der aus seiner
Asche verjüngt wieder emporsteigt" (108). Er bezieht und beruft
sich auf Luther, kann aber durchaus auch anderer Meinung sein,
etwa in seiner Auslegung von Joh 6. Auch innerhalb der lutherischen
Kirchen verteidigt er seinen eigenen Standpunkt und kann
selbstbewußt auf das Neuendettelsauer Vorbild in der rechten
Gestaltung der Abendmahlsfeier verweisen (vgl. 76).

Mit väterlich-seelsorgerlicher Zuwendung verkündigt er seiner
Gemeinde die Segenswirkung des gläubig empfangenen
Abendmahls, seine „Süßigkeit", die das Jammertal verwandelt
„zum Vorsaal des Himmels", die im Elend der Zeit - 1866 ist
Kriegsjahr! - tröstet (431.). Den Gläubigen gewährt das Abendmahl
„Verpfändung" der Sündenvergebung. Einigung - „Vermählung
" (151) - mit Christus und seiner Gemeinde, Trost gegenüber
dem Tod, macht sie der seligen Auferstehung teilhaftig
(vgl. dazu bes. die Sonntagspredigt über Luk 7.1 III'.. S. 93ff.).

Schließlich geht er. katechtisch unterweisend, ganz, konkret auf
Einzelfragen ein, wirbt z.B. um häufige Teilnahme am Abendmahl
, mahnt zu ernster Prüfung, empfiehlt die Privatbeichte,
schärft der Gemeinde ihre Mitverantwortung für den „ordentlichen
" Verlauf der Feier ein.

Löhes „Abendmahlspredigten" bieten nichts „Spektakuläres",
aber geben doch „wichtige Impulse" (Vorwort 11) zur Einordnung
und Würdigung eines bedeutenden Theologen und Kirchenmannes
des 19. Jh.s und zur Orientierung in der Diskussion
über das Abendmahl. Mehr noch: Impulse, das Abendmahl neu
zu schätzen, es gern und recht zu feiern.

Der Hg. hat die Textgestalt der Predigten aufgrund von Nachschriften
mühevoll akribisch erarbeitet und kommentiert. Vorworte
, Einführung, Literaturangaben und Register helfen
wesentlich zum tieferen Verständnis und weiteren Aufschluß
der Texte und des zeitgeschichtlichen Kontextes.

Brühl Günter Wiesemann