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Ausgabe:

1993

Spalte:

663-665

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hermelink, Jan

Titel/Untertitel:

Die homiletische Situation 1993

Rezensent:

Gräb, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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Vidal, Marciano: Eine ethische Beurteilung des Kapitalismus. Ausgehend
von der Enzyklika „Centesimus annus" (In: [Häring, B.:| In C hristus
zum Lehen befreit. Freiburg: Herder, 156-180).

Virt, Günter: Moraltheologische Erwägungen zur Therapiebegrenzung in
der modernen Medizin (In: Bruch, R.: Horizonte sittlichen Handelns. Graz:
Institut für Ökumenische Theologie und Patrologie an der Univ. Graz 1991.
353-360).

Witschen, Dieter: Gerechtigkeit und theologische Ethik. Freiburg/
Schweiz: Univesitätsverlag; Freiburg-Wien: Herder 1992. 228 S. 8° = Studien
zur theologischen Ethik, 39. Kart. sFr 38.-. ISBN 3-7278-0790-3 u. 3-
451-22683-9.

Praktische Theologie: Homiletik

Hermelink, Jan: Die homiletische Situation. Zur jüngeren
Geschichte eines Predigtproblems. Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht 1992. 311 S. gr.8« = Arbeiten zur Pastoraltheologie
, 24. Kart. DM 52,-. ISBN 3-525-62331-3.

Die Homiletik der Nachkriegszeit stand in ihren Hauptströmungen
ganz im Banne der Wort-Gottes-Theologie. Schließlich
sind die theologischen Weichenstellungen der 20er Jahre unseres
Jh.s erst nach dem 2. Weltkrieg für die theologische und
kirchliche Arbeit insgesamt strukturbildend geworden. Nun erst
sollte das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens
durchgängig aus der konstitutiven Grundrelation von Wort und
Glaube heraus entfaltet werden. Nun erst war dafür gesorgt, daß
dies gerade an der Mittelpunktstellung der gottesdienstlichen
Predigt in der Praxis der Kirche sinnfällig werden sollte. Nun
erst sollte es zum tragenden Einverständnis gerade der Homiletik
werden, daß die Predigtpraxis als die zentrale Gestalt kirchlichen
Handelns immer schon im Lichte derjenigen Kategorien
zu sehen ist, die die herrschende Formation der Wort-Gottes-
Theologie gleichsam dogmatisch festgeschrieben hat, also als
dasjenige, den Glauben allererst schaffende Geschehen, in dem
der Mensch des befreienden, seine natürliche Gottlosigkeit
überwindenden Zuspruchs des Evangeliums teilhaftig wird.

Die Wort-Gottes-Theologie implizierte nicht nur ein bestimmtes
Verständnis der gottesdienstlichen Predigt, sie enthielt
auch eine bestimmte Interpretation der Situation ihrer Hörer.
Auch diese Situationsinterpretation stand durchgängig in der
Regie des dogmatischen Predigtbegriffs. Der relative Neueinsatz
, den E. Lange in den 60er Jahren mit seinen Beiträgen zur
Kirchen- und Gottesdiensttheorie sowie vor allem zur Homiletik
vollzogen hat, bedeutete demgegenüber eine Kritik und
Modifikation eben dieser Situationsinterpretation. Dies genauer
herausgearbeitet zu haben, ist das wesentliche Verdienst der
Heidelberger Dissertation von J. Hermelink.

E. Langes Begriff der „homiletischen Situation", mit dem
dieser den Predigern die Notwendigkeit einer möglichst präzisen
Wahrnehmung der°alltäglichen Wirklichkeit der Hörer eingeschärft
hat, dient der vorliegenden Arbeit nicht nur zur Eröffnung
ihrer eigenen Problemperspektive (lf.). Innerhalb des
Zeitraums von 1945 bis 1975, auf den sich H. (aus inhaltlich
nicht ganz ersichtlichen Gründen) in seiner Rekonstruktion der
„jüngeren Geschichte eines Predigtproblems" beschränkt, erfährt
das homiletische Konzept E. Langes auch die ausführlichste
und differenzierteste Bearbeitung.

Die im engeren Sinn homiletischen, am weitesten auch bekannt
gewordenen Arbeiten E. Langes, werden in den Zusammenhang
seiner ausgreifenden Analysen zur religiösen und
kirchlichen Lage gestellt (134-174). Auf diese Weise wird deutlich
, daß sich für E. Lange die „homiletische Situation" deshalb
kompliziert und im Problem der Verständigung des Predigers

mit seinen Hörern verdichtet hat, weil er die sich in den 60er
Jahren hochgradig beschleunigenden gesellschaftlichen Diffe-
renzierungs- und Individualisierungserfahrungen wahrzunehmen
begann. Die progredierendc gesellschaftliche Modernisierung
hat zur Dissoziation der privaten und beruflichen Lebenskontexte
geführt. Sie hat das Eingespieltsein der Individuen in
tradierte religiöse Symbolisierungs- und Kommunikationszusammenhänge
zur Auflösung gebracht. Sie hat so das Problem
der Verständigung mit Menschen, die in der Alltäglichkeit ihres
Lebens in hochgradig differente Funktions- und Orientierungssysteme
eingebunden sind, als das vorrangige Problem pastoraler
Predigtarbeit heraufgeführt. So ist nun die „homiletische
Situation" eine Situation geworden, die die Predigt als „Verständigungsbemühung
" (E. Lange) fordert. Ihr kann der Prediger
nur dann noch gerecht werden, wenn er neben seiner herme-
neutischen Kompetenz in der Auslegung der biblischen Texte
auch über die gegenwartsdiagnostische Kompetenz in der Deutung
der Lebensverhältnisse und -Verständnisse seiner Hörer
verfügt.

Der zweite Teil vorliegender Arbeit hat diese „Erschließung
der alltäglichen Wirklichkeit als institutionelles Problem" (124)
zum Thema. Diese Erschlicßungsaufgabe wird als „institutionelles
Problem" eben deshalb exponiert, weil die gesellschaftliche
Evolution auch zur sozialen Ausdifferenzierung der Institution
Kirche und ihrer pastoralen Funktionsträger geführt hat. Es
ist für letztere nun zunehmend schwieriger geworden, an den
Lebenserfahrungen der Predigthörer teilzuhaben und sich Uber
das sie in der Konkretion ihres Alltags Betreffende mit ihnen zu
verständigen.

H. macht deutlich, daß E. Lange diese „neue Perspektive" auf
die kirchliche Lage wesentlich durch die „ökumenische Bewegung
" und die dort zwischen 1960 und 1965 geführte Debatte
um die .„missionarischen Strukturen der Gemeinde'" vermittelt
worden ist (134). Vor allem die Impulse des niederländischen
Missionswissenschaftlers J.C.Hoekendijk werden dabei herausgestellt
(134-155). Dennoch bleibt dies eine etwas enge Sicht
auf die Genese der homiletischen Problemperspektiven E. Langes
. Eine breiter ausgreifende Rezeption der kirchen- und religionssoziologischen
Debatte in den 60er Jahren, der Arbeiten
vor allem von J. Matthes und T. Rcndtorff, wäre demgegenüber
ertragreicher gewesen.

Daß E. Lange dem Begriff der „homiletischen Situation" im
Zuge einer bestimmten, die erschwerten Bedingungen religiöser
Kommunikation in der modernen Gesellschaft insgesamt anzeigenden
Gegenwartsdiagnose aufgeboten hat, ist jedoch nur ein
Teilergebnis vorliegender Untersuchung. H. führt darüberhinaus
den Nachweis, „daß Lange seine homiletischen Arbeiten
durchgehend theologisch strukturiert" hat (219). Er macht deutlich
, daß E. Lange, „entgegen seinen eigenen, mißverständlichen
Äußerungen" (219) die homiletische Situation immer auch
zugleich deshalb als die die Predigt des Evangeliums herausfordernde
Situation verstanden hat, weil sie ihm grundsätzlich im
Schema der Widerspruchserfahrung des Rcchtfertigungsglau-
bens zu interpretieren war, als Situation der Anfechtung, in die
hinein es die Christusverheißung als befreiendes und weiterführendes
Wort zu konkretisieren gilt.

Das andere Teilergebnis der vorliegenden Untersuchung ist
somit, das E. Langes Predigtbegriff in theologischer Hinsicht
ganz auf der Linie der Wort-Gottes-Theologie geblieben ist.
Sofern die „Verheißung" nach wie vor als „homiletischer Leitbegriff
" (218) fungierte, blieb die Aufgabe der Predigt so
bestimmt, daß sie die „alltägliche Wirklichkeif in die Deutung
der durch den Gegensatz von Gesetz und Evangelium bestimmten
„Wirklichkeit des Glaubens" zu überführen hat.

Der Zweck des ganzen ersten Teils der Arbeit (31-122). der
neben M. Mezger vor allem H. J. Iwand gewidmet ist, besteht
denn auch im wesentlichen darin, den durch Lange in die homi-