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1993

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

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Neuerscheinungen

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Theologische Literatur/.citung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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Werten an (85, 97). Angesichts dessen überrascht es indes, daß der kulturelle
Kontext heutiger christlicher Ethik, nämlich die neuzeitliche Säkularisierung
und der gegenwärtige Wertepluralismus, in seiner Rückwirkung auf
das Selbstverständis theologischer Morallehre nicht eingehender diskutiert
wird. Andererseits ist herauszuheben, daß einzelne der in W.s Buch genannten
Aspekte zur Normenthematik grundsätzliche Beachtung verdienen.
Gerade angesichts der heutigen Legitimationskrise der Ethik ist die von W.
erwähnte Aufgabe (850) einer aus theologischer Sicht bedachten Begründung
von Normen dringlich. Zum Verständnis von Normen unterscheidet
W. drei Frage-Ebenen (1671'f): eine spezifisch theologische Fragehinsicht,
die die letzte, vertiefte Begründung von Normen und Werten betrifft; sodann
eine mittlere Ebene des Menschenbilds, auf der - auch im Dialog mit Sozial-
und Humanwissenschaften - das Grundverständnis von Leben, Gesundheil
u.a. zu erörtern ist; und die im emprischen Bezug zu diskutierende Ebene
jener konkreten Handlungsnormen, die als gemischte Normen (141) zu gelten
haben. Als anthropologischer und ethischer Sinn von Normen sind u.a.
die Entlastung des einzelnen Handelnden und die Stabilisierung von sozialen
Gefügen (96f) zu beachten. Nun sind aus evangelischer Sicht mögliche
Abwege einer Ethik der Normen zu benennen, etwa die Problematik einer
Normenkasuistik oder die Gefahren einer Erstarrung oder Scheinobjektivierung
und Ideologisierung von Normen. Desungeachtet werden in W.s Buch
Argumente erkennbart. die für eine explizite Reflexion von Handlungsnormen
im heutigen ethischen Diskurs sprechen, so daß die evangelische Ethik
ihrerseits den Impuls aufgreifen sollte, dem Anliegen (a) einer vertiefenden
Begründung sowie (b) einer operationablen, malcrialethischen Entfaltung
ethischer Nonnen nachzugehen.

Einen besonderen Schwerpunkt des Buches bildet der Aspekt
der sog. ..gelebten" Normen (215), d.h. die normenorientierte
Lebenspraxis. Der Zielpunkt des Buches ist eine Tugendlehre,
l ugenden sollen am personalen Wohl des Menschen als normativem
Maßstab ausgerichtet sein (332). Manche Erwägungen zur
Tugend des Hinzeinen wirken freilieh individualethisch optimistisch
. Durch die Tugenden werde „das Wachsen der sittlichen
Fähigkeit" angezeigt (336). Die Skepsis Luthers (328) und die
Kritik christlicher Tugenden durch Nietzsche (335) finden nur
knapp Erwähnung. Überdies: In einer Tugendethik wäre doch
auch das Problem von moralischen [dentitätskrisen, von Rollenkonflikten
des Handelnden und die Rückwirkung von belastenden
Pflichtenkollissionen auf die sittliche Grundeinstellung mit
zu erörtern. Die gegenwärtige empirische Sozial- und Wertforschung
weist ferner ilarauf hin, daß bei einzelnen Menschen ein
hohes individuelles Tugendethos und Wertbewußtsein häufig
mit den ganz anders gelagerten Leistungs- und Verhaltensstandards
im Alltags- und Berufsleben zusammenstößt und daran
gar zu zerbrechen droht. Die konkrete Gefahr bedrückender
Schieflagen zwischen individuellem Tugendethos und nicht-
altruistischer Alltagswirklichkeit müßte mitbedacht werden,
wenn eine Tugendlehre überzeugend neu zur Geltung gelangen
soll. Sofern die Rehabilitierung einer Tugendethik nicht nur abstraktes
Postulat bleiben soll, wären, in der Fortschreibung von
Grundsatzüberlegungen, zudem heute relevante Problemaspekte
religiöser und moralischer Sozialisation sowie die Anfragen an
die Moralerziehung im gegenwärtigen Erziehungs- und Gesell-
schaftssystem zu thematisieren.

Daß W.s Buch keinen metaphysischen Werteessentialismus
und kein objektiv-zeitloses Normverständnis vertritt, wurde herausgehoben
. Gleichwohl tritt in der Erwägung zur Sünde und
zum Bußsakrament z.T. doch wieder eine objektivierende Auffassung
von Moral und Normen zutage. In der Sündcnlchrc wird,
zusätzlich zur verzeihlichen und zur Todsünde, als weitere Kategorie
die „schwere Sünde" eingeführt, mit der - wenngleich
unterhalb der Todsünde - ein „objektiver Verstoß" (2991) gegen
Normen gemeint sei. Es gehe um solche „schlimmen objektiven
Tatbestände" (314), bei denen „die sakramentale Vermittlung
durch die Kirche" (314) unerläßlich und notwendig sei. Hier werden
einzelne Normen - wobei offenbar recht stark an die Sexual-
moral gedacht wird (s. 316, Anm. 501; Anm. 497 zum Ehebruch)
- in problematischer Weise faktisch doch wieder als kirchlich tradierte
und vermittelte objektive Vorgaben aufgefaßt. An dieser
Stelle wird sichtbar, daß im Moral- und im Sündenverständnis -
Luther widersprach ja der Einteilung in Tod - und läßliche Sünde

- sowie im Sakraments- und im Kirchenverständnis evangelischkatholische
Differenzen fortbestehen. Weitere Klärungen im
evangelisch-katholischen Dialog sind also auch aus Sieht der
Ethik vonnöten.

Wachtberg Hartmut Kreß

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Theologisch-ethische Überlegungen zur neuen Behinderten-Feindlichkeit
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