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Ausgabe:

1993

Spalte:

660-662

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Weber, Helmut

Titel/Untertitel:

Allgemeine Moraltheologie 1993

Rezensent:

Kreß, Hartmut

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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Grundbedürfnisse, Umverteilung, Gesundsein, Recht auf Arbeit
, Humanisierung der Arbeit, Partizipation und Kontrolle,
Erhalt der natürlichen Ressourcen und der Umwelt, die Begrenzung
des Wachstums, das Ende der Verschwendung und
schließlich das menschliche Maß.

Die Behandlung der einzelnen Leitlinien folgt einem klaren
Aufbau, der im Eingangskapitel inhaltlich erläutert wird. Nach
einer genaueren Bestimmung des Inhalts der Leitlinie wird jeweils
zunächst unter dem Stichwort „Sozialer Konflikt" eine
das Ausgangsproblem beschreibende Situationsanalyse vorgenommen
. Dem folgt eine Erörterung theologischer Traditionen
und ethischer Einsichten, die im Lichte von drei Kriterien ausgewählt
werden: sie müssen von ihrem Ansatz her plausibel
sein, sie müssen gegenüber anderen Ansätzen dialogfäig sein
und schließlich müssen sie Fremdes integrieren oder sich ihm
wenigstens annähern können (18). Im Lichte dieser theologisch
-ethischen Traditionen werden dann die „symbolischen
Einigungsformeln" zu dem jeweiligen Problem kritisch analysiert
, die in der Gesellschaft breite Zustimmung finden. S.
kommt dabei zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen.
Während er etwa die staatliche Umverteilung mittels progressiver
Einkommenssteuer begrüßt (61), hält das Bruttosozialprodukt
als Maßstab des Wohlstands einer Gesellschaft der kritischen
Prüfung nicht stand (1800- Jede wirtschaftsethische Leitlinie
wird angesichts der Unterschiedlichkeit der verschiedenen
nationalen Kontexte zunächst nationalökonomisch behandelt.
Auch die beiden anderen wichtigen Ebenen der Wirtschaftsethik
werden gleichwohl jeweils in eigenen Abschnitten thematisiert
: zum einen die Auswirkungen auf die „Dritte Welt" und
zum anderen die Konsequenzen für die einzelnen Unternehmen.
Angesichts der Gefahr des Auseinanderfallens der wirtschaftsethischen
Debatte in Unternehmensethik, Binnenwirtschaftsethik
und Weltwirtschaftsethik ist diese systematische Verknüpfung
der Ebenen eine der klaren Stärken von S.s Ansatz.

Die Erläuterung der theologisch-ethischen Grundlagen
nimmt insgesamt nur sehr begrenzten Raum ein. So geht S.
etwa bei der Behandlung der Grundbedürfnisse und der Umverteilungsfrage
nicht auf das Konzept der vorrangigen Option für
die Armen ein, das in der ökumenischen Diskussion immer
größere Bedeutung erlangt.

Zwei Gründe für diese Zurückhaltung lassen sich m.E. in S.s
Denken identifizieren: der eine Grund ist eine theologische
Grundentscheidung: zwar läßt die christliche Ethik keine Beliebigkeit
zu (21), angesichts des langen Wachstumsprozesses biblischer
und theologisch-ethischer Überlieferung - so S. - sind
eindeutige Aussagen aber nicht zu erwarten (18). Der andere
Grund ist Spiegels im Titel seine Buches zum Ausdruck kommende
Problembeschreibung: ..Wirtschaftsethik und Wirt-
schaftspraxis - ein wachsender Widerspruch?" Man mag darüber
streiten, ob die Bedeutung theologisch-ethischer Grundorientierungen
für praktische wirtschaftspolitische Zusammenhänge
in dieser Alternative angemessen zum Ausdruck kommt. S.s
Grundintention ist es in jedem Falle weniger, die wirtschaftsethische
Grundlagendiskussion zu vertiefen, sondern vielmehr
nach Wegen zu suchen, wie Grundentscheidungen christlicher
Ethik in praktischen wirtschaftlichen Zusammenhängen Gestalt
gewinnen können.

Die größte Stärke S.s Buch liegt denn auch darin, diese praktische
Aufgabe der Wirtschaftsethik ein wichtiges Stück vorangebracht
zu haben. Kenntnisreich und unter Verarbeitung einer
Fülle von sozialwissenschaftlichem Material erschließt der
Frankfurter Sozialethiker die Bereiche des Wirtschaftslebens,
auf die sich seine zehn Leitlinien beziehen.

So verspricht sein Buch weit über den Kontext der theologischen
Wissenschaft hinaus zu wirken. Bei der Vorbereitung des
Schulunterrichts vermag es ebenso weiterzuhelfen wie bei der
ethischen Orientierung von Vertretern der Wirtschaft oder kritischen
Zeitgenossen. Aufgrund der übersichtlichen Gliederung
sind auch Teilgebiete der Wirlschaftsethik damit schnell zu
erschließen. Ein Buch, das Benutzerfreundlichkeit und wissenschaftlichen
Tiefgang in gelungener Weise verbindet!

Heidelberg Heinrich Bedford-Strohm

Weber, Helmut: Allgemeine Moraltheologie. Ruf und Antwort
. Graz-Wien-Köln: Styria 1991. 354 S. gr.8«. Lw. öS
350.-. ISBN 3-222-12053-6.

In slringenter Form führt W.s Lehrbuch Leitgedanken katholischer
Moraltheologie vor Augen. Die in der gegenwärtigen
katholischen Theologie ausgetragenen Kontroversen, z.B. um
die autonome Moral und um die formale Kompetenz des Lehramts
in ethischen Fragen, aber auch strittige materialethische
Fragen, wie das Verständnis von Ehe und Fortpflanzung, werden
als solche freilich nicht ausführlicher dargestellt.

Der Gesamtaufbau des Buches - mit einzelnen Abschnitten
zum Naturrecht, zur Abgrenzung normativer Ethik von der Situationsethik
, sowie zu Gewissen, Freiheit, Schuld, Tugend u.a.
- folgt dem Leitmotiv im Untertitel des Buches: „Ruf und Antwort
", bzw. genauer: „Gottes Anruf - Antwort des Menschen"
(15). Das menschliche Handeln wird also als nachgeordnet und
reaktiv gegenüber Gottes Anspruch bzw. gegenüber der sittlichen
Anforderung, dem „objektiv Guten" (90), verstanden.
Aufgrund dessen kommt dem II. Kap., „Der sittliche Anspruch"
(85-169), eine Schlüsselfunktion zu. Hier werden das Naturrecht
, der Begriff der Normen sowie das Wohl der Person als
normatives Kriterium erörtert. Das menschliche Handlungssubjekt
wird erst im Anschluß an die vorgängig erörterte Thematik
des sittlich Guten in Blick genommen.

Das III. Kap. behandelt das menschliche Gewissen unter Vorgabe
eines rezeptiven, passiven Verständnisses, insofern es nämlich
um die „Wahrnehmung des sittlichen Anspruchs im Gewissen
" geht (171; vgl. 203). Folgerichtig unterstreicht W., Thomas
v. Aquin selbst spreche von einer von Gott herkommenden, der
menschlichen sittlichen Vernunft vorgegebenen natürlichen Ordnung
(104 Anm. 130). In einer solchen Thomasdeutung zeigt
sich die Differenz des Buches zur Programmatik der katholischen
autonomen Moral, wie sie u.a. von F. Böckle vertreten
wird: Denn dort wird Thomas ja in die Nähe von Kants Vernunftbegriff
gerückt und bereits für Thomas der Gedanke einer
„aktiv-schöpferischen Tätigkeit der [sittlichen] Vernunft" herausgearbeitet
(Böckle, Fundamentalmoral, 51991, 90).

Nach den Erwägungen zum Gewissen, das den sittlichen /Anspruch
vernimmt, macht W.s Buch in Kap. IV schließlieh die
„Antwort auf den sittlichen Anspruch" in der tätigen Lebensführung
des Mensehen zum Thema: Hierzu werden - in negativer
Blickrichtung - Schuld und Sünde (256-304)', in positiver
Darlegung die Umkehr und eine Tugendlehre (320-338) entfaltet
.

Indes sei betont: Der sittliche Anspruch b/w. das objektiv Gute, welches
dem menschlichen Hundein vorgelagert sei. ist bei W. nicht im Sinn eines
objektivierend überzeitlichen Naturrechts oder eines metaphysischen, onto-
logischen Essentialismus gemeint. Einer statisch-überzeitlichen Morallehre
läuft bereits zuwider, daß in Kap. I biblische Grundlagen der Ethik zur
Sprache gelangen und daß ein teleologisches Normverständnis aufgegriffen
wird (136ff). Das Buch stellt die Idee einer objektiv vorgegebenen moralischen
„Ordnung" durchaus in Frage (91) und spricht das Phänomen des
geschichtlichen Wandels und der kulturellen Bedingtheit von Normen und

' Die abschätzige Formulierung, daß „außerhalb des Christentums" die
.Schuldvergebung „längst nicht als selbstverständlich gilt" (306). bleibt zu
pauschal und greift zu kurz. Gegenüber der Anm. 478. die hierzu als Negativbeispiel
ausgerechnet das Judentum aufführt, sei exemplarisch auf M.
Bubers Reflexionen (Werke I, 1962, 475-502) zum ethischen und religiösen
Gehalt von Schuld. Vergebung und Wiedergutmachung hingewiesen.