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Ausgabe:

1993

Spalte:

656-657

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Verändert der Glaube die Wirtschaft? 1993

Rezensent:

Brandt, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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die in Christentum und Islam durch Endgültigkeitsansprüche
aufbrechen. Endgültigkeitsanspruch wird hierbei so verstanden,
daß Sachverhalte ausgesagt, Forderungen erhoben werden unter
der Behauptung, sie bestünden erstens zu Recht, wären zweitens
für alle Zeiten unaufhebbar und verpflichteten drittens zur Anerkennung
. Bezugspunkt für Z.s Umgang mit dem diffusen
Fundamentalismusbegriff ist das von der neuzeitlichen Aufklärung
ausgelöste „Unbehagen daran, daß der Glaube an die
Offenbarung Gottes einerseits Allgemeinverbindlichkeit beansprucht
, andererseits aber in seiner Überzeugungskraft faktisch
begrenzt ist..." (161).

Die fundamentale Differenz zwischen Christentum und Islam - Offenbarung
einerseits durch das „Wort Gottes unter den Menschen in Jesus Christus
", andererseits durch „das Wort Gottes im Koran" (168) - darf nach Z.
die christliche Theologie nicht zu dem vorschnellen Schluß verführen:
Überlegenheit der personalen Beziehung Uber die zu einem Buch. Dennoch
ist das Problem des Umganges mit geschichtlichem Wandel auch Z. zufolge
für den Islam aufgrund seines Schriftverständnisses noch brisanter als für
das Christentum. (173)

Beide Religionen aber können letztlich nur mit Hilfe der Einsicht
dauerhaft glaubwürdig bleiben, „daß unsere Überzeugungen
... in geschichtlicher und sozialer Bewährung stehen und
alle Endgültigkeitsansprüche... immer Hypothese bleiben und
Postulat, Absolutheit in der Relativität" (181).

Der vorliegende Band aus der Reihe Quaestiones disputatae
steht deutlich im Kontext gegenwärtiger innerkatholischer Auseinandersetzungen
, kann aber darüber hinaus auch einem breiten
protestantischen Leserkreis empfohlen werden, da die Beiträge
ganz bewußt den interkonfessionellen und interreligiösen
Gesamtkontext des angesprochenen Problemfeldes aufgreifen.

Leipzig Annette Weidhas

Systematische Theologie: Ethik

Böckle, Franz: Verantwortlicher leben - menschenwürdig sterben
. Zürich: Benziger 1992. 155 S. kl.80. Lw. DM 19,80.
ISBN 3-545-24085- 1.

Es handelt sich um ein Gedenkbuch an den bekannten
Schweizer Moraltheologen, der in Chur und Bonn lehrte und
nicht nur eine von persönlicher Erfahrung getragene und in freier
Vernunft argumentierende Ethik vertrat, die der Gegenwart
aufgeschlossen gegenüberstand, sondern auch eine vom Lehramt
her praktizierte autoritative Moraltheologie fundamentalistischer
Art überwinden wollte. Zwei seiner Schüler, der Journalist
Kurt Studhalter und der Moraltheologe Hans Halter haben
zum Gelingen des Büchleins beigetragen, das kurz vor und
nach dem Tode des Lehrers im Juli 1991 zusammengestellt
wurde und von daher geprägt ist.

Ein Interview für das Schweizer Radio mit dem schwerkranken
Theologen gibt einen Einblick in „seinen Weg, seine Spiritualität
und sein theologisches Denken" (13). Zeitlich weiter
zurück liegt der Beitrag „Menschenwürdig sterben" (31-90), in
dem der Ansatz der Böckleschen Ethik besonders transparent
wird: von einer differenziert und breit argumentierenden Methode
im Aufweis von Möglichkeiten, das Leben zu verlängern,
bis zu Überlegungen über Tod und Auferstehung aus säkularer
und theologischer Si^ht. Als ihm am 1.6. 1991 der Ehrendoktor
der Bonner Medizinischen Fakultät verliehen wurde, hat Böckle
eine „Bilanz meines ethischen Bemühens" (91-102) unter
großer persönlicher Betroffenheit vorgetragen. Ausführlich
würdigt dann H. Halter „Leben und Werk eines bedeutenden
Moraltheologen" (103-150). Eine ausgewählte Bibliographie

rundet das kleine Werk ab (151-154), das in der Art seiner
Anlage sich in der theologischen Literatur seltener findet, die in
der Regel rein sachbezogen geprägt ist.

Zum Standort Böckles heißt es: „Mit dem Tode des Moraltheologen
Franz Böckle neigt sich eine wichtige Epoche der
Moraltheologie ihrem Ende zu... Die Moraltheologie konnte
sich aus ihrem anachronistischen neuscholastischen Korsett befreien
und wurde zur theologischen Ethik, welche endlich die
geistesgeschichtliche Entwicklung seit der Aufklärung einholte
und sich... dem zeitgenössischen ethischen Diskurs stellen
konnte. Franz Böckle hat diesen Durchbruch mit internationaler
Ausstrahlung entscheidend mitgetragen und mitgeprägt" (105).

Berlin Friedrich Winter

Fornet-Betancourt, Raul [Hg.]: Verändert der Glaube die
Wirtschaft? Theologie und Ökonomie in Lateinamerika. Freiburg
-Basel-Wien: Herder 1991. 189 S. 8° = Theologie der
Dritten Welt, 16. Kart. DM 32,-. ISBN 3-451-22413-5.

Der Band enthält Beiträge von sechs in Zentral- und Lateinamerika
lehrenden Wissenschaftlern. Er wird eröffnet durch eine
Einleitung des Hg.s (Aachen) und beschlossen durch einen
„Versuch zum kritischen Gespräch aus europäischer Sicht" von
Franz Furger (Münster). Ähnlich wie im ebenfalls von Fornet-
Betancourt edierten Band „Positionen Lateinamerikas" (Frankfurt
1989) geht es darum, Positionen zu vermitteln, die sich
„alle vom kulturellen und sozio-politischen Kontext Lateinamerikas
her definieren" (7).

Obgleich dieser Kontext in allen Beiträgen präsent ist und
obgleich diese - aus römisch-katholischer Perspektive - die
Beziehung zwischen Theologie und Ökonomie in den Blick
nehmen, bestehen zwischen ihnen deutliche Unterschiede.

Sergio Bemal Restrepo („Katholische Soziallehre und Kapitalismus
") analysiert die Entwicklung der katholischen Soziallehre
und interpretiert sie im Sinne einer wachsenden Kritik am
liberalen Kapitalismus, die nicht zuletzt durch das „Lehramt der
lateinamerikanischen Kirchen" gefördert wurde.

In seinem Beitrag „Theologie und Wirtschaft" bezieht sich
Enrique Dussel auf Habermas' Theorie des kommunikativen
Handelns, hält sie aber in ausgebeuteten Nationen für „nicht
ausreichend" (40). Er plädiert für eine weltweite Kommunikation
, die die materielle, leibliche Dimension einbezieht. D.h.: die
Kategorien der Habermas'sehen und Apelschen Theorien „müssen
alle... umgebaut werden" (42).

Franz J- Hinkelammert, gebürtiger Deutscher, („Wirtschaft.
Utopie und Theologie: die Gesetze des Marktes und der Glaube")
sieht, unter Berufung auf Anselm von Canterbury in der christlichen
Theologie eine Stütze der Ausbeutung: „Man will einen
Gott, der Schulden nicht erläßt, weil man eine Welt will, in der
Schulden nicht erlassen werden" (65, Anm. 7). Nicht wegen seiner
Bereitschaft, sondern aufgrund seiner Weigerung, Isaak zu
opfern, wurde Abraham zum Vater des Glaubens (79). Auf den
zweiten Blick erweisen Hinkelammerts Thesen die Schwäche
einer in emotionalen Appellen verharrenden Position.

Daß die Option für die Unterdrückten mit einer Analyse der
Mechanismen des kapitalistischen Marktes und ihrer Konsequenzen
verbunden werden kann, zeigt der Beitrag von Jung
Mo Sung „Der Gott des Lebens und die wirtschaftlichen Herausforderungen
für Lateinamerika". In ihm werden u.a. die
Schuldenkrise und das Paradigma des Marktes behandelt.

Der umfänglichste Beitrag von Miguel Manzanera („Die
Option der Armen und die Wirtschaft") bringt dankenswerterweise
methodologische Hinweise aus der Wirtschaftswissenschaft
und Erwägungen zum Ideologie-Begriff. Er begründet
die Notwendigkeit eines interdisziplinären Dialogs: Die Kom-