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Ausgabe:

1993

Spalte:

651-652

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Vom Verlangen nach Heilwerden 1993

Rezensent:

Gerber, Uwe

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Seite 1

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651

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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Das Gottesreich verbleibt bei Kant in seiner Realisierung und
in seiner denkerischen Bewältigung im Status einer letzten
„Ausständigkeit", so sehr Kants Betonung des Reiches Gottes
auf Erden und seiner freiheitlich-geschichtlichen Vollzugsgestalt
immer auch den präsentischen Aspekt hervorhebt. Die
„basileia" ist also nach Kant gegenwärtig erfahrbar und somit
eine innergeschichlliche Realität, aber sie bleibt eine ,„basileia
semper maior' im Hinblick auf die Möglichkeit ihrer endgültigen
Verwirklichung." (280) Damit ist für H. evident, „daß das
Reich Gottes als ,Thema des Denkens' bei Kant tatsächlich die
Figur eines ,Themas religiöser Hoffnung' repräsentiert und
nicht die Gestalt weltimmanenter Verfügbarkeit annimmt."
(280) Nach Meinung des Rez. ist hier weiterer Diskurs notwendig
.

Jena Udo Kern

Strahm, Doris, u. Regula Strobel [Hg.]: Vom Verlangen nach

Heilwerden. Christologie in feministisch-theologischer Sicht.
Fribourg-Luzern: Edition Exodus 1991. 240 S. 8». ISBN 3-
905575-61-2.

Diesem grundlegenden Diskussionsbuch meine ich mit einer
Rezension nur dadurch einigermaßen gerecht zu werden, daß
ich die wichtigsten Punkte herauszugreifen versuche. Zunächst
die Verortung: Hier tragen christlich orientierte Frauen aus
Europa in Auseinandersetzung mit der patriarchalen christolo-
gischen Überlieferung einerseits und mit postchristlichen feministischen
Entwürfen (etwa Daly, Hampson) andererseits ihre
Kritiken und ihre Vorstellungen von feministischer Befreiungs-
christologie vor. Sodann einige Grundfragen, vorab das Problem
einer exklusiven, universalen, mannzentrierten Christologie
. Die Gegenvorstellungen wären: inklusiv, also eine aufschließende
, einladende, nicht mehr abgrenzende Christologie,
in welcher unsere Erfahrungen - speziell der Frauen - mitkon-
stitutiv sind; kontextuell (statt universal), nämlich eine auf die
konkreten Lebensbedingungen der betroffenen Frauen, Männer,
Kinder (und Mitwelt) eingehende Entfaltung der Bedeutung
Jesu als des Christus; beziehungsorientiert (statt mannzenlriert),
also eine Christologie, in welcher die Einzigartigkeit Jesu in
seinem Verhältnis zu Gott beispielhaft als Kraft von Beziehungen
für alle Menschen und für alle möglichen Beziehungen entgrenzt
wird (Heyward). Kreuzestheologie als Satisfaktionschri-
stologie: Das Kreuz wird nicht mehr mit Opfer oder Sündenvergebung
zusammengedacht, sondern seine erlösend-befrcicnde
Kraft liegt in der Erfahrung, daß dieses Kreuz die Konsequenz,
des Eintretens Jesu für Gerechtigkeit war und ist (L. Schottroff,
Heyward, Solle), daß im Paradox des Kreuzes die „dunkle Seite
Gottes" erscheint (Moltmann-Wendel), daß das Kreuz der notwendige
Untergang für die Geburt des Neuen sei, exemplifiziert
am Mythos der Heiligen Hochzeit (Wöller, Kassel), daß
schließlich auch diesen Interpretationen doch noch eine abzulehnende
Opfer-Christologie zugrundeliege (Strobel) - eine im
besten Sinne des Wortes provozierende Re-Vision.

Ist Antijudaismus die notwendige Kehrseite jeder Christologie
? Susannah Heschel stellt drei antijüdische Motive in moderner
christlicher Theologie heraus: (I) Das Christentum behauptet
eine exklusive Relevanz für alle Frauen (Menschen); (2) die
Antithesen von Liebe und Torah, von Neuem und Altem Bund
usw. können nicht unschuldig verwendet werden; (3) das Judentum
wird zum Sündenbock für den Patriarchalismus gemacht
. Das Judentum hat eine unabhängige Heilsgültigkeit in
seiner Gestaltung des biblischen Erbes; das Christentum hat seinen
Absolutheitsanspruch zurückzunehmen.

Bleibt noch die Frage nach dem Mann-Menschen Jesus als
Erlöser: Die historische Rückfrage stößt auf den eschatologi-

sehen Propheten Jesus von Nazareth (vielleicht den letzten Propheten
vor der Endzeit), mit einer theozentrischen Botschaft
vom menschenfreundlichen Gott - auf welche christozentrisch
mit vielfältigen, kontextuellen Christologien und christologi-
schen Bekenntnissen geantwortet wurde (Strahm). Was ist aber
der Prüfstein dieser christologischen „Dialekte": „die Frage, ob
sie eine unterdrückende oder eine befreiende Praxis hervorrufen
". Darin liegt die „Göttlichkeit" Jesu, nämlich die Eröffnung
gemeinsamer Befreiung von Christinnen und Christen mit allen
Menschen, die (mit welchen Begründungsmustern auch immer)
daran partizipieren.

Dieses Buch bringt alte dringliche Fragestellungen der Christologie
erneut ins Gespräch, diesmal aus dem Blickwinkel
feministischer Befreiungstheologie. Dieser Diskussionsband
wirft neue notwendige Fragestellungen von Christologie und
Soteriologie auf für unser Theologisieren in Richtung auf eine
kontextuelle europäische Befreiungstheologie. Als „roter Faden
" allen Theologisierens wird - zu Recht - vorgeschlagen:
„unserem Verlangen nach Befreit- und Heilwerden Ausdruck
zu geben und zu entdecken, was in konkreten Kontexten für
Frauen (sc. Männer, Kinder, Mitwelt) befreiend und erlösend
ist".

Darmstadt Uwe Gerber

Werbick, Jürgen [Hg.]: Offenbarungsanspruch und fundamentalistische
Versuchung. Freiburg-Basel-Wien: Herder
1991. 245 S. 80 = Quaestiones Disputatae, 129. Kart. DM
49,-.

Den verschiedenartigen Beiträgen dieses Bandes voran steht
unter dem Titel „Der Streit um den .Begriff der Offenbarung
und die fundamentalistische Versuchung der Theologie" die
Einleitung (11-35) des llg.s Jürgen Werbick Er tendiert dahin,
theologischen Neokonscrvatismus, wie er s.E. auch durch Papst
Johannes Paul II. vertreten wird, und christlichen Fundamenta-
lismus als „unterschiedlich konsequente und reflektierte Antwortversuche
" auf die gleiche, im Anschluß an Spaemann formulierte
Frage zusammenzusehen: „Ist die europäische Auf-
klärungs- und Vernunftzivilisation nicht deshalb am Ende, weil
ihr nichts mehr heilig ist - weil sie so lange alles zur Disposition
und in Frage stellte, bis alle Geltungsansprüche in mehr oder
weniger plausible Optionen und Hypothesen aufgelöst waren?"
(11) Der „intellektuelle Zweifel" erscheint als „Krankheit zum
Tode", da er angeblich unfähig zur Bejahung sei. (18) Heilung
scheint nur möglich, wenn der „Erkenntnis durch Kritik" die
„Erkenntnis durch Liebe" vorgeordnet wird. Seine Begründung
und Verbindlichkeit aber bezieht dieses Modell personaler Erkenntnis
daraus, daß die fides von der fiducia her interpretiert
wird;

„Nicht die Suche nach der Wahrheit in Konstruktion und Kritik..., sondern
die Mitteilung dessen, was ist, durch den kompetenten Zeugen begründet
hier das Wissen." Der Sohn als Offenbarer bezeugt, ..was er beim Vater
gesehen hat; er teilt mit, was der Fall ist, weil Gott es so will." (20)

Folgerichtig geht W. davon aus, daß theologische Kritik an
christlichem Fundamentalismus als Auseinandersetzung um
den Offenbarungsbegriff geführt werden muß. (20/21) Diese
Auseinandersetzung aber gipfelt in der „fundamentalistischen"
Annahme einer prinzipiellen Unmittelbarkeit und damit Unge-
schichtlichkeit von Offenbarung, durch die der Erkennende den
mitgeteilten Fakten gleichsam direkt begegnet. Dies fuhrt ZU
einem „juridischen" Offenbarungsparadigma, demzufolge die
offenbarten dogmata des Glaubensgesetzes die Kodifizierung
des Willens des Gesetzgebers enthalten, einschließlich lies göll-
lichen Hcils-Willens.

Dieses Gesetz ist positive, nicht hintertragbare Setzung - darum unbedingt
zu befolgen. Gefährlich ist eine derart aggressive Immunisierungs-