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Ausgabe:

1993

Spalte:

643-644

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Scherzberg, Lucia

Titel/Untertitel:

Sünde und Gnade in der feministischen Theologie 1993

Rezensent:

Gerber, Uwe

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643

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

644

die Diskussion der Zunft einzubringen. Ihm mögen immerhin
die vielfältigen Arbeiten H.s vor allem drei sehr bedeutsame
Sachverhalte eingeprägt haben: Erstens die Tatsache, daß nur
ein kleiner Teil der heutigen Christenheit mit der schriftlichen
Kultur des Mittelmeerraums vertraut ist. Viel wichtiger ist für
die meisten die Oralität, „die mündliche Kirche", was von weittragender
Bedeutung ist. Deshalb ist zweitens die Narrativität
die angemessene Methode der Kommunikation biblischer und
theologischer Inhalte (H.s Beiträge etwa zu den Konflikten in
Korinth sind diesbezüglich ja kleine Meisterstücke). Drittens
schließlich: wie sieht das heute sachgerechte Programm einer
interkulturellen Theologie aus, die sich nicht ins lokale Schnek-
kenhaus zurückzieht, die aber auch nicht ihre Eigenart als allgemeingültig
anpreist, sondern zwischen mündlichen und schriftlichen
, schwarzen und weißen, weiblichen und männlichen
Christen unterscheidet? Die Begegnung mit Christen aus der
Dritten Welt, aber auch die erneute Reflexion auf Phänomene in
unserer eigenen Geschichte, in Literatur, Film und religiösen
Subkulturen ist hier entscheidend. Natürlich ist dies alles
demjenigen nicht neu, der die drei Bände interkultureller Theologie
gelesen hat (Erfahrungen der Leibhaftigkeit, 1979;
Umgang mit Mythen, 1982; Geist und Materie, 1988). Für französischsprechende
Leser ist im vorliegenden Buch jetzt wenigstens
eine Auswahl von Kapiteln und Abschnitten aus jenen
Bänden in Übersetzung verfügbar; sie werden dafür dankbar
sein, auch wenn H.s Schrifttum in ihrer Sprache vergleichsweise
recht gut, obwohl sehr verstreut, vertreten ist.

Der Verlag hat m.E. gut daran getan, aus allen drei Bänden
Stücke zu veröffentlichen, in denen H.s Methode und unkonventionellen
Gedanken (z.B. zum Mythus, zu Religion und
Pneumatologie) besonders hervortreten. Damit ist insgesamt
auch ein geschlosseneres Werk entstanden, als es die deutsche
Vorlage darstellt.

Eine Bibliographie enthält auch dieser Band, wobei französische
und englische Titel privilegiert behandelt oder wenigstens
bestehende Übersetzungen immer angegeben sind (ebenso in
den Anmerkungen). Ob insgesamt der französische Leser klüger
geworden ist als der deutsche, wie die interkulturelle Theologie
im Sinne des Autors zu handhaben ist, scheint mir fraglich
: dafür sind m.E. die theoretischen Erörterungen zu wenig
entwickelt und die praktische Demonstration in Beispielen zu
sehr an H.s eigenen Erfahrungshorizont gebunden. Aber in
Analogie zum zitierten Diktum Barths „Ein bißchen Pfingstler-
tum als Salz der Erde kann uns allen nicht schaden" (147; dt.
111,13) könnte man formulieren: Ein bißchen Hollenwegersche
Interkulturalität als Salz der Theologie kann uns nicht schaden.
Ich würde sogar meinen: Sie ist heute ein Muß, bedingt aber im
deutschen Sprachraum eine wesentlich andere Art, Theologie
zu verstehen und zu betreiben.

Lausanne Klauspeter Blaser

Scherzberg, Lucia: Sünde und Gnade in der Feministischen
Theologie. Mainz: Grünewald 1991. 258 S. 8°. Kart. DM 36,-

Die ersten feministischen Befragungen feministischer Entwürfe
und Forschungsergebnisse kommen auf den Tisch, so
auch diese Arbeit zu den beiden großen Richtungen einer (a)
ethischen und einer (b) ästhetischen Feministischen Theologie.
Der Themenbereich Sünde/Gnade wurde gewählt, weil sich hier
die Fragerichtungen der Gotteslehre, Christologie und Pneumatologie
einerseits und der Anthropologie einschließlich Ekkle-
siologie andererseits überschneiden.

Behandelt werden in (a): Plaskows Verständnis von Sünde
als Selbstverneinung und der Gnade als Selbstwerdung, Molt-
mann-Wendels Bestimmung als (Nicht-)Befreiung zur Selbst-

Liebe und (Nicht-)Freundschaft mit Gott, Heywards Vorstellung
von Beziehungslosigkeit bzw. Gnade als Wirkmacht von
Beziehung, Ruethers interaktionistisches Verständnis von Sünde
als Unterdrückung und von Erlösung als Wiedervereinigung
und Gerechtigkeit, Schüssler-Fiorenzas Bestimmung des Sexismus
als struktureller Sünde und der Gnade als Mutualität der
Jünger/innen, Sölles Konzept der Befreiung zur Mit- Schöpfung
und Halkes pneumatologische Gnaden-Vorstellung.

In (b) werden dargestellt und diskutiert: Goldenbergs Verständnis
von Erlösung als eines innerpsychischen Prozesses,
Mulacks Bestimmung von Gnade als erlösende Kraft des Weiblichen
, Göttner-Abendroths Verständnis von Erlösung als eines
ästhetischen Prozesses, Christs Symbolisierung der Erlösung
weiblicher Macht durch die Göttin, Sorges Vision von der Erlösung
durch lebenliebende Spiritualität, Starhawks Heilsökologie
der Erlösung im Gleichgewicht und Dalys Verständnis des
Neuen Seins als der Verwirklichung des Wesens.

Im dritten Hauptteil werden beide Richtungen auf grundlegende
Fragen hin durchgegangen, so etwa: Pelagianismus als
theologisch-anthropologische Möglichkeit; Theologie der Aufklärung
und Feministische Theologie; Ekklesiologie; Feministische
Theologie und Gnosis, Mystik, Romantik und esoterische
Formen ekklesiologischer Reflexion. Abschließend wird nach
einer weiterführenden Pneumatologie als Horizont Feministischer
Theologie gefragt.

Wer sich über die Fülle, Pluralität und Intensität theologischen
Denkens feministischer Theologinnen kritisch informieren
möchte, der/die kann mit diesem Buch in einen nicht nur
spannenden, sondern ebenso gewinnbringenden Dialog eintreten
. Zweifellos vorhandene Schwach-, Diskussions- und fragliche
Stellen und Thesen kann der Leser/in selbst bestimmen.

Darmstadt Uwe Gerber

Theologisches Jahrbuch 1990. Hg. von W. Ernst, K. Feiereis,
S, Hübner, C.-P. März. Leipzig: St. Benno 1991. 468 S.
gr.80. Kart. DM 29,80.

Das Theologische Jahrbuch des St. Benno-Verlages, das seit
1958 erscheint, will „theologisch Interessierten einen Einblick
in die Probleme und Erkenntnisse gegenwärtiger Theologie vermitteln
" (Vorwort 1973). Dazu hat es sich jeweils bemüht, eine
Quintessenz katholischer (manchmal auch evangelischer) theologischer
Aufsat/.literatur wiederzugeben, seit 1973 unter zusammenfassenden
Themengruppierungen und -Schwerpunkten.

Der vorliegende Jahrgang 1990 hat nach einer einleitenden
Themengruppe zu „Biblischen Grundlegungen und einem ausleitenden
Abschnitt „Auf dem Wege zur Einheit" den Schwerpunkt
„Gerechtigkeit, Frieden, Wahrung der Schöpfung - theologisch
reflektiert". Er zeigt damit sein Entstehen im Zeitbereich
der Ökumenischen Versammlungen von Dresden, Basel
und Seoul an. Er zeigt zugleich, wie stark katholische Theologen
von dem damals im Gang befindlichen „kon/.iliaren Prozeß
" mitgenommen worden sind und ihn mitbestimmt haben.
Von den 26 Aufsätzen und Dokumenten, die das Jahrbuch enthält
, sind acht Texte Erstveröffentlichungen, u. zw. ausschließlich
zum Bereich des „konziliaren Prozesses". Auch dies weist
auf die Präsentation eines unmittelbaren Engagements hin.

Der im Zentrum des Bandes stehende Schwerpunktbereich
enthält Texte der 4. Ökumenischen Begegnung der katholischen
und evangelischen Bischofskonferenzen Europas in Erfurt im
Jahre 1988 und die gemeinsame Erklärung des Rates der EKD
und der Deutschen Bischofskonferenz „Verantwortung wahr
nehmen für die Schöpfung" aus dem Jahr 1985. Eingeleitet wird
er durch eine biblisch-theologische Besinnung von W. Trilling
zu „Schöpfung, Gerechtigkeit und Frieden." (165-177). Ihm