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Ausgabe:

1993

Spalte:

642-643

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hollenweger, Walter J.

Titel/Untertitel:

L'Exprérience de l'Esprit 1993

Rezensent:

Blaser, Klauspeter

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

642

Leviathan, zum Beispiel, zwei der vier Teile biblischen und religiösen
Fragen gewidmet sind. Es isl das Verdienst Metzgers,
daß er versucht, nicht nur Hobbes' politische und theologische
Ansichten zu verflechten, sondern sie in ihren historischen Kontext
einzubetten. Angesichts der äußerst komplexen Geschichte
und kontroversen Historiographie des englischen Bürgerkriegs
und der breiten Palette von Hobbes' naturwissenschaftlicher,
philosophischer und religiöser Interessen ist das Ziel des Buches
, die Rekonstruktion des Denkens des historischen Individuums
Thomas Hobbes und der sich auftuenden Rezeptionschan-
cen (217), ein ehrgeiziges Unternehmen.

Sechs Kapitel behandeln: l. 'The Short Parliament' und Hobbes
' Elements ofLaw; 2. Der Beitrag Hobbes' zu den Diskussionen
in den frühen 1640ern über die Verfassung; 3. Hobbes in
Exil; 4. Das Interregnum; 5. Der Antiklerikalismus Hobbes'; 6.
Strafe und Moral: die Theologie Hobbes'. Hilfreich sind die
Kurzbiographien und die Zeittafel. Abgesehen von dem ab und
zu auftauchenden Jargon merkt man selten, daß das Buch eine
geringfügig überarbeitete Dissertation ist.

Vom 13. April bis 5. Mai 1640 traf sich 'The Short Parliament
". einberufen um die bitter notwendigen Geldmittel für den
Krieg gegen die Schotten aufzutreiben. Ausbilanziert und im
Einklang mit der neuesten Forschung beschreibt der Vf. die
Weigerung Charles 1., die Gravamina des House of Commons
(hochkirchliche, fiskale und außenpolitische Besehwerden)
ernstzunehmen. Nur fünf Tage nach dem Scheitern des Parlaments
erseheint Hobbes' Elements of Law, ,der erste politische
Traktat' der englischen Revolution, mit seiner alternativen .politischen
Semantik'. Mit dem Gesellschaftsvertrag, wie Hobbes
ihn versteht, willigte der Mensch ein, daß seine Rechte dem
Staatszweck der Sicherheit untergeordnet sind. Das herkömmliche
Verständnis von Freiheiten, 'Common Law', Eigentum,
Parlament. Steuer sind deswegen im .Paradigmawechsel' aufgehoben
: statt dessen wird eine abstrakte, absolutistische, .subtrak-
tive' Begrifflichkeit angeboten; und statt der neoplatonischen
Kosmologie mit ihrer einheitlichen Ordnung des Universums
tritt eine kopernikanische auf den Plan. Solche .modernen' Anschauungen
fanden aber überhaupt keine Rezeptionsbereitschaft
.

Nach diesem recht suggestiven Kapitel behandelt Kap. 2 in
einiger Ausführlichkeit die vorsichtigen Royalisten um Lord
Falkland, die einige Anschauungen von Hobbes rezipierten; sie
versuchten aber einen Mittelweg zwischen König und Parlament
zu finden und schlugen eine gemischte Verfassung vor, wonach
der Monarch selbst einen von den drei Ständen darstellen sollte,
zusammen mit dem House of Lords und dem House of Commons
. Es fehlte ihnen, summiert der Vf.. an ,Sinn und Mut für
das Neue' (88). d.h. Einsicht in die Notwendigkeit einer ungeteilten
Souveränität.

Im Exil sieht der Vf. wieder einen scharfen Kontrast: diesmal zwischen
dem .konservativen' Loyalist. Edward Hyde, und dem modernen 'Bourgeois
man', dessen Verfechter Hohbes sei. Für diesen .gründete die Legitimität auf
dem Leistungsvermögen des Souveräns' (101). Nach der schockierenden
Hinrichtung Charles I. argumentierte er nicht nur, gegen Hyde, daß Charles
II. eine Allianz mit den presbyterianischen Schotten eingehen und seine
Skrupel fahren lassen sollte, sondern daß ein Untertan, dessen Besitztümer
in den Händen des Feindes waren, das De-facto-Recht hatte, seine Loyalität
aufzugeben, wenn er getan hätte, 'as much as in him did lie, to protect the
king in war'.

Verbannt vom königlichen Exilhof mußte Hobbes 1651 nach
England zurückkehren. Im 4. Kap. argumentiert der Vf. überzeugend
(gegen Skinner), daß er keineswegs den 'Engagers'
(die pragmatischen Argumente für das neue Regime lieferten)
geistesv erwandt war, geschweige denn ihr .prominentester Vertreter
". Er blieb Royalist, obwohl er kein rationales Argument
lür die Notwendigkeit monarchischer Herrschaft entdecken
konnte und .Zuflucht' in einer theologischen Rechtfertigung
fand; er plädierte, dem Alten Testament folgend, für eine

.Moses-gleiche-Herrsehafl' (156) in der Gottes Vertreter, der
König, säkulare und prophetisch/geistliehe Macht vereinigte.
Hobbes sähe übrigens Oliver Cromwell, den ,Lord-Protector' als
.einen sich durch Leistung... qualifizierenden Monarchen". (157)

Im Kap. 5 wird argumentiert, daß Hobbes eine echte Theorie
des .Priesterbetrugs' entwickelt, basierend auf seiner Cui-bono-
Gesellschaftsanalyse. Ursprünglich wollten Christus und seine
Jünger anderen dienen; Synoden, Bischöfe und Päpste suchten
aber die Macht. Dieser Gesehichtssehau folgend, befinde sieh
England 1651, an der Schnittstelle von zwei seit langem unabhängig
voneinander abrollenden Revolutionen' (181), sowohl in
der Kirche als auch im Staat. Die epochale Chance, aristokratische
und klerikale Privilegien abzuschaffen und einen starken
nationalen Staat zu gründen, dürfe nicht vertan werden. Als eine
Bastion klerikaler Macht müssen die Universitäten reformiert
werden, sich auf naturwissenschaftliche Fächer konzentrieren,
vor allem auf die Geometrie, und hochqualifizierte Laien als
Lehrer einstellen. Der Vf. beschreibt die völlige Isolierung Hobbes
' in der Univcrsitälswelt und das .armselige Ränkespiel'
(213), zu dem er sich hinreißen ließ, in seinem vergeblichen Bemühen
, Einfluß zu gewinnen.

Im letzten Kap. wird Hobbes' Theologie als ein Versuch,
.Ordnung und Theologie zusammenzudenken', gewertet. Es sei
wenig hilfreich, sie in traditionellen Kategorien zu sehen: seine
subordinationistische Trinitätslehre z.B., als arianisch zu bezeichnen
. Für Hobbes haben alle Dogmen nur den Wert, den der
Souverän, der Moses des Volkes, ihnen zumißt. Die Hölle wird
entmythogisiert; die Erwählten, nach dem Tod von Seele und
Leib, werden auf dieser Erde ein neues Leben finden. Religion
wird als ,die Ethisierung des Gehorsams' durchgehend instrumentalisiert
. Mit solchen Ansichten blieb Hobbes, und ,der
rationalistisch cschatologische Absolutismus des Leviathan'
(258) ,ein gescheitertes Unternehmen'.

Schmerzlich vermißt man im Buch mehr Verständnis für das
16. Jh. und für die ,sehriftbessesenen' Puritaner. Bezeichnenderweise
meint der Vf., daß das 5. Lateranum eine Reaktion auf die
Reformation sei! (241) Die interpretativen Katergorien, vor
allem die scharfe Polarität von modern und konservativ, sind
nicht immer überzeugend. Wenn der oberflächliche und säkularisierte
Protestantismus Hobbes' als fortschrittlich gesehen wird,
kann man das nur sehr bedingt bejahen. Trotzdem ist der Beitrag
des Buches zu unserem Verständnis der Entstehung und Rezeption
von Hobbes' Schriften nicht zu unterschätzen.

Dunedin Peter Matheson

Systematische Theologie:
Allgemeines

Hollenweger, Walter J.: L'Experience de l'Esprit. Jalons pour
une theologie interculturelle. Trad. par C. Mazellier et S. Tos-
cer. Genf: Labor et Fides 1991. 230 S. 8° = Pratiques, 5.
ISBN 2-8309-0652-7.

W. Hollenweger, der ehemalige Professor für Missionswissenschaft
in Birmingham, ist zweifelsohne einer der originellsten
Theologen der Gegenwart, auch wenn ihn die deutsche
Theologie kaum zur Kenntnis genommen hat. Seine Argumenla-
tionsweise eignet sich allerdings kaum für die Schultheologie
oder für gelehrte systematische Abhandlungen. Es ist wahr, daß
er es auch demjenigen schwer macht, der gewillt ist, den methodischen
Ertrag seiner Essays, die er als Vorarbeiten für eine
künftige „interkulturelle" Theologie verstanden wissen will, in