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Ausgabe:

1993

Spalte:

639-640

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ludwig, Ralf

Titel/Untertitel:

Kategorischer Imperativ und Metaphysik der Sitten 1993

Rezensent:

Schleiff, Hans

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Seite 1

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639

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

640

Antwortschreiben abgedruckt - behandelt Leibniz in erster
Linie das Verhältnis von Religion und Philosophie, wendet sich
aber auch politischen und mit der kirchlichen Reunion zusammenhängenden
theologischen Fragestellungen zu. Die Briefe
machen darüber hinaus deutlich, daß die wissenschaftliche und
gelehrte Diskussion eben nicht nur in Büchern und auch nicht
nur in den gerade entstehenden Zeitschriften, sondern auch in
Briefen geführt wurde, die in Abschriften kursierten und
dadurch weite Kreise erreichten. Leibniz will mit ihnen wie mit
den anderen Aufsätzen zur kritischen Diskussion über die carte-
sianische Philosophie herausfordern.

Der vorliegende Band wird durch ein instruktives Vorwort
der Hgn. eingeleitet. Darin begründet sie die Auswahl der Texte
, informiert über ihren historisch-biographischen Hintergrund
und erläutert die zu Grunde gelegten Editionsprinzipien (IX-
XXXIX). Das Literaturverzeichnis verzichtet unter Hinweis auf
die von A. Heinekamp herausgegebene Leibnizbibliographie
(Frankfurt 2. Aufl. 1984) auf Angaben zur Sekundärliteratur;
stattdessen werden die Leibniz-Werkausgaben, auf die zurückgegriffen
wurde, und vor allem die in den Aufsätzen und Briefen
des vorliegenden Bandes angesprochenen Schriften bibliographisch
erfaßt (413-427). Ein kommentiertes Personenverzeichnis
mit Kurzbiographien (428-451) sowie ein die Texte im
Gesamtzusammenhang erschließendes Sachwörterverzeichnis
(452-495) runden den vorliegenden Band ab. Dem Verlag und
der Hgn. ist zu wünschen, daß die geplante Studientextausgabe,
deren erster Band einen überaus erfreulichen Eindruck hinterläßt
, in absehbarer Zeit abgeschlossen werden kann.

Osnabrück Heinrich Holze

Ludwig, Ralf: Kategorischer Imperativ und Metaphysik der
Sitten. Die Frage nach der Einheitlichkeit von Kants Ethik.
Iiankfurt/M.-Bern-New York-Pairs: Lang 1992. 334 S. 8» =
Europäische Hochschulschriften, Reihe XX: Philosophie,
363. Kart. DM 89,-. ISBN 3-631-44888-5.

Wie kommt der gute Wille zur Tat? Diese Frage stellte sich,
nachdem Kant in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
" und in seiner „Kritik der praktischen Vernunft" so klar herausgearbeitet
hatte, daß gar nichts in dieser Welt vorhanden ist
und selbst außerhalb ihrer gedacht werden kann, was ohne Einschränkung
für gut gehalten werden könnte, als allein ein guter
Wille (Kants Werke, Akademie Textausgabe, Berlin 1968, IV,
393). Die Antwort, die Kant in seiner „Metaphysik der Sitten"
gab, stellt, wie die vorliegende Arbeit nachweist, nicht nur eine
Konsequenz aus den Grundlegungsschriften dar, sondern zugleich
auch einen anderen Entwurf einer Ethik. Kants Spätwerk
ist „weder eine philosophische Großtat noch das Werk eines
vergreisenden Geistes, sondern eine schlichte Grenzüberschreitung
mit Folgen für die Einheitlichkeit seines Werkes (299).

In einem ersten Teil wird ausführlich gezeigt, daß der gute
Wille, wie er in den Grundlegungsschriften dargestellt wird,
weder von irgendwelchen Bedingungen noch von irgendwelchen
Zielsetzungen abhängig sein kann. Er wirkt sich zwar auf
die Sinnenwelt aus, wird aber von ihr nicht ermöglicht. Dem
wird in einem zweiten Teil die Rechtslehre und in einem dritten
die Tugendlehre aus der ..Metaphysik der Sitten" gegenübergestellt
. So gewiß das Recht, sofern es diesen Namen verdient, im
kategorischen Imperativ begründet ist, so gewiß darf vor ihm
doch nicht die Motivation dessen geprüft werden, der es befolgt
. Ja, mehr noch: Wegen der bösen Neigung der Menschen
muß generell dem Recht durch Androhung von Gewalt Geltung
verschafft werden. Damit der gute Wille im gesellschaftlichen
Leben zur Auswirkung komme, wird an die Furcht der Menschen
vor Strafe appelliert! Der Vf. nennt dies „die Erweiterung

des Anspruchs der reinen Vernunft" (229). Der kategorische
Imperativ stellt den hypothetischen in seinen Dienst. Nicht
mehr auf den guten Willen kommt es jetzt an, sondern auf die
gute Tat, gleichgültig, aus welcher Motivation sie geschieht.

Eine ähnliche Grenzüberschreitung findet sich auch in der
Tugendlehre. Während in den Grundlegungsschriften betont
wurde, daß der gute Wille von den Zielen, die er sich setzt,
nicht abhängig gemacht werden kann, werden in der Tugendlehre
die Glückseligkeit des anderen und die eigene Vollkommenheit
als die Zwecke der reinen Vernunft bezeichnet, ohne
die der gute Wille gar nicht konkret gedacht werden kann. „Das
.bedingungslose' Sittengesetz erfährt in den beiden materialen
Pflichtzwecken eine Konstitutionsbedingung!" (277). Damit ist
nicht gemeint, daß der Mensch nun seine Autonomie verloren
hätte und zum Sklaven vorgegebener Ziele geworden sei. Vielmehr
soll verdeutlicht werden, daß seine Autonomie erst dann
konkret wird, wenn er selbst sich diese Ziele setzt. Der kategorische
Imperativ aus der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
", „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person
, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als
Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst" (a.a.O. IV, 429), wird
in der Tugendlehre dahingehend konkretisiert, daß die beiden
Zwecke der reinen Vernunft genannt werden. Kant muß damit
freilich Aussagen zurückstellen, die in den Grundlegungsschriften
eine zentrale Rolle spielten: Fremde Glückseligkeit kann
zwar Materie der Maxime sein, aber nicht ihre Bedingung, weil
sonst die Ethik auf das Gefühl der Zuneigung zum andern
begründet würde (a.a.O. IV, 34); der Begriff der Vollkommenheit
kann die Sittlichkeit nicht begründen, weil er als ontologi-
scher Begriff leer und unbestimmt ist (a.a.O. IV, 443), in praktischer
Bedeutung aber nur die Tauglichkeit zu allen möglichen
Zwecken meint (a.a.O. V, 41). In der Tugendlehre dagegen
bedeutet der Begriff der Vollkommenheit im ontologischen Sinne
die Allheit des Mannigfaltigen und im moralisch-praktischen
Sinne die reine Tugendgesinnung, in der das Gesetz zugleich
die Triebfeder der pflichtmäßigen Handlungen geworden ist;
die fremde Glückseligkeit aber erscheint hier als der Zweck, der
zugleich Pflicht ist, wobei nicht die Wünsche der anderen das
eigene Handeln bestimmen, sondern die Vernunfterkenntnis
(a.a.O. VI, 386- 388).

Dem Vf. ist darin zuzustimmen, daß es nicht möglich ist, die unterschiedlichen
Aussagen Kants zu einer einheitlichen Lehre zusammenzufügen
(280f.). Ihr Zusammenhang kann nur im Rahmen einer Entwicklung
Kants zu neuen Erkenntnissen gesehen und verstanden werden. Erstaunlich
ist, wieviel Kant in seiner Spätschrift schon von dem vorweggenommen
hat, was Hegel dann ausführlich in seinen „Grundlinien der Philosophie des
Rechts" brachte, beachtlich ist aber auch der bleibende Gegensatz zu Hegel:
Für Hegel hat die Sittlichkeit nicht nur ein subjektives Dasein im Individuum
und in dessen Verhältnis zum anderen Menschen, sondern auch ein
objektives Dasein in Institutionen und in der Gesellschaft, für Kant aber
bleibt ilie Sittlichkeit allein in der Vernunft des Individuums begründet und
wirkt sich von daher auf die Gesellschaft und die Institutionen aus (I7()f.).
Kant hat damit sowohl die Freiheit des einzelnen von der Gesellschaft als
auch seine Verantwortung für sie bewahrt.

Mit dieser Arbeit, die zugleich seine Dissertation ist, hat der
Vf. ein interessantes und zum weiteren Nachdenken anregendes
Buch vorgelegt, auch wenn es nicht immer einfach zu lesen ist.

Neinstedt Hans Schleift'

Metzger, Hans-Dieter: Thomas Hobbes und die Englische
Revolution 1640-1660. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-
Holzboog 1991. 323 S. gr.8° = Quaestiones, 1. Lw. DM 105,-.
ISBN 3-7728-1425-5.

Die Bedeutung von Thomas Hobbes als politischer Theoretiker
und Apologetiker für den Absolutismus ist unbestritten,
Viel weniger Beachtung haben aber seine theologischen
Ansichten erhalten, obwohl in seinem berühmtesten Buch, dem