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Ausgabe:

1993

Spalte:

637-639

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

1683 - 1687 1993

Rezensent:

Holze, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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Hinsichtlich der Gliederung des Buches gibt es drei wichtige
Veränderungen. Die erste besteht darin, daß das bisherige 2. Kap.
(..Philosophie der Gegenwart"), das in einer systematisch orientierten
Einführung so etwas wie einen philosophiegeschichtlichen
Fremdkörper darstellte, aufgelöst und seinem Inhalt nach in andere
Teile (insbesondere in das neue 4. Kap.) integriert wurde. Die
/weite wichtige Veränderung besteht darin, daß das bisherige 4.
Kap. („Erkenntnis") aufgeteilt wurde in die Kap. 3 („Ichphilosophie
") und 5 („Logik und Wissenschaftstheorie"). Schließlich
wurden die philosophischen Denkwege, die sich (unter den
Begriffen „Idee", „Geist". „Arbeit", „Wissenschaft" oder „Sprache
") an der Vermittlung von „Sein" und„Ich"orientieren, in dem
neuen Kap. 4 („Der dritte Ansatz") zusammengefaßt. Durch diese
Veränderungen wird die systematische Intention des Werkes
deutlicher, indem Anzenbachcr ihm ein am „platonischen Dreieck
" (451.) orientiertes systematisches Fundament gibt. Die neue
Gliederung ist freilich insofern nicht ganz konsequent, als aus der
alten die Kapitelüberschriften „Mensch" (6) und „Gott" (8) übernommen
wurden, wo es nun eigentlich „Anthropologie" und
„Philosophische Gotteslehre" heißen müßte.

Entfallen sind aus der 1. Aufl. die Abschnitte über den positivistischen
und den neutralen Ideologiebegriff (1.4.4.2f.), über F.
Heintels universale Sprachkritik (2.5.4) und über „Selbstverwirklichung
" (2.3.4). Neu hinzugekommen sind - neben zahlreichen
eingefügten Absätzen, Einleitungen und Zusammenfassungen
- Abschnitte über J. Habermas (1.6.14), Semiotik (4.4.6), F.
Nietzsche und die Postmoderne (4.7f.), Ethik und Glaube (7.4.3)
und Menschenrechtsethos (7.5.3 anstelle des alten Abschnitts
6.4.1.3 über Christliche Soziallehre).

Eine ganze Reihe von Texten wurden gründlich überarbeitet,
insbesondere in den Kapiteln 4 und 7. In den restlichen Kapiteln
verdienen die Überarbeitungen der Abschnitte über „Dialektik"
(2.2.I.D. Kants Erkenntnistheorie (3.1.3f.), Logistik und Meta-
logik (5.1.1.3), Geschichtsphilosophie (6.4.4) und „Gott als
praktisches Postulat" (8.2.2.3) Erwähnung.

Die irrtümliche Zuweisung des Kamlah-Zitats in Abschnitt
1.3.1 an Lorenzen wurde korrigiert. Ebenso ist die vom Rez.
bemängelte undifferenzierte Kennzeichnung der Analytischen
Philosophie als „positivistisch", die sich in der I. Aufl. fand,
mm entfallen.

Durch die Aktualisierung des Literaturverzeichnisses und die
Beifügung eines Sachregisters ist die Einführung noch informativer
und benutzerfreundlicher geworden.

Anzenbacher nennt im Vorwort als „Ziel der Einführung... ein
Problembewußtsein, das im Rahmen der unvermeidlichen Grenzen
einen umfassenden Überblick ermöglicht" (5). Ihm ist -
zumindest partiell - mehr gelungen, nämlich: ein im Rahmen
der unvermeidlichen Grenzen umfassender Überblick, der ein
Problembewußtsein ermöglicht. Die damit gegebene Tendenz
zu einer größeren Offenheit und Gesprächsbereitschaft ist auch
cm Kennzeichen dieser Neuauflage.

Nürburg Wilfried Härle

Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Schriften und
Briefe 1683-1687. Hg. von U. Goldenbaum. Berlin: Akademie
-Verlag 1962. XXXIX, 495 S. 8o. ISBN 3-05-001753-8.

Der anzuzeigende Band ist der erste einer auf insgesamt fünf
Bände angelegten Studientextausgabe, mit der eine chronologisch
angelegte Auswahl von philosophisch relevanten Schriften
und Briefen aus allen Schaffensperioden Gottfried Wilhelm
Leibniz' in kommentierter Übersetzung vorgelegt wird. Mit dem
jetzt erschienenen 3. Band hat der Akademie-Verlag, von dem
auch die kritische Leibniz-Wcrkausgabe (Berlin 1950ff) verlegerisch
betreut wird, unter der Herausgeberschaft von Ursula

Goldenbaum den Anfang gemacht. Es handelt sich dabei um
Texte, die Leibniz zwischen 1683 und 1687 geschrieben hat -
Jahre, in denen er als Bibliotheks- und Holrat am Hofe des hannoverschen
Herzogs mit so unterschiedlichen Aufgaben wie mit
der Abfassung einer Geschichte des Weifenhauses, mit Gesprächen
über eine Wiedervereinigung der getrennten Kirchen und
mit dem Projekt einer Entwässerung der Gruben im Harzbergbau
durch Windmühlen beschäftigt war. Zugleich sind die 80er
Jahre für Leibniz jedoch auch ein „Zeitraum (gewesen), in dem
es ihm nach seiner eigenen Aussgc gelungen war, die grundlegenden
Schwierigkeiten bei der Erarbeitung seiner Philosophie
zu überwinden." (IX)

Die vorliegende Textauswahl gibt in diese Entwicklung, die
Leibniz in Abgrenzung von der Scholastik, vor allem aber in kritischer
Diskussion des Cartesianismus vorangetrieben hat, einen
guten Einblick. Darüber hinaus zeigt sie seine Fähigkeit, philosophische
Ideen in Auseinandersetzung mit den Problemen verschiedener
Fachrichtungen zu entfalten, also „nach dem Vorbild
der aristotelischen Metaphysik eine Philosophie zu erarbeiten,
die Grundlage nicht nur der Physik, d.h. der Naturwissenschaften
und der Medizin sein konnte, sondern auch der Logik und
der Mathematik, des Rechts, der Moral- und der Politischen
Philosophie, und die mit der offenbarten christlichen Theologie
im Einklang zu stehen vermochte." (IX) Die in den vorliegenden
Band aufgenommenen Schriften - zumeist sind es Aufsätze, die
bereits von Leibniz veröffentlicht wurden oder jedenfalls zur
Veröffentlichung vorgesehen waren - spiegeln diese Themenvielfalt
und das damit verbundene philosophische Interesse
wider. In die Zeit des Umbruchs und der gedanklichen Klärung
fallen die 1683-1686 verfaßten Schriften: „Betrachtungen über
die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen" (28-36). „Über eine
allgemeine Synthesis und Analysis" (37-47), „Die Unterscheidbarkeit
von realen und imaginären Phänomenen" (48-53) und
„Eine populäre und eine vollkommenere wissenschaftliche
Lehrmethode" (54-58). Das literarisch außerordentlich produktive
Jahr 1686 bringt dann den Durchbruch. In seinem „Kurzen
Beweis eines bemerkenswerten Irrtums Descartes'" (61-65) erörtert
Leibniz das philosophische Problem, ob die Materie auf
den Begriff der Ausdehnung reduziert werden kann. Er verbindet
damit die Absicht, „die Cartesianer in der Diskussion zu dem
Eingeständnis zu bewegen, daß die cartesische Philosophie gerade
das nicht leistete, was sie versprach - eine metaphysische
Grundlage der Neuen Physik zu sein." (XV)

Leibniz bleibt bei der Kritik jedoch nicht stehen, sondern
beginnt noch im gleichen Jahr damit, die eigene Position zu entfalten
. Zu diesen Schriften gehören „Ein gewisses allgemeines
Prinzip, das nicht nur in der Mathematik, sondern auch in der
Physik nützlich ist" (72-82), „Elemente der Vernunft" (83-102)
und „Allgemeine Untersuchungen über die Zerlegung der Begriffe
und Wahrheiten" (103-167). In seinem Brief an Simon
Poucher (66-71), einen Vertreter des Skeptizismus, und ausführlicher
in seiner „Abhandlung über Metaphysik" (168-226) gibt
er dann erstmals „eine relativ geschlossene Darstellung seines
philosophischen Systems" (XV). Dieses ist in einer Zeit, die
ebenso von den Folgen des dreißigjährigen Krieges wie von andauernden
Religionsstreitigkeiten geprägt ist. vom Gedanken
der Synthese geprägt - eine Grundintention. die sich auch in den
Unionsverhandlungen mit Bischof Spinola und in der Forderung
gegenseitiger Toleranz widerspiegelt. Neben die Aufsätze ist in
die vorliegende Studientextausgabe aus dem umfangreichen
Briefcorpus eine Reihe von z.T. gekürzten Briefen gestellt worden
. Diese sind an den Mathematiker und Cartesianer Ehren-
fried Walther von Tschirnhaus (59f), an den dem Pietismus nahestehenden
sächsischen Kanzler Veit Ludwig von Seckendorf!'
(1-27), an den führenden jansenistischen Theologen Antoine Ar-
naud sowie an den Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels
(227-361) gerichtet. In diesen Briefen - z.T. werden auch die