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Ausgabe:

1993

Spalte:

42-43

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schulze, Manfred

Titel/Untertitel:

Fürsten und Reformation 1993

Rezensent:

Blaschke, Karlheinz

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. I

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..modernen" Nachdrucke bedeutet einen Meilenstein für die Calvinforschung
, die in den letzten Jahrzehnten in der ganzen Welt
aufgeblüht ist. Das bibliographische Standardwerk liegt nun vor.
Nimmt man hinzu, daß in diesem Jahr noch der erste Band einer
kritischen Neuausgabe der Werke unter dem Titel Opera Omnia
Joannis Calvini im selben Verlag erscheinen wird, so erhält die
Forschung nun die Voraussetzungen und Hilfsmittel, die sie so
dringend benötigt, um effektiv weiterzuarbeiten.

Der Band enthält in chronologischer Reihenfolge die Editionen
der Werke Calvins in den Originalsprachen Latein und/oder
Französisch und in deutschen, englischen, italienischen, niederländischen
und tschechischen Übersetzungen von 1532 bis
1554. Ein zweiter Band wird bis zum Tod Calvins 1564 reichen
(13) und den Teil I (theologische, literarische und juridische
Werke) abschließen. Ein dritter Band wird Teil II enthalten, die
ekklesiologischen Werke, bei denen Calvin evtl. im Kollektiv
gearbeitet hat. und Teil III, die Werke, an denen Calvin durch
Vorreden mitwirkte. Die Aufteilung in die Teile I und II hat den
Nachteil der Trennung von (aus Calvins Sicht) zusammengehörenden
Schriften, aber den Vorteil der Berücksichtigung seiner
Rolle als„organisme-auteur" und„collectivite auteur" (13).

Schwierigkeiten bereitet die Titelangabe „im 16. Jahrhundert
". Da der Band II bis 1564 reichen wird, ist offensichtlich
nicht an eine Darstellung bis 1600 gedacht. Die Übersetzung
etwa der Schrift 43/6 ins Deutsche unter dem Titel „Weß sich
ein Christ, der die Wahrheit des heiligen Evangeliii erkant und
angenommen hat, unter den Papisten verhalten" usw., Herborn
1589. wird also fehlen.

Die verschiedenen Drucke sind leicht auffindbar, da sie jahrgangsweise
gezählt werden, also 49/1, 49/2 usw. Das Titelblatt
ist jeweils abgebildet und der Druck in allen Einzelheiten beschrieben
. Es wurden mehr als 550 Institutionen angeschrieben,
aus 274 Bibliotheken werden Exemplare nachgewiesen. Doch
könnte ihre Zahl noch erhöht werden, z.B. fehlt die Fürstliche
Bibliothek Burgsteinfurt und in die Bibliothek des Arnoldinums
Burgsteinfurt.

Besondere Sorgfalt ist auf die historische Einleitung zu den
einzelnen Schriften verwandt. Dort wird das Quellenmaterial zur
Entstehung und Wirkung der jeweiligen Schrift zusammengestellt
. Eine Beurteilung wird aus guten Gründen vermieden. Sie
würde den Wert der Bibliographie mindern, weil sie vom Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnis abhängig sein würde. Eine
ähnliche historische Einleitung zu den Schriften Calvins hat W.
DeGreef. Johannes Calvijn, zijn werk en geschriften, Kampen
1989. vorgelegt. Es empfiehlt sich, beide Bücher zur Hand zu
nehmen.

Der Inhalt der Bibliographie überrascht. Es werden 164
Drucke aufgeführt. Darunter sind nicht weniger als 26 Übersetzungen
in die fünf genannten europäischen Sprachen. Besonders
auffällig ist die große Zahl der Drucke, Nachdrucke und
Übersetzungen der drei Schriften Calvins gegen den Nikode-
mismus (1537, 1543 und 1544). Ich zähle bis 1554 alleine 17.
Sie fanden besonders große Beachtung. Das gleiche gilt auch
von den 13 Drucken des Kleinen Abendmahlstraktats von 1541.
Wie nicht anders zu erwarten, gibt es viele Nachdrucke der In-
stitutio oder ihrer Teile, in den Originalsprachen oder in Übersetzungen
.

Der Forscher wird auch die jeweils letzten Anmerkungen
beachten: »Reedition moderne« und »Edition critique«. Sie
geben Auskunft über die Nachdrucke im letzten und in diesem
Jahrhundert (allerdings nicht über die neueren Übersetzungen).
Zumeist wird das Corpus Reformatorum angeführt. Einige Abdrucke
in den Opera Selecta sind ausgelassen. Auch fehlt die
ganze siebenbändige Ausgabe von A. Tholuck (1831-1838).
Die Erwähnung der Absicht R. Peters, die Fürstenberg-Schrift
zu edieren (56). gehört nicht in eine Bibliographie.

Im übrigen sind die Angaben in dem schmucken Band sehr
exakt. Das Buch ist ein Gewinn für die Wissenschaft, der nicht
leicht überschätzt werden kann. Man kann gespannt sein auf die
nächsten beiden Bände.

Ostbevern Wilhelm H. Neuser

Schulze, Manfred:Fürsten und Reformation.Geistliche Reformpolitik
weltlicher Fürsten vor der Reformation. Tübingen:
Mohr 1991. VII, 231 S. gr.8° = Spätmittelalter und Reformation
, Neue Reihe, 2. Lw. DM 138.-. ISBN 3-16-145738-2.

Das Thema „Fürsten und Reformation" ist keinesfalls außer
Konjunktur, wie es im Vorwort bemerkt wird, zeigen doch die
im Literaturverzeichnis enthaltenen Arbeiten von Bubenheimer
(1985), Dittrich (1984), Ludolphy (1984), Sieglerschmidt (1987)
und Wartenberg (1988) durchaus ein anhaltendes Interesse an
ihm. Davon abgesehen steigt die Arbeit mit einem ausgeprägten
Problembewußtsein in das Thema ein: Fürsten haben die Reformation
gerettet und zerschlagen, sie haben sich tief in den Kampf
um die rechte Lehre hineinziehen lassen und sind selber zu Akteuren
geworden, sie haben geistliche Entscheidungen getroffen,
die über rein biographische Erklärungen hinaus die Frage nach
politischen Leitvorstellungen aufwerfen. So wird die Einleitung
zu einem imponierenden Lehrstück gründlicher Sach- und Literaturkenntnis
über die Reformationsgeschichte auf einer
hohen Ebene der Verallgemeinerung mit einem umfassenden
Wissen um Voraussetzungen und Wirkungen und einem sicheren
Blick für die aktuellen Bezüge. Der Ansatz für die Untersuchung
im 15. Jh. legt besonderen Wert auf die Entstehung des
landesherrlichen Kirchenregiments vor der Reformation, die
somit auch von dieser Entwicklungslinie her gesehen als die logische
Fortsetzung und Vollendung von bereits bestehenden und
vorwärtsdrängenden Verhältnissen verstanden wird. „Die Verbindung
von Reform und Herrschaft gehört nicht zu den Schöpfungen
, sondern zu den Voraussetzungen des 16. Jahrhunderts".

Eine Übersicht über ausgewählte deutsche Territorien belegt
die Herausbildung des Kirchenregiments im frühmodernen Staat,
der gerade dadurch zum Staat wird, daß er die Verfügung Uber
die Kirche in Anspruch nimmt. „Im Bereich der Kirchenpolitik
beginnt die Neuzeit bereits im 15. Jahrhundert" - ein kluger,
inhaltreicher, zu weiterem Nachdenken anregender Satz. Das
geistliche Heil der Landesbewohner ist keine nur innerkirchliche
Angelegenheit, sondern eine Aufgabe für den Landesherrn.

Das Hauptaugenmerk des Buches gilt den Verhältnissen in
Sachsen, wo einmal die Reformen unter Herzog Wilhelm III.
im thüringischen Raum, zum andern jene der Ernestine!' und
Albertiner nach 1485 im gesamten wettinischen Herrschaftsbereich
untersucht werden. Herzog Wilhelm, der selbst ein durchaus
unchristliches, teilweise schändliches Leben führte, trat in
seiner Landesordnung von 1446 und mit seinen Bemühungen
um Klosterzucht und Gottesdienst für die Kirchenreform ein,
wozu er den Auftrag nicht etwa vom Papst, sondern unmittelbar
vom göttlichen Recht ableitete. Dem Reformationsjahrhundert
geht das Reformjahrhundert voraus, in dem der Landesherr
Rechte über die Kirche usurpiert und die geistliche „Effektivität
" kirchlicher Institutionen weniger aus moralischen, als
vielmehr aus politischen Gründen verbessert, denn die in einwandfreier
Qualität erbrachten geistlichen Leistungen sind eine
Voraussetzung für die psychische Stabilisierung und die soziale
Integration der Gesellschaft - so läßt sich das etwa mit heutigen
Begriffen ausdrücken. Nicht Machthunger auf Kosten der Kirche
oder religiöse Empfindsamkeit leiteten die Maßnahmen der
Fürsten, sondern die innenpolitisch gedachte Sorge um die
Abwendung geistlichen Schadens von Land und Leuten.