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Ausgabe:

1993

Spalte:

630-632

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Jakubowski-Tiessen, Manfred

Titel/Untertitel:

Sturmflut 1717 1993

Rezensent:

Schilling, Johannes

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Theologische Literaturzeitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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Anliegen gewahrt oder entworfen zu sehen. So verschiedene
Männer wie Hegel und Schopenhauer interessierten sich für diesen
Prediger. Hundert Jahre lang wird editorisch und interpretierend
viel an Eckharts Werk gearbeitet. 1980 nahm das Generalkapitel
der Predigerbrüder eine angelsächsische Anregung auf und
berief eine Expertenkommission, um für eine Revision der Verurteilung
von 1329 eine Dokumentation zu erarbeiten. Willehald
Eckert/Walberberg, Alois M. Haas/Zürich, Ruedi Imbach/Freiburg
/S.. Heinrich Stirnimann/Luzern, Loris Sturlese/Pisa und
Edouard H. Weber/Paris bildeten die Eckhart-Kommission. Als
Mitarbeiter wurden NikiausLargier/Zürich,Georg Steer/Eichstätt,
Frau Tiziana Suärez-Nani/Freiburg/S. und Winfried Trusen/
Würzburg gewonnen.

Acht Studien aus der Arbeit dieser Konimission liegen in diesem
Buch vor. Ihre Lektüre empfiehlt sich nachdrücklich; dieser
Querschnitt ist sehr geeignet, eine breitere Gruppe interessierter
Wissenschaftler über den gegenwärtigen Stand unserer Bemühungen
um Eckhart zu unterrichten.

Der Hg. Stirnimann rezensiert im Epilog selbst die vorgelegten
Arbeiten, nimmt damit dem Rez. diese Arbeit fast ganz ab,
jedenfalls kann der Leser in diesem Epilog sein Verständnis der
Aufsätze überprüfen und vertiefen. Daß Eckharts Selbstver-
ständnis, ein Mann der Kirche zu sein, gerechtfertigt ist, machen
alle Beiträge dieses ausgezeichneten Bandes deutlich. Der Hg.
zitiert G. Scholem, Mystik trete nicht in klassisch zu nennenden
Zeiten der Religion, sondern in nichtklassischen, in Zeiten des
Umbruchs auf. Was mag Scholem da gemeint haben'.' Gab es je
Zeiten fraglos geltender, gültiger Religion, Zeiten, in denen der
äußere Gestus und das äußere Wort der Religion selbstverständlich
tief genug war, um Menschen zu prägen?

Der erste Aufsatz, von Sturlcse, stellt schematisch die Akten
zusammen, die unsere Kenntis vom Eckhart-Prozeß begründen,
vom l. August 1325 bis zum 11. April 1331.

Winfried Trusen hat seine Forschungsergebnisse zum Prozeß,
1988 in 1. Aull, erschienen (eine 2. erg. Aufl. ist angekündigt)
zusammengefaßt auf rund 20 Seiten dargestellt. Der Rechtshi-
storiker kann Wesentliches zum Veständnis des Prozesses darstellen
, der Philosophie- und Theologiehistoriker ist da auf solche
Hilfe angewiesen. Veranlassung und Charakter des Kölner
Verfahrens, die davon zu unterscheidende Verfahrensebene in
Avignon werden dem Leser erklärt, auch was die Formulierung
„verba prout sonant" bei der Zensurierung von 1329 besagt,
wird erläutert. Die differenzierten Ergebnisse von Trusen sind
außerordentlich wichtig, auch für eine breite Öffentlichkeit, die
ihr Bild von Kirche revidieren müßte.

Tiziana Sudrez-Nani untersucht die Sätze, die in der Bulle von
1329 zensuriert worden sind. Sic stellt sie in den Zusammenhang
der Philosophie- und Theologiegeschichte. Dabei gelingen ihr
wichtige Verdeutlichungen, z.T. von einzelnen Ausdrücken.
Edouard-Henri Weber stellt Eckhart in die »grandc tradition theo-
logique«. Natürlich meint „groß" hier die klassische Theologie,
auch der griechischen Väter. Die Studie macht aber auch deutlich,
in welcher Weile und Breite Eckhart die Tradition aufnahm.
Nicht nur Eckharts Verbindung von „Lesen"' und „Leben" zeichnet
ihn aus. auch seine Gelehrsamkeit. Wenn, rückblickend auf
Avignon, so viel juristisches Interesse beim Kirchenleitenden
Lehramt auftritt, muß einmal reflektiert werden, was das für die
geistliche Situation der Theologie bedeutet. Weber stellt heraus,
wie die große Tradition die Wandlung des Menschen /um Thema
hat. Auch der Vorwurf, Eckhart sei Pantheist, wird entkräftet.

Georg Steer untersucht die Authentizität der deutschen Predi-
ten Eckharts und erhellt wichtige Aspekte der Predigttätigkeit
des Predigerbruder Eckhart vor Laienhörern und -hörerinnen.

Loris Sturlcse. J. Kochs Impuls weiterführend, geht dem
Nachwirken Eckharts trotz Zensurierung nach.

Nikiaus Largier überschrieb seinen Beilrag „Meister Eckhart
und der Osten". Über drei engbedruckte Buchseiten umfaßt die

diesem Beitrag beigegebene Bibliographie der hier behandelten
komparatistischen Ansätze.

„Aktualität und Normativität Meister Eckharts" nannte der
bekannte Eckhartforscher Alois M. Haas seinen Beitrag. Normativ
, dieses Prädikat soll jemandem zukommen, der in einem Lebenszusammenhang
eine gewisse Form der Unbedingtheit sichtbar
macht: Eckhart tut das in der Nachfolge Christi. Daran sind
viele Eckhartdeutungen zu messen. In der Mitte des Haas'schen
Aufsatzes steht das Verhältnis von Wissen und Glauben - die
Überlegungen des Autors führen den Leser zu einer Form der
docta ignorantia im Sinne Augustins und des Kusaners. Wie
schon erwähnt, beendet der kommentierende Epilog des Hg. dieses
wichtige Buch.

Rostock Peter Heidrich

Aili, Hans |Ed.|: Sancta Birgitta. Revelaciones Book IV. Stockholm
: Almquist & Wiksell Intern. 1992. 416 S. 4» = Kungl.
Vitterhets Historie och antikvitets Akademien, Stockholm.
Kart. SEK 300.-. ISBN 91-7402-217-2.

Über die Neu-Edition der Werke der heiligen Birgitta von
Schweden hatte ThLZ 102, 1977, 892f. berichtet: Damals war der
5. Band der 1956 begonnenen Reihe erschienen, die Klosterregel
für das Kloster Vadstena (Regula Salvatoris, ed. S. Eklund.
1975). Danach erschienen die Bände Revelaciones I (ed. C.-G.
Undhagen, 1978), Revelaciones VI (ed. B. Bergh, 1991), Quatuor
Orationes (ed. S. Eklund, 1991) sowie der jetzt vorliegende Band.
Der größte Teil ist der Liber Alfonsi, der die Kapitel 1-130 ausmacht
; mit ihm enden viele Manuskripte: „Hie est finis quarti
libri secundum Alphonsum" (371). Jener Alfonso Pecha de Vada-
terra, vormals Bischof von Jaen, bemühte sich als Beichtvater der
I ledigen Birgitta um deren Heiligsprechung. Mehrere Manuskripte
tles Textes entstanden 1377. Nach dem Tode Papst Gregors XI.
1378 gab es neue Bemühungen um Birgittas Heiligsprechung
unter Papst Urban VI.; dazu entstand die zweite Fassung mit weiteren
Texten: einer Engelerscheinung auf dem Monte Gargano
(IV,313 = S. 372), einem Tractatus revelacionum beate Birgitte
ad sacerdotes et summos pontifices (IV,132-135 = S. 373-382)
sowie einem Tractatus ad summos pontifices (IV, 136-144 = S.
383-401). Probleme der Textgestaltung werden gründlich erörtert
(17-58). Besonders wichtig ist die Editio prineeps von Bartholo-
maeus Gothan in Lübeck 1492; sie erschien zum 100. Jahrestag
der Heiligsprechung Birgittas am 7. 10. 1391 (31). Auch die jetzige
Edition nimmt auf diesen Gedenktag bezug: „Scriptum in
Wadzstenom die sanetae Birgittas anno Domini MCMXCI. qui
annus sescentesimus fuit Birgitta canonizata" (8).

G. H.

Kirchengeschichte: Neuzeit

Jakubowski-Tiessen, Manfred: Sturmflut 1717. Die Bewältigung
einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit. München
: Oldenbourg 1992. VII, 315 S. gr.8" = Ancien Regime.
Aufklärung und Revolution, 24. geb. DM 118,-. ISBN 3-486-
55939-7.

„Die Christ=Nacht war die Zeit / da Jeverlandes Blüthe
Durch Sturm aus NordNord=Wesl zum Untergang gebracht /
Durch Sturm / der schon zuvor das bebende Gemüthe
Mit seinem steten Grimm und Wuht verzagt gemacht /

Der in der weiten See die Wellen aufgetrieben /
Wodurch die Teiche sind früh Morgens aufgerieben."