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Ausgabe:

1993

Spalte:

627-628

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kandler, Karl-Hermann

Titel/Untertitel:

Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft, 19 1993

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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627

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

628

Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesell-
schaft 20: Weisheit und Wissenschaft. Cusanus im Blick
auf die Gegenwart. Akten des Symposions in Bernkastel-
Kues und Trier vom 29. bis 31. März 1990. Hg. von R.
Haubst u. K. Kremer. Trier: Paulinus 1992. 286 S. gr.8o.
Kart. DM 42,-. ISBN 3-7902-1361-6.

Dieser Band enthält ausnahmslos die Akten des Symposions.
Letztmalig hat R. Haubst (mit K. Kremer) einen Band herausgegeben
. Der langjährige Initiator der Symposien und Vorsitzende
des Wiss. Beirates der Cusanus-Gesellschaft ist im Sommer
1992 verstorben. Die Cusanus-Forschung erleidet durch seinen
Tod einen großen Verlust.

Das Symposion war diesmal nicht einer bestimmten Schritt,
sondern einem Thema gewidmet, wobei natürlich die Schriften
Idiota de sapientia, Idiota de mente und De venatione sapientiae
besonders - dem Thema entsprechend - berücksichtigt wurden.

Der Festvortrag von R. Haubst ..Das Neue in De docta igno-
rantia" war dem 450. Jahrestag der Abfassung dieser bekanntesten
Schrift des Nikolaus von Kues (NvK) am Abfassungsort
selbst (Kues) gewidmet. Der Vortrag bietet eine großartige Zusammenfassung
der cusanischen Gedanken, eingebettet in den
geistesgeschichtlichen Zusammenhang. Der Ref. verdeutlicht,
wie NvK sein Axiom präzisiert: ..Je tiefer wir unser Nichtwissen
erfahren haben und über dieses ,belehrt' sind, umso näher
kommen wir der Wahrheit" (3 1; 1,3). NvK sieht, daß Gott in der
Menschwerdung seines Sohnes „nicht nur einem subjektiven
Verlangen von irgendwelchen Menschen" entspricht; „in ihr hat
Gott vielmehr das Ziel erschlossen, auf das hin Er auch schon
von Grund auf die Welt und den Menschen erschaffen hat"
(42); für ihn liegt die „Heilsbedeutung der ,Geheimnisse des
Lebens Jesu'...(in) einer Communio-Christologie, die das Heilswirken
Gottes in Christus ins Zentrum der ganzen christlichen
Spiritualität... und der Gemeinschaft der Gläubigen in der Kirche
rückt" (44f.).

Nach G. Santinello („Weisheit und Wissenschaft im cusanischen
Verständnis. Ihre Einheit und Unterschiedenheit") spielt in
den Idiota-Schriften der Redner „die Rolle jenes neuen Gelehrten
, der durch die humanistische (!, also nicht: scholastische -
K.) Bildung die neue Figur des Wissenschaftlers darstellen kann.
Die Weisheit des Idiota dagegen ist jenen Laien eigen, die wie
Petrus und Johannes in der Apostelgeschichte als 'homines sine
litteris et idiotae' erschienen sind..." (58). Demnach müßte diese
Schrift NvK auch selbstkritisch gemeint haben. „Weisheit (ist) in
ihrem reinen Wesen nirgends anzutreffen", nicht im Bereich des
Intellekts, sondern höchstens jenseits „aller menschlichen Fähigkeiten
, im Schweigen und in absoluter Vision" (66).

Nach K. Reinhardt („Christus - ,Wort und Weisheit' Gottes
") ist bei NvK Christus die schöpferische Weisheit Gottes.
Der Name Weisheit rückt immer mehr neben den Namen Wort
Gottes, wobei NvK den Kirchenvätern (Athanasius!) folgt.
„Erst der Mensch ist fähig, das Buch (der Schöpfung - K.) zu
lesen und die Weisheit zu erfassen. So ist er das lebendige
Buch, das lebendige Abbild der Weisheit Gottes" (84). „Für
eine sapientiale Christologie bildet sich das Kreuz die größte
Herausforderung", NvK sieht es aber als die „höchste Offenbarung
der göttlichen Weisheit" (94).

K. Kremer referierte über „Weisheit als Voraussetzung und
Erfüllung der Sehnsucht des menschlichen Geistes". Der Intellekt
ist für NvK „das höchste und gleichförmigste Abbild der
göttlichen Weisheit" (105). Nur durch die Liebe kann die mens,
deren oberstes Vermögen der Intellekt ist, „wahres Wissen von
Gott" haben (128). Nach Predigt 183 bin ich durch die Weisheit
„das, was ich bin" (140).

H. G. Senger ging dem griechischen und bibliseh-patristi-
schen Erbe im cusanischen Weisheitsbegriff nach. Nach NvK
fehlt allen außer Dionysios Areopagita die „Brille", Gott als ewige
Weisheit, als Erkenntnisursprung zu erkennen. Menschliches
Wissen über Gott sei nur in intellektueller, nicht in rationaler
Erkenntnis zu gewinnen. „Nicht im Bücherwissen, sondern auf
der Straße...wird die Weisheit gefunden" (164), „die scientia lau-
dis ist die wahre Wissenschaft des Weisheitsjägers" (172).

St. Schneider ging der Frage „Cusanus als Wegbereiter der
neuzeitlichen Naturwissenschaft" nach, wurde doch diese Frage
durch Jaspers entscheiden verneint. Wohl könne die scientia
experimentalis nach NvK nie das letzte Wort sprechen, aber er
wirkt bis in die Gegenwart selbst dort nach, wo man sich seines
Namens nicht erinnert. So stand NvK schon 100 Jahre vor
Kopernikus auf einem Standpunkt, den dieser nie erreicht hat.
Der Mensch erkenne „messend" und setze damit „die Maßgabe
für den Horizont seines wisenschaftlichen Forschens" (206). Die
regula doctae ignorantiae nur könne ihn vor Hybris bewahren.

Einen großartigen Überblick gab J. Stallmach: „Der Verlust
der Symbiose von Weisheit und Wissenschaft in Neuzeit und
Gegenwart", wobei die relativ positive Wertung der New-Age-
Bewegung (F. Capra) überraschte. Das, „wogegen eine szienti-
stische Wissenschaftshaltung besonders kritisch eingestellt ist,
scheint sich geradezu mit Notwendigkeit zu ergeben: die Einbeziehung
von ,Werten', ja die Einbeziehung einer Ethik in ,die
Wissenschaft'". Denn „wo .Wissen' ganz und gar von .Gewissen
' getrennt wird, dort ist jedenfalls keine .Weisheit'" (2371.).

Es ist schon eine Tradition, daß auf den Cusanus-Symposicn
auch „östliche Weisheit" zu Wort kommt, so diesmal durch K.
Yamaki: „Die cusanische Weisheitskonzeption im Vergleich
zur ostasiatischen Weisheitstradition". Auf Ähnlichkeiten des
cusanischen Denkens zu dem von Lao-tse (im Unterschied zu
Konfuzius, den Y. mit Wenck verglich!) wurde mit zahlreichen
Zitaten verwiesen, aber „die sich unterscheidenden Lebensformen
der Idealfigur des Laien bei Lao-tse und bei Cusanus wei den
im Lebensende der beiden Denker symbolisch dargestellt"
(272).

Die ebenfalls veröffentlichte Diskussion zu den Referaten erweis
! ihr /umeist hohes Niveau. Insgesamt liegt ein Buch vor,
das das Denken des NvK von seinem Zentrum her erschließt.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Stirnimann, Heinrich, u. Ruedi Imbach [Hg.|: Eckardus
Theutonicus, homo doctus et sanetus. Nachweise und Berichte
zum Prozeß gegen Meister Eckhart. Freiburg/Schweiz:
Universitätsverlag 1992. X, 312 S. 8<> = Dokimion, II. Kart.
sFR 49,-. ISBN 3-7278-0773-3.

Unvermindert bleibt seit rund 200 Jahren das Interesse an
Meister Eckhart, dessen Leben zu Beginn des 14. Jh.s endete.
Seitdem Texte des Meisters, lateinische zumal, wieder bekannt
sind, widmen Hochgelehrte Zeit und Kraft dem Studium des
Meisters; gleichzeitig nimmt der Kreis tief frommer Gemüter,
die in Eckharts Schriften Weisung, ja, Maßstab für geistliches
Leben finden, nicht ab, er wächst eher. Daß einer Fülle des Wissens
Mangel an Weisheit gegenübersteht, weiß nicht nur der
Club of Rome, die religiöse Lage des Abendlands entspricht
solchem Bild. Wer scheint im Raum der Kirche dem inneren
Gewicht östlicher Wege Gültiges entgegensetzen zu können,
wenn nicht Eckhart? Aber just das scheint umstritten zu sein, ob
er den Raum der Kirche nicht schon verlassen hatte. Indes, Eckharts
Bemerkung über die vielen Lesemeister und die wenigen
Lebemeister rührt wohl an das persönliche Geheimnis Eckharts.
Gern sähe man den Titel dieses Buches in voller Geltung - er ist
einer Ordenschronik der Predigerbrüder entnommen, die auf
ihre Weise nicht mittrug, was die Zensurierung nach Eckharts
Tode an Schatten auf diese Gestalt warf. Verschiedene Bewegungen
des Geistes wie der Politik vermeinten in Eckhart ihre