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Ausgabe:

1993

Spalte:

611-613

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pokorný, Petr

Titel/Untertitel:

Der Brief des Paulus an die Epheser 1993

Rezensent:

Lindemann, Andreas

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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vergrößerter Gestalt hervor. Denn eigentlich muß doch auffallen
, daß Paulus nur selten und in Abwehr judaisierender Irrlehre
von seiner Person und seinem Judesein redet. Selbst von seiner
Berufung spricht er Gal 1,15f. nur in einem Nebensatz. Von wesentlicher
Bedeutung ist nicht seine Vita, sondern der erbarmende
Gott, der ruft und beruft, wie es ihm gefällt. Da nun aber
sein Ruf ihn getroffen hat, versteht Paulus allerdings sein Geschick
als exemplarischen Erweis dafür, daß die Kirche auch
unter den Völkern das eine Volk Gottes aus Juden und Heiden
zu sein und zu bleiben hat.

Damit ist aber eine grundlegende Veränderung gegenüber
allen vorgegebenen Formen eingetreten, in denen jüdisches
Verständnis vom Volk Gottes sich aussprechen konnte. Diese
Konturen drohen jedoch zu verschwimmen, wenn der Vf. urteilt
, „daß nicht die Ausprägungen konsequent jüdischen Lebens
als solche oder die ihnen entsprechende Lebensphase des
Paulus vor seiner Berufung der Umwertung unterliegen, sondern
die Übertragung der aus ihnen abgeleiteten Normen auf
die Frage des Zugangs zum eschatologischen Heil" (182). Es ist
doch wohl nicht die Meinung des Apostels, es sei nicht strittig,
was unter dem eschatologischen Heil zu verstehen sei, strittig
sei nur die Frage nach dem rechten Weg. Hinsichtlich des
scharfen Kontrastes, den Rom 10,4 bezeichnet, sollte kein
Zweifel des Urteils bleiben (zu 166). In Christus allein und nur
in ihm ist offenbar gemacht, was Gottes Gerechtigkeit beinhaltet
und wie sie zu empfangen ist. Darum treten Gesetz und
Glaubensgerechtigkeit in einen sich ausschließenden Gegensatz
zueinander.

So richtig die Beobachtung ist, daß Paulus nicht davon ausgeht
, eine neu begründete Religion zu vertreten, sondern an seiner
Identität als Israelit entschieden festhält, so deutlich zeichnet
sich doch der Gegensatz zwischen „einst" und „jetzt" ab. Zu
dem schwierigen Problem, wie sich Kontinuität und Diskontinuität
im Blick auf das Veständnis des Volkes Israel zueinander
verhalten, dürfte noch nicht hinlängliche Klarheit gefunden
sein. Indem der Vf. mit besonderer Sorgfalt auf die Bedeutung
den Ton legt, die der Kontinuität zukommt, hat er zugleich der
weiteren exegetischen Bemühung neue Aufgaben gestellt, an
deren Lösung er gewiß förderlich beteiligt sein wird.

Göttingen Eduard Lohse

Pokorny, Petr: Der Brief des Paulus an die Epheser. Leipzig:
Evang. Verlagsanstalt 1992. XXIV, 265 S. gr.8° = Theologischer
Handkommentar zum Neuen Testament, 10/11. Lw.
DM 45,-. ISBN 3-374-01389-9.

Fünf Jahre nach der Veröffentlichung seines Kommentars
zum Kolosserbrief läßt P. Pokorny die Kommentierung des
Epheserbriefes in derselben Reihe folgen; auch der ThHK hält
sich also an die verbreitete Sitte, die beiden deuteropaulinischen
Briefe von demselben Autor auslegen zu lassen. Die beiden
Kommentare sind formal gleichartig gestaltet: Dem Abkür-
zungs- und dem Literaturverzeichnis (VII-XIV; XV-XXIV)
folgt die ausführliche Einleitung (1-48), in der P. vor allem die
im Eph verarbeitete Tradition, den religionsgeschichtlichen
Hintergrund und das theologische Anliegen, das Problem der
Adressaten und des Autors sowie schließlich den Abfassungszweck
und die Gliederung darstellt. Die eigentliche Auslegung
(49-251) bietet Übersetzung, Nennung direkter Parallelen im
Kol, eine Übersicht über den Gedankengang der jeweiligen
Perikope und schließlich eine Vers-für-Vers-Exegese, die durch
insgesamt zwölf (im Druckbild leider nicht abgesetzte) Exkurse
erweitert ist. Ebenso wie im Kol-Kommentar folgt eine dog-
mengeschichtlich und systematisch orientierende „Schlußbetrachtung
" (252-265), u.a. mit überraschenden Hinweisen auf

die Bedeutung der Ekklesiologie des Eph für das Kirchenverständnis
von Jan Hus (2571"). Entsprechend der Tradition des
ThHK bietet auch dieser Kommentar eine sorgfältige, um
Objektivität bemühte Darstellung der bisherigen Forschung,
ohne daß P. seinen eigenen Standort dabei verleugnete.

In der Einleitung unterstsreicht P. im wesentlichen den überwiegenden
Konsens: Die Sprache des Eph unterscheidet sich
signifikant von der der (übrigen) Paulusbriefe: Eph ist literarisch
vom Kol abhängig (dazu 3-5 eine hilfreiche Übersicht); es
ist nur ein traditioneller hymnischer Abschnitt erkennbar, nämlich
der aus demselben Umfeld wie Kol 1,15-20 stammende
Text 2,14-17a (dazu dann im Kommentar eine knappe, aber
stringente Analyse, 1180- Eph enthält aber auch nicht-hymnische
traditionelle Stücke, die vom Vf. dann so gedeutet werden,
daß „sie der schöpferischen Bewahrung des paulinischen Erbes
unter neuen Umständen dienen können" (13). Von besonderer
Bedeutung ist die paulinische Schultradition, aber es gibt auch
Indizien dafür, daß der Vf. „einige Paulusbriefe gekannt hat"
(18).

M.K. problematisch ist die Selbstverständlichkeit, mit der P. schon in der
Einleitung erklärt, man könne „aus den Aufforderungen an die Heidenchristen
...ersehen, daß die Gemeinden in Gefahr waren, die Verbindung zum
alttestamentlichen Erbe zu verlieren" (20 mit Verweis auf 2,1 lf). P. nimmt
an, „die Spannung zwischen Juden- und Heidenchristen" sei „nach dem
Jüdischen Krieg wieder aktuell geworden" (20). „Die von der Synagoge
getrennten Christen [hatten] mit den Vorschriften des mosaischen Gesetzes
allmählich auch das Bewußtsein der Ausschließlichkeit der Gottesbeziehung
aufgegeben" (26), und die Kirche sei so „von der Anpassung an die
heidnische Lebensweise bedroht" gewesen (43); der Vf. wolle zeigen, „daß
es das konkrete soziale Milieu der Kirche mit ihrer jüdischen Vergangenheit
ist, wo man dem Herrn des Alls begegnet" (45 unter Hinweis auf 1,17-23).
Dies läßt sich vom Text her kaum verifizieren, zumal P. mit Recht mehrfach
darauf hinweist, daß die von ihm vermutete Situation sich in der Par-
änese des Eph nicht widerspiegelt (20, 43 u.ö.). P. will aber bewußt keine
Verbindung herstellen zwischen der von ihm vermuteten Position des Eph
(vor allem Eph 2,1 Iff) und „der Behandlung der Probleme /wischen Juden
(außerhalb der Kirche) und Christen": „Zur Überwindung des Antisemitis
mus brauchen wir keine Betrachtungen über die heilsgeschichtliche Rolle
Israels. Da sollte die Aufforderung zur Nächstenliebe genügen. Falls wir
das nicht ernstnehmen, helfen Spekulationen Uber Israel nicht" (264).

Im religionsgeschichtlichen Hintergrund des Eph sieht P. mit
Recht nach wie vor insbesondere die frühe, nichtchristliche
Gnosis, aber er „relativiert" ausdrücklich seine frühere These,
daß der Vf. „zu direkten Vorgängern der uns bekannten Gnosti-
ker in Beziehung stand" (23). „Eine historische Verbindung mit
den Anfängen der Gnosis ist möglich, wenn auch die Untersuchung
gnostischer Texte (einschl. des Fundes von Nag Hamma-
di) die Existenz gnostischer Gruppen in der zweiten Hälfte des
ersten Jh.s noch nicht nachgewiesen hat; sie hat jedoch bestätigt
, daß die Grundstruktur der meisten älteren gnostisehen
Systeme außerchristlich ist"(24). Dementsprechend geht P. ausführlich
auf gnostische Texte ein (etwa 176-178 zur Vorstellung
von der Kirche als Leib Christi oder 207-210 zum „Weckruf in
5,14). In der Eschatologie des Eph sei die Betonung der Gegenwart
ganz ins Zentrum gerückt, doch sei der „eschatologische
Vorbehalt" in der Ekklesiologie „mindestens indirekt erhalten
und in der Paränese ist er zum Thema geworden" (29 unter Verweis
auf 4,14-16).

In der Einleitung und im Kommentar behandelt P. eingehend
das Problem der Adresse in 1,1. Ursprünglich sei die vom
Sinaiticus und vom Codex B bezeugte „unbestimmte Adresse",
die „dem allgemeinen Inhalt der Epistel" entspreche (36); der
Brief richte sich mithin speziell an diejenigen „Heiligen, die in
Jesus Christus glauben". Die Adresse setze voraus, daß es
„unter den Heiligen auch solche gibt, die in Jesus Christus nicht
wirklich glauben" (50), was m.E. doch höchst unwahrscheinlich
ist. Ganz unklar ist mir, warum P. trotz seiner textkritischen
Entscheidung zu 1,1 vermutet, „daß die wichtigste Gruppe, die
der Epheserbrief erreichen sollte, die Gemeinde in Ephesus
war" (37; 38f folgen sehr anschauliche Informationen über die