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Ausgabe:

1993

Spalte:

604-606

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Casalini, Nello

Titel/Untertitel:

I misteri della fede 1993

Rezensent:

März, Claus-Peter

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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Nun zur inhaltlichen Aussage des Buches: Nach einleitenden,
vor allem methodologischen Überlegungen, in denen A. vor
allem im Blick auf das Generalthema des Rom, die Gerechtigkeit
Gottes, vor Verallgemeinerungen warnt (surtout lutherians,
24), leitet er zu den Fragen über, die in den einzelnen Kapiteln
beantwortet werden sollen. Er will zur Evidenz führen (26; Kursive
durch A.): »...la justification par lafoi constitue bien le
speeifique du discours paulinien, eu egard au rest du Nouveau
Testament.« Es reiche aber nicht hin, die spezifische Bedeutung
des Vokabulars zu konstatieren; erforderlich sei vor allem ein
Verstehen der paulinischen Begründungen („percevoir les rai-
sons, conjoncturelles et profondes", ib. 26). Dies sei ein langer
Weg!

Nach der Einleitung bringt A. 4 größere Abschnitte, die jeweils in 2 oder
3 Kapitel unterteilt sind: 1. Abschn.: Structure et Sens; 2. Kap.: Modele
rhetorique et justice divine; 3. Kap.: La colere et la justice divines eil Km
1,18-4,25; 2. Abschn.: Foi et Loi dans l'epitre aux Romains: 4. Kap.: L'eco-
nomie de la foi et la justice divine; 5. Kap.: Loi et justice divine; 3. Abschn.:
Israel et les Nations. Rm 9-11; 6. Kap.: Structure de Rm 9-1 1 et question de
la justice divine; 7. Kap.: Rm 9. Election et justice divine; 8. Kap.: Le salut
d'lsrael; 4. Abschn.: De l'exegese ä la theologie; 9. Kap.: L'exegese de Paul
et la justice divine; 10. Kap.: Le Dieu juste. Danach folgt eine kurze Con-
clusion.

Will man in Rom 1,16f. nach den Regeln der antiken Rhetorik
die aus einer narratio erwachsenen propositio sehen, so
würde in Rom 1,18 die argumentativ beginnen, die erst mit 11,
36 endet. Die Bestimmung eines so ausgedehnten Teiles des
Rom als argumentatio hilft wenig. Weiterführen kann nur eine
Analyse, die aufweist, wie sich die Einzelelemente innerhalb
dieser so umfassenden Grundargumentation rhetorisch und inhaltlich
zueinander verhalten. Dieses Problem sieht A. sehr
klar. Seine Lösung besteht darin, daß er innerhalb von Rom
1,18-11,36 eine Reihe einzelner »unities argumentatives« isoliert
, die ihre jeweilige propositio besitzen, nämlich sekundäre
Pröpositionen, während Rom l,16f. als übergeordnete (»princi-
pale«) Proposition zu betrachten sei; die Existenz solch sekundärer
Propositionen zeige, daß auch die einzelnen Abschnitte
der Gesamtargumentation nach dem rhetorischen Modell gestaltet
sind. So unterteilt er z.B. Rom 1,18-3,20: propositio 1,18;
narratio 1,19-32: probatio 2,1-3,18; peroratio 3,9-20 (37).

Mit dieser Konzeption hat A. eine interessante und beachtenswerte
Hypothese aufgestellt. Obwohl darin mit ihm einig,
daß Rom 1,18-11,36 in seinen Einzelabschnitten rhetorisch
transparent gemacht werden muß. des weiteren, daß der Rom
eine deutliche apologetische Intention verrät, meine ich doch,
daß mit Hilfe anderer rhetorischer Kriterien (z.B. dem Aulweis
der rhetorischen Funktion der Frage) die innere Einheit der argumentatio
besser gewahrt werden könnte. Aber wer von uns
beiden recht hat, oder vorsichtiger formuliert, wer von uns beiden
der Wahrheit ein Stück näher kommt, müssen die kritischen
Leser unserer Publikationen entscheiden. Auf jeden Fall ist aber
A.s Ansatz unbedingt in die exegetische Diskussion einzubezie-
hen und sehr ernsthaft zu erwägen.

Es ist jedoch A. zuzugestehen, daß er trotz der Unterteilungen
an der Einheit der Gesamtargumentation festhalten will.
Symptomatisch zeigt sich dies im 2. Abschn. seiner Ausführungen
, die den Glauben und das Gesetz thematisieren. So sei, wie
er sagt, der Glaube gemäß der Hauptproposition Rom 1,16f. wie
„une modalite omnipresente" gegenwärtig (110). A. will »veri-
fier l'unite et la coherence des diverses alfirmations sur la Loi
et, partant, de preparer l'analyse de Rm 9-11« (133). Und so
widmet er Rom 9-11 einen eigenen Abschnitt mit 3 Kapiteln.
Hier ist es um der gebotenen Kürze nur möglich, auf das Ergebnis
hinzuweisen: Auch diese Kapitel bringen ein essentiell theologisches
Thema: Es geht gar nicht so sehr um Israel. Vielmehr
hat das in Rom ll,25f. ausgesprochene Geheimnis essentiell
die Gerechtigkeit Gottes zum Thema (154): „il y va de Dieu. de
sa parole et de sa justice." Und so heißt es auch S. 202L:

»...ce n'est pas Israel qui constitue le centre de gravite de l'argunientati-
on, mais Dieu. II en va de sa parole, de sa puissance. de sa justice, de la
coherence de son dessein salvifique: la Situation actuelle d'lsrael met Dieu
meine en difficulle et exige une exegese precise de l'Ecriture.«

Es entspricht dem Duktus des Buches, wenn A. im abschliessenden
4. Abschnitt die Gerechtigkeit Gottes thematisch behandelt
. Bezeichnenderweise ist dieser Abschnitt überschrieben
„Von der Exegese zur Theologie". Man mag darüber streiten,
ob nicht Exegese selbst schon mit Notwendigkeit Theologie
impliziert, ob sie nicht wesenhaft theologische Disziplin ist.
Doch wie immer man hier urteilt: A. ist unbedingt zuzustimmen
, daß die exegetische Detailarbeit auf Theologie aus ist. Die
der Exegese immanente Tendenz ist Theologie! Das ist heute
leider nicht mehr so selbstverständlich.

Aufgrund neuer Plausibilitätsparadigmen haben die großen
hermeneutischen Entwürfe etwa eines Rudolf Bultmann oder
Gerhard Ebeling ihre Faszination, ihre Überzeugungskraft weithin
verloren. Nachdem die existentiale Interpretation zumeist in
sträflicher Unkenntnis ihrer philosophischen Voraussetzungen
als „individuelle Engführung" denunziert und nur von der von
Bullmann selbst etwas unglücklich geführten Entmythologisie-
rungsdebatte in den Blick genommen wurde, darüber hinaus
dann die notwendige Relation „Evangelium - Hörer des Evangeliums
/Glaubender" paralysiert wurde, hat die Exegese, inzwischen
oft in die Diffusion eines belanglosen Positivismus sich
verlierend, ihre ureigene Funktion, nämlich ihre ihr innewohnende
theologische Kraft verloren. A. hat das Verdienst, Exegese
als theologische Wissenschaft wieder bewußt gemacht zu haben
. Er tat dies, indem er zugleich den Zugang zur Theologie
des Paulus wies: Man muß sich in die Argumentation des Apostels
hineinnehmen lassen, um mit ihm zu argumentieren und so
theologisch denken zu lernen. Ob A. dabei theologisch denkenden
Exegeten wie Rudolf Bultmann oder Ernst Käsemann ganz
gerecht wird (s. 255f.!), sei dahingestellt. Und sicherlich wäre
mit ihm über die Frage der öixaioöf3vr| freoü noch einiges zu
klären. Aber es ist schon Richtiges gesehen, wenn er das letzte
Kapitel mit »Le Dieu juste« statt mit »La justice de Dieu« überschreibt
!

A. bemüht sich auch um die Aktualität des Themas (257). Ich
würde hier hermeneutisch noch energisch einen Schritt weitergehen
als er. Aber Bücher werden ja geschrieben, damit man
gerade nicht bei ihrem Inhalt stehenbleibt, sondern eben „weitergeht
". Und so bleibt am Ende der Dank des lutherischen
Rezensenten an den katholischen Theologen. Und es bleibt die
Hoffnung, daß gerade eine theologisch intendierte Exegese ihre
hohe ökumenische Relevanz besitzt.

Göttingen Hans Hübner

1 H. Hühner: Die Rhetorik und die Theologie. Der Römerbrief und die
rhetorische Kompetenz des Paulus, in: Die Macht des Wortes. Aspekte
gegenwärtiger Rhetorikforschung (Ars rhetorica IV), hg. von C. J. Classen
und H.-J. Mühlenbrock. Marburg 1992, 165-179; ders.. Biblische Theologie
des Neuen Testaments II: Die Theologie des Paulus und ihre neutestament-
liche Wirkungsgeschichte. Göttingen 1993, 239-258.

Casalini, Ncllo: I misteri della fede. Teologia de] Nuovo
Testamento. Jerusalem: Franciscan Prutting Press 1991. 772
S. gr.8° = Studium Biblieum Franciscanum. 32. $ 65.-.

Jeder Versuch, einen Gesamtaufriß der „Theologie des Neuen
Testamentes" zu entwerfen, ist „von Anfang an vor das Problem
der Verschiedenheit und Einheitlichkeit im Neuen Testament
gestellt"' und wird schon bei den methodischen Ansätzen
Rechenschaft darüber ablegen müssen, in welcher Weise er dieser
Spannung meint gerecht werden zu können. Das mit 772
Seiten recht umfängliche Werk von N. Casalini signalisiert