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Ausgabe:

1993

Spalte:

602-604

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Aletti, Jean-Noël

Titel/Untertitel:

Comment Dieu est-il juste? 1993

Rezensent:

Hübner, Hans

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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des Judentums von einer auf Land, Tempel und Priesterschafl
orientierten Religion zu einem von Abstammung und politischer
Gestalt losgelösten Glauben aufzeigen. Hellenistisches Diasporajudentum
einerseits und die (ebenfalls hellenistisch beeinflußte
) Qumrangemeinschaft andererseits halten durch Spiritualisie-
rung die Tora untergraben und dadurch dem Christentum den
Boden bereitet. Paulus, ursprünglich wie der jüdische Kosmopolit
Philo ein hellenisierter Diasporajude (3f), und Johannes, der
Taufer, Erbe des spiritualisierten Torarigorismus von Qumran
("whosc Qumran background is clear", 24), hätten die Loslösung
von Volk, Land, Tempel und damit vom Gesetz schon im
Rahmen ihrer jüdischen Existenz vollzogen. Jesus habe für seine
Anhänger, besonders die "sensitive individuals" unter ihnen,
den inneren Konflikt zwischen Spiritualisierung und Relativierung
der Tora einerseits und perfektionistischer Gehorsamsforderung
andererseits gelöst (241). Merkwürdigerweise begegnet
in diesem m.E. stark einseitigen Entwurf sogar das weitgehend
überwunden geglaubte Paulus-Bild eines an der Gehorsamsforderung
der Tora vor seiner Berufung in menschlicher Schwachheit
innerlich scheiternden Individuums (25f).

Auf den Inhalt der folgenden Einzelstudien kann hier nicht
eingegangen werden. Sic schwimmen oft gegen den Strom gängiger
Forschungsmeinungen, mit unterschiedlicher Überzeugungskraft
, aber immer detailliert und engagiert begründet. Die
Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte nimmt einen
wichtigen Platz ein. Der Aufsat/ zu den Zeloten ist ihr ganz, die
beiden zu den Pharisäern sind ihr weitgehend gewidmet. Dabei
wird das oft aktuell bedingte Aussageinteresse der Exegeten
deutlich, etwa bei der Erforschung und Bewertung des Phari-
säismus im Reformjudentum des 19./20. Jh.s oder bei der Zelotenforschung
christlicher Exegeten in den 60er und 70er Jahren
unseres Jahrhunderts.

Die Studien des zweiten Teils stehen in sachlichem Zusammenhang
mit der 1990 in englischer Übersetzung erschienenen
Monographie des Vf.s „Agrippa I" (TSAJ 23, Tübingen: Mohr).
Sie behandeln geradezu virtuos dornige Datierungsfragen der
jüdischen Geschichte des I. Jh.s n.Chr. unter Berücksichtigung
Sämtlicher in antiken Quellen überlieferten Informationen. Dabei
kommt der Quellenscheidung im Werk des Josephus erhebliches
Gewicht zu. Den Spezialisten dürfte viel Stoff zu kritischer
Auseinandersetzung geboten werden, Für die Paulus-Chronologie
ergibt sich (als Beispiel): Amtsantritt des Felix 49, des Fest-
us 56, folglich (Apg 24,27) Paulus vor Felix im Jahre 54 (239).

Schwärt/ leistet mit den hier zusammengefaßten und leichter
zugänglich gemachten Arbeiten einen hoch qualifizierten Beitrag
zur Josephus-Forschung, zur kritischen Reflexion der Methoden
und Ergebnisse moderner Historiographie und zur Erhellung
der Geschichte des Judentums, in dem das Christentum erwuchs
. Ihre Herausgabe in den WUNT ist daher sehr zu begrüßen
.

Il;ille/Saale Karl-Wilhelm Nicbuhr

Albani, Matthias: Die lunaren Zyklen im 364-Tage-Festkalender von
4QMischmerOt/4QSe (KircbL Hochschule Leipzig. Forschungsstelle Judentum
. Mitteilungen und Beitrüge 1992, 4, 3-47).

Arndt, Timotheus: Überlegungen zu Gestalt und Herkunft des Gedichts
'Kirchl. Hochschule Leipzig. Forschung!Stelle Judentum. Mitteilungen und
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Becker. Hans-Jürgen: Verstreute Yerushalmi-Texte in MS Moskau 1133
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BoHag, Michel: Die Toiah hat sieb/ig Gesichter: ein jüdischer Beitrag zur
zeitgenössischen Spiritualität (IKZ 82, 1992, 38-49).

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Woude. Kampen: Kok Pharos Puhl. House 1992. 183 S. gr.8° = Contributi-
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Haacker, Klaus: Jesus - Messias Israels .' (ETh 51, 1992. 444-457).

Horst, P. W. van der: Notices bij het thema: vrouwen in het vroege
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.lanowitz, Naomi: The Rhetoric of Translation: Three Early Perspectives
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Rendtorff, Rolf: Wege zu einem gemeinsamen jüdisch-christlichen
Umgang mit dem Alten Testament (ETh 51, 1992, 431-444).

Rohrbacher-Sticker, Claudia: Die Namen Gottes und die Namen Ma a
rons. Zwei Geniza-Fragmente zur Hekhalot-Literatur (FJB 19. 1991/92. 95-
168).

Schreiner, Stefan: Der gottesfurchtige Rebell oder Wie die Rabbinen die
Frömmigkeit Ijobs deuteten (ZThK 89, 1992, 159-171).

Seim, Jürgen: Zur christlichen Identität im christlich-jüdischen Gespräch
(KTh 51, 1992,458-467).

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lees Manuscript from Qumran Cave 4:4 QJubd (4Q219) (Bibl 73, 1992, 62-
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Veltri, Giuseppe: Die Baraita ..Drei Klassen am Gerichtstage": halakhi-
sche Prämisse und exegetische Entwicklungen (FJB 19, 1991/92, 73-94).

- : Der Fasttag in Erinnerung an die Entstehung der Septuaginta und die
MegillatTa'anit BatralFJB 19, 1991/92,63-71).

Wacholder, Ben Zion: The Fragmentary Remains of I IQTorah (Tcmple
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I IQToraha(HUCA LXII. 1991. 1-116).

Neues Testament

Aletti, Jean-Noel: Comment Dieu est-il juste? Clefs pour Interpreter
l'ep tre aux Romains. Paris: Seuil 1991. 285 S. 8° -
Parole de Dieu. Kart. IFr 130.-.

Daß Paulus ein argumentierender Theologe ist und deshalb
seine Theologie nur dann wirklich verstanden werden kann,
wenn man sich mit ihm auf den Weg seiner Argumentation
begibt, wird in der ntl. Forschung'immer klarer erkannt, Man
kann nicht einfach theologische Spitzensätze des Apostels in
ihrem „objektiven" Gehalt ..rezipieren" und dann meinen, man
habe damit sein exegetisches Pensum erledigt. Zu denen, die
Paulus als den argumentierenden Theologen wirklich ernst nehmen
, gehört Jean-Noel Aletti, Dies zeigt in besonderer Weise
sein Studie »Comment Dieu est-il juste?«. Gibt er ihr den Untertitel
»Clefs pour Interpreter l'ep tre aux Romains«, so ist das
vollauf berechtigt. Denn A. läßt sich auf die theologische Argumentation
des Paulus ein und vermag gerade deshalb, dem Leser
einige Schlüssel zum Verstehen - „Verstehen" ist hier zutreffender
gesagt als „Verständnis"! des körn zu geben. Argumentation
ist bei Paulus aber - und auch das wird der neueren Paulusforschung
immer klarer Indienslnahme des Instrumentariums
der antiken Rhetorik. Zwar zeichnet sich noch kein Konsens
darüber ab, wie im einzelnen die authentischen Paulinen aufgrund
ihrer rhetorischen Analyse zu beurteilen sind; noch nicht
einmal über ihre Klassifizierung nach den drei rhetorischen
genera ist man sieh einig. Trotz einer Reihe von Versuchen wird
man immer noch vom Status nascendi sprechen müssen. Doch
dürfte A„ was den Rom angeht, mit seiner Studie, in der er die
rhetorische Analyse für tlas Erfassen der paulinischen Argumentation
im Rom vornimmt, zumindest die Fragestellung als solche
klar erfaßt haben. Wieweit man ihm inhaltlich zu folgen bereit
ist, ist cum posterior. Ich werde deshalb im folgenden zumeist
nur referieren und lediglich in Einzelfällen kritische Anmerkungen
äußern. Wo ich sonst in Einzelfragen anders urteile, mag
man aus dem Vergleich der hier zu rezensierenden Monographie
mit meinen Versuchen über die rhetorische Analyse des Rom
ersehen.'