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Ausgabe:

1993

Spalte:

598-600

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Otzen, Benedikt

Titel/Untertitel:

Judaism in antiquity 1993

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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historischen Exegese an und weckt die Neugier, ob sich, wie der
Vf. behauptet, tatsächlich in der Interpretationsgeschichte der
Gibeon-Erzählung Vorbilder entdecken lassen für eine zeitgenössische
Auslegung, die der Entfremdung von der Bibel entgegenwirken
kann.

Bochum Dieter Vetter

Müller, Karlheinz: Studien zur frühjüdischen Apokalyptik.

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1991. 335 S. 8« = Stuttgarter Biblische
Aufsatzbände, II. Kart. DM 54,-. ISBN 3-460-06111-1.

Karlheinz Müller gehört zu jenen Theologen, deren Lebensarbeit
sich streng auf einen Fragenkomplex konzentriert, deren
Urteil von daher Kompetenz, und Tiefenschärfe gewinnt. 1972,
im Jahr des Beginns seiner Würzburger Lehrtätigkeit, wurde er
einem großen Kreis bekannt durch einen von ihm herausgegebenen
Band mit Aufsätzen zur Jesusfrage (Die Aktion Jesu und die
Reaktion der Gemeinde), dessen Spitzenaufsatz dem Thema
Jesus und die Naherwartung galt (vgl. ThLZ 99, 1974, 54-56).
Seitdem hat ihn das Problem beschäftigt, welcher Ausschnitt aus
dem Spektrum der religionsgeschichtlichen Umwelt als entscheidende
Voraussetzung für die Verkündigung und das Selbstverständnis
Jesu und der frühen Gemeinde angesehen werden
muß: nicht ein aus nachchristlichen Zeugnissen konstruiertes
..Spätjudentum", sondern die aus zeitgenössischen Quellen
erschlossene palästina-jüdische Apokalyptik. Man kann diese
Linie über die große forschungsgeschichtliche Untersuchung
(vgl. Rez. ThLZ 111, 1986, 102f.) bis zur historisch-reduktiven
Studie zur Datierung rabbinischer Aussagen (FS Schnackenburg
, 1989, 551-587) verfolgen.

Zwei Beiträge sind im Übersichtsband Literatur und Religion
des Frühjudentums (Würzburg 1973, hg. von Joh. Maier und J.
Schreiner) entnommen. Als erstes wird unter dem Titel Ansätze
der Apokalyptik (19-33 = LRFJ 31-42) der methodische und
religionsgeschichtliche Rahmen abgesteckt. Die Apokalyptik
geht nicht in spezifischen liierarischen Gattungen auf, sie erscheint
vielmehr als eine Grundorientierung, bei der an Stelle
des Blicks auf eine heilsrelevante Vergangenheit sich alles auf
die Heilszukunfl ausrichtet. Die plakativ wirkende Überschrift
Abschied von der Heilsgeschichte (175-193 = LRFJ 73-92)
greift nicht direkt, allenfalls mittelbar in eine vor Jahrzehnten
aktuelle theologische Debatte ein, sondern beschäftigt sich mit
den Geschichtssummarien der altteslamentlichen und der außerkanonischen
nachbiblischen Literatur. Der Weg führt von Dt 26
über einen modifizierten Typus, in dem nicht Taten, sondern
Gestalten herausgestellt werden (Modell: Sir 44-50) zu jenen
Stücken, die stufenweise die Auflösung des rückwärts gewandten
heilsgeschichtlichen Denkens erkennen lassen (Tiervision
aethHen 85-90; AssMos 2-10; Zehnwochenapokalypsc aethHen
93; 4Esr 3,4-27; 14,28-35; syrBar 63- 74).

Es ist die Grundthesc M.s, daß die hier in chronologischer
Folge auftretenden Zeugnisse weniger einen immanenten theologischen
Entwicklungsprozeß erkennen lassen, vielmehr Phasen
eines realgeschichtlichen Weges reflektieren. Der darin
beschlossene Übergang von der Traditionsgeschichte zu konsequenter
Historisierung läßt sich am deutlichsten in dem hier
erstmals unverkürzt wiedergegebenen Artikel Die frühjüdische
Apokalyptik, der für die TRE bestimmt war, erkennen. Der Leser
kann nun die reduzierte Fassung der Enzyklopädie (III, 205-
251) mit der ursprünglichen, um ein Dreifaches längeren Gestalt
(35-173) vergleichen. Sieht man genauer hin, so kommen nun
die Textinterpretationen und -analysen zur vollen Geltung, die
die Thesen des Vf.s erst schlüssig machen. Sie zeichnen den
Weg vom „Einbruch" der Apokalyptik als Reaktion auf die Hel-
lenisierungspolitik (Daniel) bis zur sektenhaften Verengung

(Zehnwochenapokalypse). Einordnung und Analyse der Texte
machen den Autor skeptisch gegenüber der betont positiven
Bewertung der Apokalyptik in den damals aktuellen systematischen
Einwürfen von W. Pannenberg und J. Moltmann. Sie
begründen eine Warnung, die „apokalyptische Universalgeschichte
" (die es in dieser Form gar nicht gibt) zur hermeneuti-
schen Basis einer neuen Theologie zu machen. (161)

Der apokalyptische „Abschied von der Heilsgeschichte" bietet
auch eine neuartige Erklärung für die Pseudepigraphie im
Schrifttum frühjüdischer Apokalyptik (195-228 = BZ 26, 1982,
179-207): „Die Paralyse Israels in der Gegenwart jener assidäi-
schen Apokalyptiker legte also die Wahl von Pseudonymen
nahe, deren Träger ihren historischen Standort in einer grauen
Vorzeil hatten, die noch nichts von einer für die Konstitution
Israels maßgebenden Strecke der Heilsgeschichte zwischen
Exodus, Landnahme und David wußte." (226)

Zu komplementärer Lektüre laden die beiden letzten Stücke
ein: Der Menschensohn im Danielzyklus (229-278 = Jesus und
der Menschensohn, FS A. Vögtle, Freiburg 1975, 37-80) und
Menschensohn und Messias (279-322 ■ BZ 16, 1972, 161-187;
17. 1973, 52-66). Die erste kommt zu dem Ergebnis, daß der
Menschensohn ein Engel ist und niemals die Funktion eines
Richters oder Retters messianischen Zuschnittes erhielt, so daß
Dan 7 für das Verständnis der synoptischen Menschensohnwor-
te (unmittelbar) nichts austrägt (278). Die andere belegt mit
Nachweisen von Hen bis zu den Amoräern das Bestreben, die
ursprünglich präexistente und transzendente eschatologische
(Richter-) Figur des Menschensohns in den Horizont innerweltlicher
Erwartung zu integrieren. (311) Von da aus stellt sich
erneut die Frage, wie dann die synoptischen Menschensohnwor-
te vom Erdenwirken des Menschensohns, in denen M. wie viele
andere das Spezifische des Selbstverständnisses Jesu ausgedrückt
sieht, in diese Entwicklungsrichtung einzuordnen sind.
Hier zeigt es sich, daß die Jesusfrage, von der der Vf. ausgegangen
ist, das geheime Agens seiner Arbeit an der frühjüdischen
Apokalyptik geblieben ist.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Otzen, Benedikt: Judaism in Antiquity. Political Development
and Religious Currents from Alexander to Hadrian. Transl. by
F. H. Cryer. Sheffield: JSOT 1990. 243 S. m. 1 Kte 80 = The
Biblical Seminar. Kart. £ 9.50.

Der Aarhuser Alttestamentler Benedikt Otzen legt hier eine
Beschreibung der inneren Zustände des Judentums in der griechisch
-römischen Zeit dar, die die religiöse Zusammengehörigkeit
trotz großer Spannbreite deutlich machen will. Dabei geht
es im wesentlichen um das Judentum in seiner Heimat; die Diaspora
ist nur nebenher im Blick, thematisch nur in einem Unterabschnitt
(53-58). Daher spielt auch das Thema Hellenisierung -
im genaueren Sinne dieses Begriffs - keine Rolle. Vielmehr stehen
vornehmlich die Bewegungen und Zustände in Judäa im
Vordergrund.

Kap. 1 (7-45) schildert die politisch-geschichtlichen Vorgänge
des im Untertitel genannten Zeitraums. Ein Lernbuch der Geschichtsabläufe
ZU geben, liegt nicht in der Absicht des Autors
(eine Tabelle mit den nötigen Daten wäre als Orientierungshilfe
recht nützlich!). Aber es entsteht ein sehr lebendiges Bild der
wesentlichen Vorgänge in jedem der vier Geschichtsabschnitte.
Vor allem zielt die Darstellung auf die Einsicht, welcher tiefe
Einschnitt unter der Einwirkung der seleuzidischen Herrschaft
erfolgt ist. so daß sich die Religion des nunmehrigen Judentums
von der des älteren Israel tiefgreifend unterscheidet. Überhaupt
ist es ein Vorzug dieser Darstellung aus der Sicht eines Alttesta-