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Ausgabe:

1993

Spalte:

37-38

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Dahlgrün, Corinna

Titel/Untertitel:

Hoc fac, et vives (Lk 10,28) 1993

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 1

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Nachdruck liege nunmehr auf der Unzulänglichkeit des Menschen
und auf seiner daraus erwachsenden Verzweiflung und seinen
Selbstanklagen. Die ,consolatio' oder der Trost, den nach
Gerson die Theologie bieten könne, bestehe im Grunde darin,
daß sie den Menschen dazu aufruft, seine Hoffnung auf Gott zu
richten und sein Handeln auf das biblische Versprechen in Hbr
11,6 abzustimmen: ,inquirentibus se renumerator (Deus) est'
(Gott belohnt die, die ihn suchen). Der ,Bund der Verdienstlichkeit
' hat sich aufgelöst. Was an seine Stelle tritt, ist ein ,Bund des
Suchens' (covenant of seekihg).

Burrows hebt hervor, daß Gersons Denken nicht aus dem
ockhamistischen Rahmen fällt, sondern bis zuletzt durch eine
.covenantal logic' bestimmt bleibt. Gott zu suchen wird nun der
natürliche Akt, den der Mensch aus sich heraus (ex puris natu-
ralibus) verrichten kann und den Gott kraft seines Bundes mit
seiner Gnade belohnt. Hier ist also aufs neue von einem Pakt
zwischen Gott und Mensch die Rede, welcher einer menschlichen
Initiative Raum gewährt. Zugleich aber wird jede Selbstüberhebung
des Menschen aufgrund moralischer Leistungen
ausgeschlossen. Darum konnte Gerson selber mit Recht seine
Lösung des Problems als .königlichen Mittelweg' (via media et
regia) betrachten.

Die Ekklesiologie in DCT knüpft eng an diese Soteriologie
an. Der Homo viator, der Mensch auf dem Wege zu seiner end-
gütligen Bestimmung, ist nicht nur im Anfang aufgerufen, Gott
zu suchen, er soll auf seiner Reise auch ausharren. Dies tut er,
indem er sich der sichtbaren, hierarchisch strukturierten Kirche
gehorsam unterwirft. Wie die ,neudonatistische' Haltung des
Johannes Hus für Gerson der Anlaß war, seine Soteriologie zu
revidieren, so gab dessen Neigung, die ,lex Christi' gegen die
kirchlichen Gesetze auszuspielen, dem Pariser Magister Anlaß,
seine Ekklesiologie zu modifizieren. Für ihn ist die Kirche jetzt
die Arena, wo die einfachen Gläubigen von den Priestern zu
Gott zurückgeführt werden.

Burrows hat mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag geleistet
zur Debatte über Gersons Stellung in der spätmittelalterlichen
Theologie. Die von ihm neugewonnenen und mit großer
Uberzeugungskraft vorgetragenen Erkenntnisse dürften zu weiteren
Forschungen anregen und zu weiteren Diskussionen herausfordern
.

Utrecht Eugene Honee

Dahlgrün, Corinna: Hoc fac, et vives (LK 10,28) - vor allen
dingen minne got. Theologische Reflexionen eines Laien im
Gregorius und in Der arme Heinrich Hartmanns von Aue.
Frankfurt/M.-Bern-New York-Paris: Lang 1991. VIII, 277 S.
80 = Hamburger Beiträge zur Germanistik. 14. ISBN 3-631-
44036-7.

Teil I umreißt „Theologie und Religiosität im 12. Jahrhundert
" mit dem Satz: „Die mittelalterlichen Ausprägungen von
Leidenstheologie und Schöpfungstheologie bewirken gemeinsam
eine neue Zuwendung zum Mitmenschen" (61). Als neues
Element spielt die „intensive Beteiligung der Laien und insbesondere
der Frauen" ein Rolle (62). Teil II untersucht „Rezeptionsvoraussetzungen
für theologische Inhalte höfischer Literatur
" (63-89). Teil III „Theologische Inhalte und fheologischer
Gehalt in den höfisch-religiösen Verserzählungen Hartmanns
von Aue" untersucht in Kap. 1 ..Bibelzitate" und in Kap. 2
„Biblische und religiöse Bilder" (111- 151). Das Samaritergleichnis
im Gregorius-Prolog und die Gestalt des Hiob im Armen
Heinrich haben prägende Bedeutung. Kap. 3 „Zitate kirchlicher
Autoren" (151-161) kommt zu dem Ergebnis ..einer zwar
möglichen Vermittlung gedanklicher Inhalte durch Predigten,
jedoch der großen Unwahrscheinlichkeit einer unmittelbaren

literarischen Abhängigkeit..." (161). Kap. 4 „Theologische Fragestellungen
" bezieht auch die Artusepen und Hartmanns Lyrik
mit ein (164-196). Die folgenden Kapitel sind überschrieben
„Der theologische Gehalt in den Quellen Hartmanns" (196-203)
sowie „Die Funktion der theologischen Aussagen" (203- 212).
Der Schlußteil IV betrifft „Die Religiosität Hartmanns vor dem
Hintergrund der Theologie des 12. Jahrhunderts" (213-222).

Die Autorin lehnt Deutungen ab, die Hartmann primär als
Kritiker sehen: „Das Motiv der Kritik an der Kirche ist zwar
enthalten, doch nicht so ausgearbeitet, daß es naheläge, darin
ein Hauptanliegen Hartmanns zu sehen" (213). Eher neigt die
Verfasserin zu jenen Deutungen, die „Hartmanns vordringliches
Bemühen in der Schaffung eines Ausgleiches zwischen Gott
und Welt" sehen (214). Sie arbeitet heraus, „daß die religiösen
Themen, die biblischen Motive und theologischen Aussagen in
Hartmanns Dichtungen...bewußt eingesetzt und somit durchaus
von Bedeutung sind und außerdem, daß sie nicht in allen Punkten
nur den theologischen Zeitgeist widerspiegeln" (215). Zu
Hartmanns Ansicht heißt es: „Leben in der Welt in tätiger Nächstenliebe
, christliche vita activa, ist ein Hauptanliegen Hartmanns
, das in den Artusepen ebenso zum Ausdruck kommt, wie
es in den Beispielen Gregors, der aus dem allein auf Gott gerichteten
Eremitenleben in die Welt zurückkehrt und damit für viele
Menschen heilbringend wirkt, und Heinrichs, der ein Gott zugewandtes
, vorbildhaftes Leben eingebunden in das Sozialgefüge
führt, sichtbar wird. Dem Ideal der vita apostolica, der christlichen
Armut, wird allerdings letztlich in keinem der Fälle entsprochen
. Alle Helden durchleben eine Zeit der Armut, zusammenhängend
mit Verlust oder Preisgabe ihrer sozialen Stellung,
doch für alle bringt die Rückkehr in die Gesellschaft auch erneuten
Reichtum mit sich" (216). Zur Rolle Jesu Christi sagt
die Autorin: „Die expliziten Nennungen Christi zeigen den Erhöhten
in seiner Fürsorge für die Menschen. Der irdische Jesus,
auch der leidende, wird - bildlich verschlüsselt - erkennbar in
der menschlichen imitatio Christi. Seine Lehre ist wesentliches
Element der Dichtungen - er ist unbedingt als Vorbild für
menschliches Handeln anzusehen. Christi Erlösungstat indes
und seine Mittlerschaft bleiben ausgespart" (218).

Hartmanns Frömmigkeit wird zuletzt nochmals zusammengefaßt
: „In der Hinwendung zum Nächsten, zum einzelnen wie
zu der sozialen Gemeinschaft, erfüllt der Mensch den Willen
Gottes und geht den Weg der imitatio Christi, auf dem ihm Gott
seine Gnade gewährt und der ihn zum Heil führt. Wann immer
in einer dieser Beziehungen, zu Gott, zum Nächsten oder zur
sozialen Gemeinschaft, eine Fehlhaltung auftritt, und sei es
auch unwissentlich, ist dies ein Abweichen vom Heilsweg und
fordert eine Korrektur. Sie wird, oft nach schmerzvollem Irrweg
, in der Einsicht in die Abhängigkeit von Gott durch erneutes
Unterordnen unter seine Gnade vorgenommen. Das Heil, zu
dem das richtige Verhältnis zu Gott und zum Nächsten führt,
beginnt in dieser Welt und setzt sich in der anderen Welt, im
Jenseits, fort. In diesem Heil bricht das Gottesreich, das Jesus
Christus verkündigt hat, an." (222).

Rostock Gert Haendler

Galand de Reigny: Parabolaire. Introduction, Texte criti-
que, Traduction, Notes et Index. Par C. Friedlander. J.
Leclercq, G. Raciti. Paris: Cerf 1992. 471 S. 80 = Sources
Chretiennes. 378. Fr 296.-.

Galand de Reigny ist kein bekannter Schriftsteller; Jean Leclercq
zählt ihn in der Introduction unter die „soldats inconnus'.
die es im klösterlichen Leben des Mittelalters reichlich gibt
(14). Bereits 1953 erschien ein „Gallandi Regniaccnsis Libellus
Proverbiorum" in der Revue du Moyen Äge Latin 9. ein Spät-