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Ausgabe:

1993

Spalte:

552-554

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Baldermann, Ingo

Titel/Untertitel:

Ich werde nicht sterben, sondern leben 1993

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 1 18. Jahrgang 1993 Nr. 6

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scher Gebiete und die Industrialisierung des 19. Jh.s führen
dazu, daß es um 1900 keinen Ort mit einer Gesamteinwohnerzahl
von 5000 gibt, in dem es nicht Vertreter der beiden großen
Konfessionen gibt.

Die europäische Entwicklung mit der Ausbreitung der Reformation
und Gegenreformation, die Kolonisationsbewegung nach
Südosteuropa und Rußland sowie die Entwicklung Südamerikas,
führen zu neuen Unterscheidungen zwischen „Auslandsdiaspora
und Binnen- oder Inlandsdiaspora". Und früh, also schon während
der Reformationszeit (Calvins, Melanchthons und Luthers
Briefe belegen es) kommt es zur Hilfe für „notleidende Glaubensgenossen
" (29). Während das theologische Nachdenken
über Diaspora bei Zinzendorf (1749) einsetzt (vgl. 35-37), entwickelt
der Darmstädter Hofprediger Karl Zimmermann zehn
Jahre nach der Gründung der Gustav-Adolf-Stiftung in Leipzig
zum ersten Mal so etwas wie einen konfessionellen Diasporabegriff
: Evangelische Diaspora, das sind Gemeinden oder Gruppen
unter vorwiegend katholischer Bevölkerung, die in der Gefahr
stehen, ihren Glauben in dieser schwierigen Situation zu verlieren
. Ihnen gilt es, dem Neuen Testament gemäß zu helfen. 1908
erscheint zum ersten Mal „Evangelische Diasporakunde" als Disziplin
der praktischen Theologie (E. W. Bussmann vgl. 39).

Der „Theoretiker des Diasporabegriffs" ist der Leipziger
Theologe Franz Rendtorff (1860-1937). Wie für die jüdische
Diaspora der Jahwe-Glaube das Entscheidende, von der Umwelt
unterscheidende Kennzeichen war, so ist es für die evangelische
Diaspora der christliche Glaube reformatorischer Prägung (77).
Der „konfessionelle Diaspora"-Begriff wird kritisch gewürdigt
und problematisiert (deutsche Auslandsdiaspora, Leitbild des
Landeskirchentums, ungeklärtes Verhältnis zu Diakonie und
Mission).

Zum ersten Mal versucht ein Autor, die Zeit des Nationalsozialismus
im Gustav-Adolf-Werk kritisch zu werten. Immerhin
waren der ostpreußischc Gauleiter Koch und der Leipziger Oberbürgermeister
Goerdeler, ein Mann des 20. Juli und des Widerstandes
gegen Hitler, zur gleichen Zeit im Centraivorstand des
Gustav-Adolf-Werkes Leipzig. Sehr gründlich und informativ
geht Röhrig den Begriffen „Volkstum" und „Heimat", „Auslandsdeutschtum
" und „Diaspora als Kirche" (May) nach. Er
kommt zu dem Ergebnis, daß sich der Begriff der evangelischen
Diaspora als biblisch-kirchlicher bewährt und nicht als Bezeichnung
soziologischer Gegebenheiten mißdeutet werden darf
(146).

In zwei ausführlichen Kapiteln wird die „neue Schau der Diaspora
" und „gegenwärtige Überlegungen" dargestellt (150 Seiten
). Eine gewisse „Diasporaeuphorie" weicht einem „nüchternen
Realismus". Es kommt zu einem „kontextuellen Diasporabegriff
', der sich an den Adjektiven deutlich macht: „ideologische
Diaspora", „säkulare Diaspora", „Urbane Diaspora". Ein neues
Verhältnis in der Ökumene bestimmt die Kirchen in einer „ökumenischen
Diaspora". Der Begriff wird unscharf. Aber drei
Grundtypen lassen sich ausmachen (s. 235): Diaspora als kirchliche
Minderheit in einer andersgläubigen Umgebung. Diaspora
als Funktion oder Aufgabe der Kirche. Diaspora als Wesenseigenschaft
der Kirche.

Es ist dem Autor gelungen, einen guten Überblick über 160
Jahre evangelischer Diasporatheologie zu schaffen. Wer sich mit
Kirche als Minderheit in unserer Gesellschaft beschäftigt, wird
zu dem Band greifen und entdecken, daß praxisorientierte evangelische
Theologen an dem Thema Diaspora wichtige Gedanken
für das Überleben der Kirche im dritten Jahrtausend gefunden
haben. Europas Kirchen als Diaspora existierend: ein katholischer
Autor entdeckt in der Zeit des sterbenden Sozialismus den
Weg der Christen zwischen „Volkskirche und Diaspora" (304).

Ludwigshafen Friedhelm Borggrefe

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Baldermann, Ingo: Ich werde nicht sterben, sondern leben.

Psalmen als Gebrauchstexte. Neukirchen-Vluyn: Neukirche-
ner Verlag 1990. 146 S. 8« = Wege des Lernens, 7. ISBN 3-
7887-1318-6.

- : Gottes Reich - Hoffnung für Kinder. Entdeckungen mit
Kindern in den Evangelien. Neukirchen-Vluyn: Neukirche-
ner Verlag 1991. 160 S. 8° = Wege des Lernens, 8. ISBN 3-
7887-1374-7.

- : Der Himmel ist offen. Jesus aus Nazareth: eine Hoffnung
für heute. München: Kösel; Neukirchen-Vluyn: Neukirche-
ner Verlag 1991. 229 S. 8«. ISBN 3-466-36194-X u. 3-7887-
1387-9.

Ingo Baldermann ist es seit über dreißig Jahren darum zu tun,
den „Vorsprung der Bibel" vor allen anderen möglichen Inhalten
religiöser Erziehung zu betonen. Solches ist angesichts des
Tatbestandes, daß eine große Mehrheit von Kindern und
Jugendlichen nur mit Mühe dazu motiviert werden kann, an und
mit biblischen Texten zu arbeiten, überraschend und läßt vermuten
, daß Baldermann offenbar noch andere Erfahrungen
gemacht hat oder doch für möglich hält. Wie immer, ohne positive
Erfahrungen könnte niemand so schreiben, wie das der Sie-
gener Religionspädagoge in den hier anzuzeigenden Büchern
tut.

„Ich werde nicht sterben, sondern leben" heißt der Titel des ersten
zu besprechenden Buches. Der Autor unternimmt einen Versuch
, Kindern für ihr Alltagserleben Sprache zu vermitteln, die
sie dazu instandsetzen könnte, ihr jeweiliges Geschick zu verstehen
und zu verarbeiten. Deshalb „Gebrauchstexte". Psalmen
spielen nach der Meinung B.s Deutepotentiale zu, die verstehen
lassen und so Erfahrungen ermöglichen mit den Erfahrungen.

„Die Bibel als ein Haus, in dem sich leben läßt - das habe ich
erst an den Psalmen entdeckt" (11) bekennt der Autor selbst.
Könnte das nicht auch für Kinder zutreffen, die ihr „normales
Leben" in diesen Liedern des alten Israel neu zu begreifen leinen
, und für Erwachsene, die im Gespräch mit den Psalmen
selbständige und neue Erfahrungen machen? „Luft und Liebe, zu
essen und zu trinken, Werkzeug und Geschirr - und vor allem
das Gefühl, zu Hause zu sein" in einer Sprache, die Türen und
Fenster öffnet zu neuem Leben, seien in den Psalmen zu rinden.

Das Buch ist leserfreundlich strukturiert. Der Nicht-Theologe
wird nicht zuerst davon überzeugt, daß er im Grund nichts weiß
und eigentlich eines wegkundigen Führers bedarf, um die alten
Texte aus der Fremde eines fernen Volkes zu verstehen, sondern
er wird unmittelbar mit Sprache konfrontiert, die merklich
„aus Erfahrung" spricht und ihre Leser dazu auffordert, sich ein
Stück weit auf diese Erfahrungen und ihre Deutung einzulassen.
„Meine Zeit steht in deinen Händen" spricht der Beter; „Ich
glaube aber doch, daß ich schauen werde die Güte des Herrn im
Lande der Lebendigen." ...Kurzum, das Buch führt den Leser/
die Leserin ohne weitere Belehrungen zuerst durch die mancherlei
Räume des Hauses, läßt sehen, was es da alles gibt. Keine
distanzierten Informationen eines Fremdenführers und keine
überflüssigen Erklärungen von Dingen, die auch ohne diese entdeckt
werden könnten.

Ab und zu entzündet der Autor ein Licht, das Blicke in fernere
Ecken freigibt, auch Fragen motiviert und nicht unmittelbar
Sichtbares ins Blickfeld rückt. Immer wieder hört der Leser von
Angst, aber auch von Mut. Es redet da offensichtlich jemand
aus Erfahrung: „denn du bist mein Fels und meine Burg."

Das erste, einführende Kapitel schließt nach dem Gang durch
das Haus der Psalmen mit einem Exkurs „Zur Entstehung der