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Ausgabe:

1993

Spalte:

548

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Warten in Geduld 1993

Rezensent:

Grethlein, Christian

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Theologische Literaturzeitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. 6

548

sehen Kreisen könne man heute nicht mehr a priori mit einem
„Autoritätsbonus" der Bibel rechnen. Auf dem Weg zur Predigt
wartet die Aufgabe der Verknüpfung zwischen Textauslegung
und Situationsdeutung. Der Prediger hat die Freiheit zur situationsadäquaten
Applikation biblischer Texte.

Der Aufsatz von Harald Schullze über das „sola" im Bereich
vom kirchenleitenden Handeln bespricht die Fragen an Hand
der Stellungnahmen und Maßnahmen zu Ehe und Partner-
schaftsbeziehungen kirchlicher Mitarbeiter innerhalb der deutschen
evangelischen Kirche.

In der Abteilung Religions- und Missionswissenschaft werden
wir über die Grenzen Europas hinausgeführt. Hans-Jürgen
Becker berichtet über die Afrikanischen Unabhängigen Kirchen
. Die Mitglieder dieser Kirchen kennen den Begriff „sola
scriptum" nicht, aber sie lesen die Bibel und leben aus ihr, u.zw.
im Rahmen ihrer Denkweise mit deren Ausdrucksformen und
Symbolen.

Klaus Nürnberger stellt den realsoteriologischen Ansät/ in
Drittwelttheologien als Herausforderung an das protestantische
Prinzip dar. Seine engagierten Ausführungen sind ein leidenschaftlicher
Protest gegen alle Abstraktion in der Handhabung
des „sola" in der Kirche wie auch in der Theologie.

Ulrich Sehnen bietet eine eingehende Analyse des Schriftprinzips
im Islam, wobei er die Unterschiede zwischen Christentum
und Islam ans Licht treten läßt, aber auch die Möglichkeit
einer Einigung in bestimmten Fragen von Individual- und
Sozialethik befürwortet. Wertvoll ist, daß Sch. auch das Judentum
in seine Analyse hineinbezieht.

Der Sitz im Leben dieses Kongresses kommt darin zum Ausdruck
, daß verschiedene Beiträge die Rolle der Bibel in der Kirche
und Gesellschaft der ehemaligen DDR aufzeigen. Neben
den genannten Vorträgen von Bischof Hempel und Jürgen
Henkys ist hier der lebhafte Bericht von Klaus-Peter Hertzsch
zu nennen.

Natürlich kann ein Buch wie dieses nicht vollständig sein. Dennoch möchte
ich sagen, was ich vermißt habe: In dem breiten Spektrum der in diesem
Band angesprochenen Aspekte des „sola" wird die fundamentalistische Sicht
gelegentlich kritisch erwähnt. Es fehlt jedoch eine eigentliche Analyse des
Fundamentalismus. Diese wäre willkommen gewesen, zumal der Fundamen-
lalisnius in seiner Entstehung und in seinem gegenwärtigen Auftreten eine
Reaktion auf den säkularen Zeitgeist verkörpert. Ich nenne noch einen anderen
Funkt: In verschiedenen Beiträgen wird die Notwendigkeit einer guten
Pneumatologie hervorgehoben. Es bleibt jedoch bei kurzen Bemerkungen.
Eine thematische Darstellung über Wort und Geist wäre m.E. lohnend gewesen
. In diesem Zusammenhang hätte der Beitrag Calvins - dessen Name in
diesem Buch nur selten und am Rande auftaucht - zur Sprache kommen können
. Die von ihm entfaltete Lehre des testiinonium Spiritus Sancti kann auch
für die hermeneutischen Fragen der Gegenwart fruchtbar gemacht werden.

Das Erscheinen dieses Buches ist zu begrüßen. Man kann
vieles daraus lernen. Aus allem geht hervor, daß das „sola" nicht
als Patentlösung für allerlei Probleme funktionieren kann, sondern
vielmehr eine ständige Herausforderung für das Selbstverständnis
von Kirche und Theologie darstellt. Sehr wichtig scheint
mir abschließend noch die in diesem Buch an vielen Orten direkt
und indirekt zum Ausdruck kommende Erkenntnis zu sein, daß
für die Fragen hinsichtlich der Beziehung zwischen Autorität und
Erfahrung, Glaube und Kritik usw. das Menschenbild, von dem
man ausgeht, richtungsweisende Bedeutung hat. Wird dieses
Bild geprägt durch die Polarität von Sünde und Gnade oder durch
die von Natur und Übernatur oder durch die von Natur und Freiheit
bzw. Vernunft? In allem Lesen, Verstehen, Predigen, Anwenden
der Schrift nehmen wir uns selbst ja mit. so sehr es andererseits
- zum Glück! - auch wahr ist, daß die Schrift „etwas" an
und mit uns und unseren Auffassungen tut. Diese Erkenntnis -
die auch eine Erfahrung ist - wird uns durch dieses vielfältige
Nachdenken über den Sinn des „sola" wieder klar zum Bewußtsein
gebracht und ans Herz gelegt.

Thun Jan Veenhof

Praktische Theologie: Allgemeines

Blaschke, Peter H.: Warten in Geduld. Momentaufnahmen.
Hg. vom Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr, Bonn. Hannover
: Luth. Verlagshaus 1992. 247 S. 8°. Pp. DM 28.80.
ISBN 3-7859-0624-X.

Der von H.-G. Binder eingeleitete Band ist eine dem scheidenden
Militärgeneraldekan Reinhard Gramm gewidmetes
„Arbeitsbuch" (9), das sich vor allem an Militärpfarrcr wendet
und deren Gespräche mit Soldaten fördern will. Die Weite der
in jeweils kurzen Beiträgen behandelten Fragen wird aus den
sechs Themenbereichen deutlich, die den Band gliedern: Verkündigung
in der Gegenwart (12-42); Frieden in der Welt (44-
85); Kirche im Zusammenwachsen (88-119); Militärseelsorge
im Kreuzfeuer (122-148); Brüder in der Ökumene (150-182);
Soldaten in der Pflicht (184-221).

Die damit angegebenen, grundsätzlichen Problemfelder,
innerhalb deren sich im Westen Deutschlands Militärseelsorge
vollzieht, werden von den Autoren ohne Scheu vor Konflikten
bearbeitet. Neben den Horizont erweiternden ökumenischen
Beiträgen (J. Harkness, Chaplains in the British Army; Y. Gou-
nelle, Sous le signe de la reconciliation, Z. Aranyos, Militärseelsorge
in Ungarn) dürften auf Grund der aktuellen Diskussion
vor allem die von ostdeutschen Theologen verfaßten Aufsätze
(Chr. Demke, Bewahrenswert?; H. Zeddies, Einheit ohne
Wandel; D. Rückert, Seelsorge an Soldaten ohne Militärseelsorgevertrag
; E. Graf, Erfahrungen eines Gemeindepfarrers in der
Bundeswehr Ost) Interesse auf sich ziehen.

Abschließend gewährt F.-K. Scheel mit seinem Bericht zum
Wirken Gramms „Der Militärgcneraldekan" einen kleinen Einblick
in manche Interna des Evangelischen Kirchenamis für die
Bundeswehr in Bonn. Insgesamt liegt so für an der Frage der
Militärseelsorge Interessierte ein Buch mit vielfältigen Anregungen
und Anstößen zum Weiterdenken vor.

Berlin/Halle (Saale) Christian Grethlein

Eickhoff, Klaus: Gemeinde entwickeln für die Volkskirche
der Zukunft. Anregungen zur Praxis. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1992. 364 S. 8°. Kart. DM 39,80. ISBN 3-
525-60382-7.

Ein Mann der evangelistischen Praxis legt hier ein Konzept
des missionarischen Gemeindeaufbaus vor. das sehr praktisch
orientiert und zugleich pointiert in lutherischer Theorie verankert
ist. „Gemeindeenlwicklung" sagt der Vf., um klarzustellen,
daß aller Gemeindeaulbau von Vorgaben ausgeht. Gottes Gabe
liegt vor jeder menschlichen Aufgabe. Das sola gratia ist prak-
tisch-ekklesiologisch umzusetzen. Immer wieder betont Eickhoff
den theozentrischen Ansatz: Soli deo gloria. Nicht um
Interessen der Kirche oder Gemeinde geht es, sondern darum,
daß Menschen zum Glauben kommen und Gott die Ehre geben.

Wie der Titel erkennen läßt, sieht der Verfasser eine Zukunft
für die Volkskirche, freilich nur, wenn sie dem Missionsbefehl
folgt. Durch ihn „gibt Christus der Gemeinde ihr inneres und
äußeres Prinzip" (71). Eickhoff bezieht sich oft auf biblische
Texte, um Leitmotive. Vorbilder und Anweisungen für die Gemeindeentwicklung
zu gewinnen. Er will die Idealisierung der
Urgmeinde und eine hermeneutisch unreflektierte Übertragung
auf die heutige Kirche vermeiden. Inwiefern das gelungen ist.
muß man an einigen Stellen fragen, aber insgesamt ist die biblische
Fundierung eine der Stärken des Buches.