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Ausgabe:

1993

Spalte:

541-543

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Martens, Gottfried

Titel/Untertitel:

Die Rechtfertigung des Sünders - Rettungshandeln Gottes oder historisches Interpretament? 1993

Rezensent:

Pfleiderer, Georg

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Theologische Literatur/eilung 118. Jahrgang 1993 Nr. 6

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Diese Abkürzung wurde bewutlt gewählt als eine Kurzformel für die
vielfache Gliederung der Linien, auf denen Lonergan die Intenüonulität des
Lrkennens aufspürt.

4 Vgl. dazu die instruktive Arbeit von Michael Gabel: Intentionalitat des
Geistes. Der phänomenologische Denkansatz bei Max Scheler. F.ThSt Bd.
61. Leipzig. Benno-Verlag 1991.

s Vgl. dazu auch den Beitrag von Hermann Josef Pottmeyer: Das Subjekt
der Theologie. In: Fides quaerens intellectum. Beiträge zur Tundamental-
Iheologie. Hg. von Michael Kessler. Wolfhart Pannenberg und Hermann
Josef Pottmeyer. Tübingen 1992. 545-556. Pottmeyer geht dort ausdrücklich
auf die Rolle des .Subjektes' in Lonergans Theologie ein.

Martens. Gottfried: Die Rechtfertigung des Sünders - Rettungshandeln
Gottes oder historisches Interpretament?

Grundentscheidungen lutherischer Theologie und Kirche bei
der Behandlung des 'Themas „Rechtfertigung" im ökumenischen
Kontext. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992.
428 S. gr.8° = Forschungen zur syst. u. ökum. Theologie, 64.
Kart. DM 88,-. ISBN 3-525- 56271-3.

Die Krlangcr Dissertation von Gottfried Martens hat - dem
Geleitwort des Doktorvaters Reinhard Slenczka zufolge - schon
beim Promotionsverfahren einigen Wirbel ausgelöst. „Die Tragestellung
der Arbeit (wurde) von vornherein als .unsinnige
Alternative' bezeichnet, dem Vf. .ein Gnadenmittelfundamenta-
lismus' vorgeworfen und .eine bewußte Einbeziehung des geschichtlichen
Ortes in die theologische Reflexion' gefordert" (7).
Um es gleich zu sagen: Der Rez. sehließt sich diesem kritischen
Urteil an. Die Titel, These. Thema und (teilweise) Methode der
Arbeit definierende Alternativbestimmung der Rechtfertigung
als „göttliches Rettungshandeln" versus „historisches Interpretament
" ist in der Tat unsinnig. Theorieexterne Zusammenhänge
können immer nur theorieimmanent eingeklagt werden, nämlich
innerhalb einer Theorie, welche die Differenz, um die es der
Theorie ZU tun ist. selbst theoretisch bewältigt.

Wer die gegenläufige Meinung des Autors nicht zu teilen
geneigt ist, ärgert sieh 344 Textseiten lang über die Penetranz,
mit der der Autor seine zahlreichen Gegner über die immergleiche
Klinge springen läßt. Aber: obwohl im Grunde schon mit
dem Titel des Buches die These genannt ist, obwohl das darin
enthaltene Argument von der ersten bis zu den letzen Textseiten
und bis ins Sprachliche hinein kaum variiert, geschweige denn
selbst analytisch entwickelt wird, obwohl auch ein beträchtlicher
Teil der Materialien, an welche die These kriteriologisch
angelegt wird - die wichtigsten Konsens- und Konvergenzerklärungen
des ökumenischen Dialogs seit Helsinki -, zu den bekanntesten
Texten der neueren Theologiegeschichte gehört,
trotzalledem macht man bei der Lektüre des Buches eine überraschende
Entdeckung: Man mag es nicht aus der Hand legen!

Woran liegt das? So ärgerlich schlicht die These des Buches
ist. der Autor versteht es, mit ihr ein beachtliches Potential
historisch-systematischer Analytik zu erschließen oder zu verbinden
. Er argumentiert scharfsinnig, konzise und mit großer
sprachlicher Ausdruckskraft. Und das Buch strotzt geradezu vor
wissenschaftlicher Gelehrsamkeit. Diese ist hauptsächlich im
.unterirdischen' Teil, also im Apparat vergraben, der (Literaturverzeichnis
eingerechnet) wohl die Hälfte des Textvolumens
ausmachen dürfte. Das Spannende an dem Buch ist das Ncben-
und [neinander von fundamentalistischer Dogmatil: und historisch
-systematischer Analytik.

Zuerst die fundamentalistische Dogmatik. Schon sprachlieh
dominiert das Wortfeld des Fundamentalen, des Grundes. Um
theologische ..Grundentscheidungen" (17. 54, 192) geht es, die
auf der „Grundlage des lutherischen Bekenntnisses" (17) zu fällen
sind und gleichwohl zu „Grunddiffercnzen quer durch die
Konfessionen" (206) zu führen vermögen. Die „Besinnung auf
diese Grundlagen" (56), die der Vf. als Skizze der Rechtfertigungslehre
in den lutherischen Bekenntnisschriften vorführt, ist
eine Besinnung auf die Rechtfertigung als „Wirklichkeit" (1 13.
308ff.), als „Geschehen" (113, 284) oder auch als „Vorgang"
(162). Rechtfertigung wird ontologisiert. Sie ist, wie Vf. mit P.
Brunner fast tautologisch sagt, „Grundgeschehen" (127, 219,
3221T.). Die inhaltliehe Signatur dieser ..Ursprungssituation''
(83) der Rechtfertigung wird bestimmt durch die ..Realdialektik
von Gesetz und Evangelium" (26. 83. vgl. 267). Sie ist erfahrbar
in der „Anfechtung" (323) sowie in den „kirchlichen Grundvollzügen
" (24) des Gottesdienstes, also in Wortverkündigung.
Taufe, Beichte, Abendmahl (ebd., vgl. 209, 219, 234).

Als ontologisches Grunddatum, als „Substanz der Verkündigung
" (155), ist die Rechtfertigung auch den Theologen, „auch
ihrem eigenen Leben vorgegeben" (134). Für die theologische
Reflexionsarbeit hat sie selbst „diakritische Funktion" (69). Die
„kriteriologische Bedeutung der Rechtfertigung" (209, vgl. 268)
ist dort anerkannt, wo die theologische Darstellung ihr entspricht
. Das geschieht dann, wenn diese wesentlich die „Form
der Verkündigung und des Bekenntnis(ses)" (323) anzunehmen
vermag. Als solche erhebt sie notorisch „Anspruch auf Katholi-
zität" (25) und ist niemals nur eine „lutherische Sonderposition,
sondern doctrina catholiea et apostoliea" (273, vgl. 25, 138,
344). Darum hat sie „immer auch einen polemischen Charakter"
(324) und ist im Streit um die „rechte oder falsche Verkündigung
" (192, vgl. 244) bzw. Lehre begriffen.

Polemik ist in dem Moment angesagt, wo statt theologischer
Darstellung der Rechtfertigung „Problematisierungen des
Rechtfertigungsgeschehens" (119, vgl. 131, 147) Platz greifen.
Schon die „Thematisierung des Problems" (147) von „Vexierfragen
" (115, 127, 147), die dessen denkerischer Nachvollzug
etwa auszulösen vermag, birgt in sich das Gift der „Relativierung
" (131). Dem Rechtfertigungsgeschehen wird demgegenüber
nur dann entsprochen, wenn es als Geschehen der Selbst
Vermittlung Gottes geglaubt wird. Es ist „ein pneumatisches (le-
schehen, das sich einer weiteren Thematisierung und Probleina
tisierung der Vermittlungsfrage entzieht und selbst Glauben
wirkt" (176). Wo Theologen aber Fragen aufwerten, machen sie
sich, so die Grundthese, immer schon selbst zu Vermittlern und
konterkarieren damit den Grundsinn des Geschehens. Dann
ereignet sich derjenige ..Subjektwechsel" (129, 149, 186, 221,
290, 292. 330). der die Wurzel aller doctrina falsa ist.

Doctrina falsa ist alle Theologie, die die Rechtfertigung nicht
einlach Grund sein läßt, sondern eine „Differenzierung zwischen
Grund und Ausdruck" (250, vgl. 145) vornimmt. Die

yjnetabasis eis allo genos..." ist vollzogen, wo.....die Rechtferti-

guagßlehre an die Stelle des Rechtfertigungsgeschehens gesetzt
wurde" (128, vgl. 298f.), wo somit gegen die Einsicht verstoßen
wird, „daß es sich bei der Rechtfertigung in erster Linie überhaupt
nicht um ein Interpretament, sondern vielmehr um ein
Grundgeschehen handelt" (248, vgl. 322ff.).

Der nachgerade methodische Vollzug solcher „melabasis" sei
Ausdruck und Folge der Historisierung der Theologie in der
Neuzeit. Ihr Prinzip ist die ^xiomatisierung der Geschichtlichkeit
dogmatischer und theologischer Aussagen" (182, vgl. 224).
Aus der „Substanz der Verkündigung" wird unter „Abbiendung
der Pneumatologie" (164, vgl. 174) eine „funktionale Chiffre"
(155). An die Stelle der Unmittelbarkeit des Rechtfertigungsgeschehens
, bzw. seiner Selbstvermittlung, tritt ein .„Rcflcxions-
modell'" (169). in dem die Normalisierung des discrimen legis
et evangelii zu einer - zeitbedingten - Denkstruktur" (301) statthat
.

Auf genau dieser - modernen und zugleich antimodernen -
These basiert das historisch-systematische Analysepotential der
Untersuchung. Mit einiger Plausibilität zeigt sie auf. daß die
Historisierung des theologischen Denkens selbst als der - heimliche
oder ausgesprochene, dominante oder latente - Konsens,
als Metakonsens sozusagen, im Hintergrund der ökumenischen