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Ausgabe:

1993

Spalte:

517-520

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zager, Werner

Titel/Untertitel:

Begriff und Wertung der Apokalyptik in der neutestamentlichen Forschung 1993

Rezensent:

Merk, Otto

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 6

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Die Tempelinschrift, die vor dem Betreten des inneren Tempelbezirks
warnt, droht nicht die „Steinigung" an (32), sondern sagt, daß der Übertreter
„Ursache seines eigenen Todes" sein wird.

Die Anhänger des Judas Galilaeus wurden nicht als „Zeloten" bekannt (22),
sondern die Zeloten im engeren Sinne sind wahrscheinlich eine kleine Gruppe
unter anderen Widerstandsgruppen. Der Ägypter in Apg 21.38 wird nicht mit
den „Zeloten" sondern mit den „Sikariern" in Verbindung gebracht (anders 23).

Jesus wurde „nach den Kvangelien" nicht im Jahre 4 v.Chr. geboren (20).
Zumindest Lukas sieht das anders, wenn er die Geburt Jesu in die Zeit des
Zensus des Quirinius datiert.

Caesarea wurde 6 n.Chr. nicht „Hauptstadt des Königreichs" (86); vielmehr
wurde damals eine römische Praefectur in Judäa und Samarien eingerichtet
.

S.89 wird das Gemetzel an den Griechen in Tiberias auf galiläische Bauern
zurückgeführt, die ihren Haß gegen die Stadt zum Ausdruck brachten; S.
101 sind die Täter dagegen Juden aus Tiberias. Nach Josephus wirkten
Gruppen aus Tiberias und aus dem umgebenden Land zusammen!

Die Pharisäer erscheinen nach S. 97 „erstmals im Bericht des Josephus
über die inakkabüische Königin Alexandra". Ein paar Seiten vorher wird
richtig berichtet, daß sie schon unter Johannes Hyrkan als politische Partei
hervortraten (94).

Nachdenkenswert mag die These S. 100 sein, daß die unkonventionellen
sozialen Beziehungen Jesu zu Krauen „ablehnende Reaktionen" provozierten
, „die zu Jesu Tod am Kreuz führten"; aber man kann sich dafür nicht auf
Maria Magdalena als Augenzeugin der Auferstehung berufen, zumindest ist
das ungeschickt formuliert: Hin späteres Ereignis wie diese Augenzeugenschaft
kann kaum zur Erklärung des vorhergehenden herangezogen werden.

Dies ist ihii eine Auswahl von Einzelheiten, die m.E. korrekturbedürftig
sind. Sic häufen sich besonders in Aussagen über
das palästinische Judentum. Im Bereich der antiken Stadtgeschichte
und Religionsgeschichte sowie der Ethik des späteren
Urchristentums sind die beiden Autoren ausgewiesene Fachleute
. Von den entsprechenden Abschnitten in dem Buch kann man
viel lernen, auch wenn manches unvollständig bleibt. Über die
Sklaven etwa wären G. Alföldys Forschungen heranzuziehen.
Da das Buch in einer weit verbreiteten Reihe erschienen ist,
wäre für die 2. Aufl. eine gründliche Überarbeitung notwendig.
Bis dahin kann man es leitler nur mit Vorbehalt empfehlen.

Heidelberg Gerd Theißen

Zager, Werner: Begriff und Wertung der Apokalyptik in der
ncutcstamentlichcn Forschung. Frankfurt/M.-Bern-New
York-Paris: Peter Lang 1989. XVI.517 S. 8° = Europäische
Hochschulschriften, Reihe XXIII, Bd. 358. steif kart. ISBN 3-
631-40885-4.

Nach einer kurzen Einleitung zur Aufgabenstellung und dem
Stand der Apokalyptikforschung (1-2) bietet der Verfasser im
hUtUptteil seiner Untersuchung einen weitgreifenden Forschungsüberblick
zur anstehenden Fragestellung. Der Stoff ist in drei
Epochen gegliedert: 1832-(etwa) 1860; 1860-1918 und die Phase
seit dem ersten Weltkrieg bis etwa 1960. Die letzten drei Jahrzehnte
vor Erscheinen des Buches werden bzgl. der Sachfrage
ausgespart, da hier der Vf. s.M.n. zu stark in die exegetische Diskussion
hätte eingreifen müssen (16). Im einzelnen sind die Überlegungen
so strukturiert, daß sich der Darstellung der einzelnen
Positionen je gesondert eine Bewertung anschließt.

Mit Recht setzen des Vf.s Überlegungen mit F. Lückes zur
Fragestellung maßgebendem Kommentar zur Apokalypse des
Johannes (1832) ein. ohne über den bei L. genannten frühesten
Beleg des Begriffs Apokalyptik im Sinne wissenschaftlicher Bearbeitung
jüdischer Apokalyptik positiv durch weitere Nachweisungen
noch negativ in definitivem Ausschluß eines noch früheren
Vorkommens hinauszuführen.1 Lückes an sich recht konservative
Gesamtkonzeption läßt gleichwohl zwei zukunftsweisende
Gesichtspunkte erkennen, indem er einerseits „zu zeigen
(sucht), wann und unter dem Einfluß welcher Faktoren aus der
alttcstamcntlichcn Prophetie die biblische Apokalyptik hervorgegangen
ist" (Vf.,32), andererseits aber bedenkt, wie das Verhältnis
von jüdischer und christlicher Apokalyptik zu bestimmen
ist (34f.).

Es folgt, der Eorschung chronologisch nachgehend, die Position von E.
Keuß. dessen Apokalyptikverständnis dem Lückes u.a. darin entspricht, daß
er diese als jüngsten „Zweig der prophetischen Literatur" herausstellt (41).
Gingen beider Genannten einschlägige Überlegungen von der Apokalypse
des Johannes aus, so sollte A. Hilgenfeld (1823-1907) das erste maßgebliche
kritische Werk „Die jüdische Apokalyptik in ihrer geschichtlichen Ent-
wickelung. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Christenthums nebst einem
Anhange Uber das gnostische System des Basilides"(Jena 1857), vorlegen,
dessen weiterführende Stimulanz, in Methodik und Einzeldurchführung
gegenüber der breiten Entfaltung von Lückes Kommentar (21-40) etwas ins
Hintertreffen gelangt (48-55). Denn ohne dieses Werk ist die weitere Phase
von etwa 1860 an kaum hinreichend in den Blick zu nehmen, so eigenständig
auch „die [iCÜ. zeitlichen, nicht unbedingt sachlichen] Vorläufer der
Religionsgesehichtliehen Schule" (56), O. Pfleiderer, E. Schürer, W. Bal-
densperger in ihrer Erfassung der jüdischen Apokalyptik zu sehen sind,
wobei religionsgeschichtliche Fragestellung und das Aufkommen .liberaler
Theologie' im Werden und in zu differenzierenden Wandlungen zusammentreffen
(56-87) (wie gelegentlich noch stärker zu berücksichtigen wäre). Im
Pendant und Gegenüber werden die Konzeptionen von J. Weiß und A.
Schweitzer in beachtenswerter Auffächerung ihrer Positionen entfaltet (87-
112), wobei auch R. Kabisch zutreffend in die Überlegungen einbezogen
wird (l(K)f ). nicht aber kommt die Bedeutung und der Einfluß von E. Spitta
zur anstehenden Fragestellung zum Tragen. Erst auf diesem Hintergrund
schließt sich eine eingehende Darstellung der Apokalyptik Diskussion in der
Religionsgeschichtlichen Schule and 13-171). Hier wird sachgemäß zunächst
das Interesse an der speziell jüdischen Apokalyptik aufgedeckt (bes.
bei H. Gunkel und W. Bousset), das nach dem Vf. etwa 1903 umschlage, da
von diesem Zeitpunkt an die Erforschung der Gnosis in den Vordergrund
trete. Diese richtige Beobachtung wird allerdings insofern nur begrenzt ausgewertet
, als die Verhältnisbestimmung Apokalyptik - Gnosis dann doch in
der forschungsgeschichtlichen Nachweisung etwas zu knapp gerät. In einem
weiteren Abschnitt wird die liberale Position in Abgrenzung und Reaktion
auf die Religionsgeschichtliche Schule und die Konsequente Eschatologic
gewürdigt (171-195), wobei, dem „Einfluß Albrecht Ritschis" zugeordnet
(vgl.l7lff.)2, die in sich weitaus differenzierteren Richtungen liberaler
Theologie nicht in den Blick treten, aber die anstehende Sachdiskussion bei
H. J. Holtzmann. J. Wellhausen. B. Duhm. A.v.Harnack lehrreich skizziert
wird (in einem „Anhang" werden bedeutsame, doch recht unterschiedliche
Positionen subsumiert: P.Volz. R.H.Charles [181-195]).

Die Situation nach dem ersten Weltkrieg bis zum Ende der
50er Jahre sieht der Vf. hinsichtlich seiner Fragestellung zunächst
in der weitergeführten Diskussion, die am Anfang dieses
Jahrhunderts zwischen W. Boussei und F. Perles über die ..Existenz
eines .offiziellen Judentums'" bereits vor 70. n. Chr. oder
erst nach der Zerstörung Jerusalems stattfand, dahin ausgerichtet
, wie G.F. Moore die „Theorie eines .normativen Judentums'"
in ihrer Auswirkung auf die Beurteilung der Apokalyptik sah:
Es gelte, „die Religion des Judentums in der Gestalt darzustellen
, in der sie gegen Ende des 2. Jahrhunderts, n. Chr. allgemeine
Akzeptanz und Autorität erlangte" (Vf.,200ff.).

Hier kritisch anknüpfend betont 0, Kittel mit Perles und Moore die nicht
hinreichende Berücksichtigung rabbinischer Literatur bei W. Bousset
(202ff.), während H. Greßmann im ganzen Boussets Position aufgreifend
das hellenistische Judentum bzgl. der Apokalyptik deutlich einbeziehen
möchte, denn hier „liege" „der .Keim zu einer neuen gewaltigen Entwicklung
... nämlich der des Christentums" (bei Vf.,206). Damit war letztlich
ein Streit in der Sache aus dem 19. Jahrhundert teilweise neu aufgegriffen:
Während H. Greßmann der Apokalyptik große Bedeutung zumißt, ja die
Apokalyptiker als ...Majorität des Volkes'" bezeichnet, „denn die Apokalyptik
sei (genau so wie die Evangelien) die Literatur der kleinen Leute, der
.unliterarischen Schichten'" (bei Vf..205), bewertet Kittel die Apokalyptik
als keineswegs vom hellenistischen Judentum beeinflußt „durchweg negativ
" (207; vgl. 2()2ff.). Im Unterschied zu den Genannten dagegen möchte J.
Jeremias Apokalyptik und Rabbinismus nicht verschiedenen „Trägerkreisen
" zuweisen ( 209). er hebt vielmehr speziell den esoterischen Charakter
apokalyptischer Literatur hervor (209ff.). während G. Hölscher das weisheitliche
Moment der Apokalyptik. die er durchaus kritisch abwertet, betont.
Die vom Vf. skizzierte Vielschichtigkeit im Bereich judaistischer Eorschung
in den erster. Jahrzehnten des 20. Jh.s. die in weiteren Details entfaltet schon
den Rahmen einer Dissertation hätte abstecken können, kann zugleich als
Hintergrund für die Interpretation der Apokalyptik bei R. Bultmann (und
Schülern) gewertet werden, zu dem anders gerichtet auch die in mancher
Hinsicht „Außenseiter-Position R.Ottos gehört (217ff)-