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Ausgabe:

1993

Spalte:

29-31

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ebner, Martin

Titel/Untertitel:

Leidenslisten und Apostelbrief 1993

Rezensent:

Lindemann, Andreas

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Theologische Literaturzeitung 1 IS. Jahrgang 1993 Nr. 1

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Zielsetzung. M. Sabbe untersucht das Verhältnis von Jo 10 zu
den Synoptikern (75-93). Er kann zeigen, daß insbesondere der
narrative Rahmen der Hirtenrede (V. 22-39) mit Bezügen zu den
Synoptikern durchsetzt ist (Jesu Verhör vor dem Synhedrium),
wobei speziell zu Lukas mit einer direkten Abhängigkeit zu rechnen
ist. Auch die Einzelelemente (Hirte, Schaf, Tür, Lebenshingabe
, gegenseitiges Erkennen) der Bildrede (V. 1-21) findet Sabbe
bei den Synoptikern vorgeprägt. Komposition und Theologie
von Jo 10 müssen somit auf dem Hintergrund der syn. Evangelien
verstanden werden. Auf der Basis linguistischer und literaturwissenschaftlicher
Methodik arbeitet J. A. Du Rand das Beziehungsgeflecht
zwischen Jo 9 und 10 heraus (94-115). Mit Hilfe
von acht Schaubildern werden Bezüge detailliert aufgezeigt, die
literarkritisch begründeten Quellen- oder Umstellungshypothesen
den Boden entziehen. Der sachliche Bezug zwischen beiden Kapiteln
wird in den Pharisäern als den eigentlichen Adressaten der
Hirtenrede gesehen. Ihren in Jo 9 sichtbar werdenden Unglauben
will Jesus überwinden. H. Thyen skizziert in seinem Beitrag Johannes
10 im Kontext des vierten Evangeliums' (116-134) zunächst
die Voraussetzungen seiner Interpretation. Danach muß
das überlieferte Johannesevangelium Kap. 1,1-21,25 als kohärenter
und anspruchsvoller Text gelesen werden, der eine Vielzahl
von Auslegungen ermöglicht und die Synoptiker als .Quelle' voraussetzt
. Thyen zeigt die planvolle Einbindung von Jo 10 in den
Gesamtaufbau des Evangeliums auf und verzichtet bei der Auslegung
bewußt auf die Frage nach der Identität von ,Dieb', .Räuber
'. .Wolf und .Mietling'. Vielmehr handelt es sich bei der Hirtenrede
um „eine neue Vertextung der alten Gottesrede .Wider
die Hirten Israels' (Ez 34, Jer 23; Sach 11)" (130).

Der vorliegende Band gewährt einen aufschlußreichen Einblick
in die Tendenzen der neueren Johannesforschung. Dabei
sind zwei Entwicklungen deutlich zu erkennen, die inzwischen
noch an Bedeutung gewonnen haben: 1. Die extensive Literar-
kritik als Quellenkritik bildet nicht mehr die (fast) unhinterfragte
Basis der Johannesexegese. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis
durch, daß der 4. Evangelist ein sowohl theologisch als auch
literarisch bewußt gestaltender Autor war. 2. Im methodischen
Zugang (Vielfalt und Kombination der Methoden) und der Bestimmung
der historischen Rahmenbedingungen (Verzicht auf
monokausale religionsgeschichtliche Erklärungen, die Synoptiker
als mögliche .Quellen' des Johannesevangeliums) zeichnet
sich ein neuer Konsens der Johannesexegese ab.

Halle Udo Schnelle

Ebner, Martin: Leidenslisten und Apostelbrief. Untersuchungen
zu Form, Motivik und Funktion der Peristasenkataloge
bei Paulus. Würzburg: Echter 1991. XVI, 414 S. gr.80 = Forschung
zur Bibel, 66. DM 56.-. ISNBN 3-429-01393-3.

Der umfangreiche Band, eine von H.-J. Klauck betreute, im
Sommer 1991 in Würzburg angenommene Dissertation, untersucht
sämtliche paulinischen Texte, die als Peristasenkataloge
in Frage kommen1. Das in einer ausgesprochen angenehmen
Sprache geschriebene Buch bietet eine Fülle wertvoller philosophischer
und philologischer Informationen und trägt zugleich
erheblich zum besseren Verständnis der paulinischen Texte (u.
der paulinischen Theologie als ganzer) bei.

In der ..Einleitung" stellt E. zunächst sehr knapp die mit Bultmann
beginnende Erforschung der paulinischen Peristasenkataloge
dar, mit dem Ergebnis, es gebe „einen Pendelschlag von

1 Die Untersuchung berührt sich thematisch und auch in manchen Ergebnissen
mit J. T. Fitzgerald, (Tracks in an Earthen Vessel, 1988 (s. Bespr. in
ThLZ 114. 1989. 4310. E. wurde auf diese Arbeit erst verhältnismäßig spät
aufmerksam (S. 2 Anm. 8); Fitzgerald untersuchte die Peristasenkataloge in
IKor und in 2Kor 1-7.

religionsgeschichtlicher Euphorie zu christlicher Apologetik":
„Sind es auf der einen Seile (sc. bei Bultmann. A. Fridrichsen
u.a) konkrete pagane Vergleichstexte, so auf der anderen Seite
(sc. vor allem bei W. Schräge und J. Zmijewski) christlologi-
sche Aussagen, vor allem die bedeutungsschweren Sätze im Anschluß
an den Katalog in 2Kor 4,8f, die als Anker der Interpretation
fungieren" (6). In Anlehnung an R. Hodgson und K. Berger
formuliert E. folgende (vorläufige) „Arbeitsdefinition":
„Ein .Peristasenkatalog' ist eine Auflistung meist negativer Widerfahrnisse
, die das Leben des Menschen betreffen" (18).
Nachdem das alttestamentlich-jüdische Vergleichsmaterial in
der neueren Forschung eingehend dargelegt worden sei, will E.
nun wieder stärker auf die hellenistischen Parallelen achten,
„nicht im Sinn einer Kontraposition oder polemischen Abgrenzung
, sondern vielmehr im Sinn eines ausgleichenden Gegengewichts
" (18).

E. untersucht nun sieben paulinische Texte (1 Kor 4.8-16: 2Kor
11,23-29; 2Kor 12,10; 2Kor 4,7-12; 2Kor 6,4-10; Phil 4,10-20;
Rom 8, 31-39) im Blick auf ihre Form (Strukturmerkmale, Hör-
signale.Wortfelder usw.), fragt nach Vergleichste.xten und den bei
Paulus wahrzunehmenden eigenen Akzenten sowie der besonderen
auf den Kontext bezogenen Funktion, um von daher dann
eine systematisierende Zusammenfassung gewinnen zu können.
Die genannten einzelnen Arbeitsschritte werden bei jedem der
genannten paulinischen Texte überaus sorgfältig gegangen,
wobei nicht nur der Paulustext jeweils exegesiert wird, sondern
auch zahlreiche antike Schriften u.a. als sozialgeschichtliche
Quellen ausgewertet werden (beispielsweise 38ff zum Hintergrund
von YU|ivtTEi)OfXEV in IKor 4,11: Gemeint sei das Tragen
des Philosophenmantels auf der nackten Haut; oder 69ff zum
Topos „Handarbeit": Entgegen der sonst in der Antike üblichen
Bewertung sei diese in der radikalen Form kynischer Wanderprediger
positiv aufgefaßt gewesen). In IKor 4 verwende Paulus
eine in der Popularphisosophie gängige Form des Peristasenka-
talogs (nämlich den Katalog der „äußeren Umstände") in polemischer
Absicht, um sich der ihm kritisch gegenüberstehenden
Gemeinde als väterliche Autorität (vgl. 4,15) zu präsentieren
(9011). Den Katalog in 2Kor 11.23-29 interpretiert E. als eine
im Rahmen der „Narrenrede" (11,16-12,13) stehende Selbstdarstellung
des Paulus: Der Apostel setze darauf, von der Gemeinde
in dem als Redewettstreit („Redeagon") vorgestellten „Rangstreit
mit seinen Gegnern die Überlegenheit bestätigt zu bekommen
" (105). Der Vergleich mit zeitgenössischen popularphilo-
sophischen Texten ergibt, daß hier ein „persönlicher Peristasenkatalog
mit typischer Strophenbildung" vorliegt (117). wobei
das „Ich" durch die kommunikative Situation bedingt sei. Die
präzisen Zahlenangaben und das mehrfache jroAAdxic, gehörten
zur Gattung der „Talenbcrichte". E. analysiert als Paralleltexte
u.a. die res gestae des Augustus, die Paulus gekannt haben
müsse (131); sie seien nun freilich parodistisch umgeformt, insofern
es nicht um einen „Rekord" von Erfolgen, sondern gerade
um ein „Mehr" an Belastungen gehe (133). E. nennt in diesem
Zusammenhang gute Argumente dafür, daß die in 11,25
erwähnte dreimalige verberatio nicht unbedingt im Widerspruch
zu einem möglichen römischen Bürgerrecht des Paulus stehen
muß (136f). Nach einem abschließenden Vergleich mit der
Schilderung des Diogenes als eines „Diakons des Zeus" (Epik-
tet Diss III 24, 64ff; in einem längeren Exkurs zieht E. auch die
Heraklcsmühen zum Vergleich heran, 161-172) kommt E. zu
dem Ergebnis, daß Paulus in 2Kor 11 den Peristasenkatalog einsetzt
, um „seine Überlegenheit als Diakon Christi vor einem
hellenistischen Publikum zu beweisen, das mit derartigen
Sprach- und Denkmustern vertraut ist... Dabei greift Paulus nur
das heraus, was mit seiner Lebcnscinstellung und seinen eigenen
theologischen Grundüberzeugungen in Kongruenz steht"
(160).