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Ausgabe:

1993

Spalte:

501-503

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

VanHouten, Christiana

Titel/Untertitel:

The alien in Israelite law 1993

Rezensent:

Mommer, Peter

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501

Theologische Literaturzeitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. 6

502

Houten. Christiana van: The Alien in Israelite Law. Sheffield:
JSOT Press 1991. 200 S. 80 = Journal for the Study of the Old
Testament, SuppLSeries 107. Lw. £ 22.50.

Die auf eine amerikanische phil. Diss. aus dem Jahr 1989
zurückgehende Arbeit ist ein wenig früher erschienen als das
bisher nur angekündigte Buch von C. Bultmann, Der Fremde im
antiken Juda. Die sehr ähnliche Themenstellung reizt zum Vergleich
. Vielleicht ist aber auch eine unabhängige Besprechung
der Arbeit von C. van Houten interessant, zumal es keinen Kontakt
während der Entstehungszeit beider Werke gegeben zu
haben scheint.

V. H. führt ihre Untersuchung schwerpunktmäßig an Rechtstexten
durch. Ihr Ziel ist die "reconstruetion of the legal Status of
this (sc. der Fremden) class" (14). Die Arbeit beschäftigt sich
sowohl mit der Entwicklungsgeschichte der atl. Rechtstexte als
auch mit der sozialen und ökonomischen Position der Fremden.
Dabei hat die Vfn. die Forschungsgeschichte seit Wellhausen
und vor allem M. Weber im Blick. Positiv zu beurteilen sind
ihre ausdrückliche Frage nach der Sozialgeschichte unter Berücksichtigung
der amerikanischen Anthropologie sowie die
Einbindung des Themas in den altorientalischen Horizont. Bei
der Datierung der atl. Quellentexte stützt sich die Vfn. weitgehend
auf eigene Beobachtungen und verzichtet auf weitergehende
Diskussionen zur Pentateuchfrage.

Ein erster Arbeitsgang gilt dem (nach ANET zitierten) altorientalischen
Material des CE, des Lipit-Ischtar Codex, des CH
sowie mittelassyrischer Rechtstexte (1112-1074 v.Chr.). Es ist
festzuhalten, daß der Fremde in ao. Rechtstexten sehr selten vorkommt
: häufiger ist allgemein vom Schwachen die Rede, allerdings
nur in Prolog und Epilog der Sammlungen, nicht - im
Gegensatz zum AT - im Rechtskorpus selbst. Bemerkungen
zum Umgang mit dem Fremden bei Beduinen (vgl. R. de Vaux)
und Griechen schließen diesen etwas blassen Punkt ab. Als
Grund für ein Leben in der Fremde nennt v.H. "geographica!,
historical, religious, economic, political and ethnic factors" (42),
ohne näher darauf einzugehen.

Die erste atl. Nachfrage gilt den Gesetzen im Bundesbuch, Ex
22,20; 23,9.12. Die als Individuen behandelten Fremden sind
"outsiders. who are vulnerable in a new place" (62), kommen
aus einem anderen (israelitischen) Stamm, werden u.a. zu
"members of the household" (58). V.H. setzt für die angenommene
vorstaatliche Zeit das Modell der segmentären Gesellschaft
voraus. Der Fremde soll in ihr geschützt werden vor generellem
Mißbrauch und unfairer Rechlsbehandlung, wobei das
Recht hier die Verhältnisse zwischen den Familien regelt.

Der Wechsel der sozio-ökonomischen Verhältnisse in der
Königszeit bedingt auch eine veränderte Haltung gegenüber den
Fremden. Im theologisch fortgeschrittenen Dtn, das Jahwes
Gabe und Aufgabe eng zusammenbindet, wird der Fremde, der
jetzt immer ein Nicht-Israelit ist. meist mit den übrigen personae
miserae in einem Zug genannt. "Their sociooeconomic Status
and their ethnic identity" (108) korrespondieren. Sie erfahren
ein soziologisch nicht ableitbares "generous treatment" (107),
sollen aber nicht voll integriert werden.

Bei der Behandlung der 34 P-Belege differenziert die Vfn.
nicht zwischen P und H. Die Gesetze, die z.T. älter als P sind,
weiden im Exil von P bearbeitet. Sofern sie jüngeren Datums
sind, reflektieren sie die Erfahrungen Israels im Exil. Auch bei
P wird der Fremde zusammen mit anderen Randgruppen der
Gesellschalt behandelt. Besondere Beachtung schenkt die Vfn.
der Stellung des Fremden in der nachexilischen Zeit. Hier ist
erstmals eine Gleichbehandlung von Israelit und Fremden zu
beobachten, der als ger jetzt Teil der Kultgemeinde werden
kann. "They have become part of the chosen people" (155),
eine Entwicklung, die vorexilisch noch undenkbar gewesen
wäre.

In einer Zusammenfassung am Schluß der Einzeluntersuchungen
stellt v.H. ihre Ergebnisse in drei Punkten systematisch
zusammen. Unter dem ersten Punkt "History of the Identity of the
Alien" betont sie, daß die Gesetze keineswegs die gesellschaftliche
Realität widerspiegeln, sondern postulieren, was sein soll.
Dtn und P versteht sie als "reform documents" (159), die den
Umgang mit dem Fremden den veränderten gesellschaftlichen
Verhältnissen anpassen wollen. Vordtn war der ger jemand aus
einem anderen Stamm - gleich ob Israelit oder nicht. Für ihn galt
die Forderung der Gleichbehandlung. Als Beispiel für eine solche
Existenz nennt v.H. den Hethiter Uria. Im Dtn ist mit ger eindeutig
der Nichtisraelit angesprochen; er ist ökonomisch abhängig
und ohne Landbesitz. Die Königszeit, die eine Klassengesellschaft
hervorbringt, zieht auch "the line between Israelite and non
Israelite" (161). Ungewiß ist die Teilnahme des ger am Kult; für
Dtr ist sie unmöglich. Günstiger ist die Situation des Fremden
z.Z. von P. Hier genießt er rechtlich z.T. denselben Status wie der
Israelit (vgl. etwa Lev 19,18.34). Der Entwicklung des Inhalts
korrespondiert zweitens die "Development of the Forms of Law".
Während sich im Bundesbuch apodiktische Rechtssätze finden
(bei aller Problematik des Begriffs), lösen sich im Dtn die Formen
auf. V.H. spricht hier in Anlehnung an von Rad vom gepredigten
Gesetz. Variiert werden die Formen auch bei P.

Interessanter als die Entwicklung der Form ist die der "Motivation
Clauses". Im Bundesbuch werden die Gesetze, den Fremden
betreffend, mit einem "appeal to the past" begründet, "an
Old Testament version of the Golden Rule" (167). Lediglich in
Ex 23,12 wird auf allgemein menschliche Erfahrung zurückgegriffen
. Erweitert werden die Begründungen im Dtn. Die Vfn.
unterscheidet vier weitere Grundmuster: Verheißung von Segen,
Verweis auf ein allgemeines Prinzip, explizit theologische Begründungen
, Strafandrohung. Erstmals bei P finden sich zwei
Gesetze ohne Begründung, Lev 25,47; Num 9,10; hier wird
allerdings im Rahmen eine allgemeine Begründung gegeben.
Daneben bemüht sich P (bzw. Ps) um eine Erklärung von Nutzen
und Prinzipien der Gesetze. Neu ist bei P auch der Rekurs
auf die Schöpfung, wobei Fremder und Israelit hier sachbedingt
gleich behandelt werden. V.H. sieht bei P Fachleute am Werk,
die geschriebene Gesetze auslegen. Anschließend versucht die
Vfn., die Entwicklung des Rechts in Israel auf dem Hintergrund
ihres Themas zu skizzieren. Das AT kann ohne Schwierigkeiten
mehrere Rechtsbegründungen nebeneinander stehen lassen - "a
lestimony to the richness of thinking about law", die Begründungen
konkurrieren nicht miteinander, sondern zeigen die
Komplexität der "theologies (!) of law" (174). Dahinter steht ein
"process of enrichment" (175), der keineswegs zur Rechtsunsicherheit
führt. Was den Fremden betrifft, ist eine - wenn auch
nicht ganz stringenle - Entwicklung aufzuzeigen hin zur Eingliederung
in das Gemeinwesen. Dahinter steht eine "inclusive
tendency", die der Entwicklung der Theologie im AT überhaupt
entspricht, und "God's purpose to include and save all"! (175)
Zum Fazit gehören zwei weitere Beobachtungen: Die atl. Gesetze
sind am besten auf dem Hintergrund ihres historischen Kontextes
zu verstehen und sie lassen sich nicht allein aus sozio-
ökonomischen Faktoren erklären. Das Buch wird abgeschlossen
durch kurze Bemerkungen zur Ubersetzung von ger durch LXX,
ein ausführliches Literaturverzeichnis, ein Bibelstellen- sowie
ein Autorenregister.

Es handelt sich um ein lesenswertes Buch, in dem ein wichtiger
Bereich israelitischen Rechts systematisch behandelt wird. Solch
ein Längsschnitt durch die verschiedenen Epochen bringt Gewinn
nicht nur für das verhandelte Thema, sondern für das Verständnis
des Rechts in Israel überhaupt, und das um so mehr, als der Penta-
teuch und damit eben zu einem guten Teil die Rechtsüberlieferung
für das nachexilische Judentum bestimmend wurde. Hier
macht v.H. wichtige Beobachtungen, wenn sie feststellt, daß die
Entwicklung nicht nur sozialgeschichtlich, sondern in Korrespon-