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Ausgabe:

1993

Spalte:

492-494

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Orlinsky, Harry Meyer

Titel/Untertitel:

A history of Bible translation and the North American contribution 1993

Rezensent:

Schwarz, Hans

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491

Theologische Literaturzeitung 1 18. Jahrgang 1993 Nr. 6

492

Bibelwissenschaft

Bucher, Anton A.: Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge
zu biblischen Texten. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer
1992. 200 S. 8«. Kart. DM 34,-. ISBN 3-17-012007-7.

Zwischen wissenschaftlicher Bibelexegese und psychologischer
Auslegung biblischer Texte klafft nach wie vor ein tiefer
Graben; dabei könnte die Psychologie, wenn sie verantwortungsbewußt
eingesetzt wird, einen durchaus wertvollen exegetischen
Beitrag leisten. Modell für die Einbeziehung der Psychologie
in die traditionelle exegetische Arbeit könnte die Einbeziehung
der Soziologie sein: Auch eher konservativ eingestellte
Exegeten sind heute bereit, soziologischen und sozialgeschichtlichen
Fragestellungen ein gewisses Recht einzuräumen.

An der mangelnden Verständigung zwischen der traditionellen
Bibelwissenschaft und der psychologischen Auslegung haben
sicher einerseits die etablierten Exegeten schuld, zu einem
wesentlich größeren Teil jedoch die psychologischen Ausleger:
Was sie produzieren, hält über weite Strecken einer Nachprüfung
nicht stand. In dieser Situation kommt das Buch von
Bucher wie gerufen. Durch einen Ansatz wie den seinen kann
die psychologische Auslegung Reputation gewinnen, auch in
skeptisch eingestellten Exegetenkreisen.

Die psychologische Auslegung hat, um wissenschaftlich zu
werden, gründliche Kritik nötig. Auf Kritik von außen, also auf
Kritik von Exegeten, die von Psychologie nicht allzuviel verstehen
, reagieren psychologische Ausleger nicht. Mit Bucher tritt
jedoch jemand auf den Plan, der psychologischer Ausleger ist
und von innen her, auch aus dem Referenzrahmen der Psychologie
heraus und nicht nur als Theologe, die bisherige psychologische
Bibelauslegung einer umfassenden Revision unterzieht.
Seine Kritik fällt präziser aus als die Kritik von Theologen ohne
Psychologiekenntnisse; ihr wird man sich eher beugen können.
Ja, sie müßte in den Reihen der psychologischen Ausleger
hochwillkommen sein, kann sie doch dazu dienen, aus der
selbstverschuldeten Isolation herauszuführen.

Doch nicht nur aus Kritik besteht die Arbeit von Bucher. Er
stellt am Schluß (leider nur kurz, im Sinne eines Nachwortes)
„Thesen zur Bibelpsychologie" auf (167-174), in denen er seinen
eigenen, sehr ausgewogenen Grundansatz skizziert.

Der erste Teil des Buches ist überschrieben: „Psychologische
Deutungen biblischer Texte" (13-100). Hier geht es um eine
Reihe von „objektiven" Zugängen zur Bibel. „Objektiv" sind
diese Zugänge gemäß Bucher „insofern, als der Gegenstand der
psychologischen Analysen die Inhalte und Akteure der Bibeltexte
selber sind" (9f). In einem zweiten Teil, versehen mit dem
Titel: „Zur Psychologie der Deutung biblischer Texte" (101-
166), „werden psychologische Zugänge zur Bibel erörtert, die
nicht mit dem Anspruch auftreten, jeweils die richtige Deutung
von Bibeltexten zu erbringen. Vielmehr beschränken sie sich
darauf, zu beschreiben, wie unterschiedliche Subjekte Bibeltexte
rekonstruieren und deuten" (11).

Themen des ersten Teils sind die Bibelauslegung im Anschluß
an S. Freud, die Auslegung nach C. G. Jung, die Hermeneutik
E. Drewermanns und sozialpsychologische Zugänge.
Besonders wichtig ist in diesem ersten Teil die kritische Besprechung
des Ansatzes von C. G. Jung, ist Jung doch Gewährsmann
vieler heutiger psychologisch arbeitender Ausleger, nicht
zuletzt auch Drewermanns. Leider folgt man Jung meist völlig
blind, ohne sich Rechenschaft zu geben über die weitreichenden
theologischen Konsequenzen seines Ansatzes. Und schon gar
nicht prüft man die Psychologie Jungs als solche auf ihre Tragfähigkeit
. Das aber tut Bucher. Und er kommt zu ernüchternden
Ergebnissen; so schreibt er zu einem Kernstück der Jungschen

Psychologie: „Die von Jung vorgelegten Definitionen des
Archetypen sind additiv und dermaßen breit und wäßrig, daß
alles als ,archetypisch' bezeichnet werden kann. Damit besagt
.Archetypus' alles - und nichts!"(62) Auch das Ziel der psychologischen
Bemühungen Jungs (und der Bibelausleger in seinem
Gefolge), die „Selbstwerdung" („Individuation"), wird in Frage
gestellt. Sie kann dazu führen, daß das Selbst sich narzißtisch
aulbläht (70).

Im zweiten Teil ist besonders interessant das Kapitel „Bibel
-Furcht und Zittern. Psychopathologische Aspekte der Bibelauslegung
" (156-166). Doch die Überschrift führt in die Irre. Nicht
mehr um methodengeleitete Auslegung geht es hier, sondern um
pathologisch verzerrte Rezeptions- und Interpretationsprozesse
beim Bibelleser schlechthin. Es gibt, so zeigt Bucher auch anhand
von Beispielen, im Umgang mit der Bibel nicht-normale
Vorkommnisse. Man kann nun keineswegs sagen: Solche Vor-
kommnise ereignen sich, wenn bereits psychisch vorgeschädigte
Menschen zur Bibel greifen. Das stimmt zwar, aber es stimmt
auch - und Bucher weist mit Nachdruck darauf hin -, daß
gewisse biblische Texte als solche neurotisierend wirken können
. Von solchen Einsichten her verbietet sich eine zu harmlose
Auffassung der Bibel; sie nimmt uns nicht nur liebevoll bei der
Hand, um uns zu einem glücklicheren Leben zu führen, sondern
hat auch unberechenbare und gefährliche Seiten.

In seinen abschließenden Thesen tut Bucher u.a. dies: er fordert
eine „Bibelpsychologie", die „Gesetzmäßigkeiten der Kog-
nitions-, der Entwicklungs-, der Sozial- und auch der Tiefenpsychologie
benennt, die in der wissenschaftlich-exegetischen
Arbeit wirksam sind, ob sich der Auslegende nun dessen bewußt
ist oder nicht" (169f).

St. Blaise Walter Rebell

Orlinsky, Harry M., and Robert G. Bratcher: A History of Bi-
ble Translation and the North American Contribution.

Atlanta: Scholars Press 1991. XV, 359 S. gr.8° = SBL. Cen-
tennial Publications. Kart. $ 19.95.

Harry M. Orlinsky (1908-1992) wurde in Owen Sound/Onta-
rio, Kanada, geboren, lehrte zunächst von 1936-1944 am Baltimore
Hebrew College und danach fast 50 Jahre an der Fakultät
des Jewish Institute of Religion in New York, das sich 1950 mit
dem Hebrew College vereinigte. Er war 1970 Präsident der
Society of Biblical Literature, und das einzige jüdische Mitglied
der Kommission, die die Reviseä Standard Version (1952) und
die New Revised Standard Version (1990) verfaßte, die offizielle
Bibelübersetzung vieler protestantischer Kirchen in den USA.

Robert Bratcher war an den Bibelübersetzungsprojekten der
American Bible Society und der United Biblc Societies beteiligt
und machte sich durch eine Reihe von Studien zu neuzeitlichen
englischen Bibelübersetzungen (Good News for Modern Man,
New International Version usw.) einen Namen. In der vorliegenden
Veröffentlichung war er für den neutestamentlichen
Teil sowie für die kritische Analyse der deuterokanonischen
und apokryphen Übersetzungen verantwortlich. Somit geht der
größte Teil des Manuskripts auf Orlinsky zurück, obwohl beide
jeweils die Beiträge des Partners konstruktiv beeinflußten.

Wie im Vorwort erwähnt, konnte leider die New Revised
Standard Version (1990) nicht mehr ausführlich gewürdigt werden
. Doch bringt diese Untersuchung auch ohne ausführliche
Analyse dieser neuesten Bibelübersetzungen eine Fülle von
Informationen zu den nordamerikanischen Bibelübersetzungen
des 20. Jh.s. Allerdings kommen die VIT. nicht sofort zum nord-
amerikanischen Beitrag für die Bibelübersetzungen, sondern
gehen zunächst streng historisch vor, wobei sie vier große Epochen
der Bibelübersetzungen unterscheiden: