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1993

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 6

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en in jüdischen und christlichen Gemeinden sowie speziell für
die Berufsgeschichte evangelischer Pfarrcrinnen und Rcligions-
lehrerinnen interessieren.

Mit ..Querdenken" meinen die Hcrausgeberinnen, daß Geschichte
bewußt von einer herrschaftskritischen, Frauen sichtbar
machenden Seite wahrgenommen werden soll. Erfahrungen des
Leidens von Frauen und ihr Widerstandshandeln sollen ans
Licht gerückt werden, damit heutige Frauen neue und vielfaltige
Lebensmöglichkeiten erblicken können, die das eigene Denken
und Handeln bereichern.

Die Autorinnen der Festschrift verdeutlichen dieses Bemühen
an unterschiedlichen Aspekten historischer (theologiegeschicht-
licher) Forschung. Sie machen Frauen aus der hebräischen
Bibel, aus dem frühen Christentum, dem 19. und 20. Jh. bekannt
. Verschiedene Ausblicke und Reflexionen über praktische
Arbeits- und Umsetzungsmöglichkeiten im gemeindlichen und
gesellschaftlichen Kontext beschließen das Buch.

Dem allen vorangestellt sind mehrere theoretische Aufsätze.
Deren Ausführlichkeit verdeutlicht, daß feministisch-befreiungstheologische
Forschung überkommene Hermeneutiken
nicht einlach übernehmen kann, sondern sich oft von ihnen
distanzieren und eigene Wege erarbeiten muß. Dies illustrieren
Kerstin Söderblom und Andrea Bieler, Mitarbeiterinnen im Göttinger
Frauenforschungsprojekt zur Geschichte der Theologinnen
, für die Erforschung von Biographien deutscher protestantischer
Theologinnen, die Anfang dieses Jh.s lebten und arbeiteten
: Das Konzept der Erinnerungsarbeit von Frigga Haug sowie
Erkenntnisse feministischer Geschichtswissenschaft helfen, das
Leben dieser Frauen zu erforschen und zu bewerten. Neue Fragen
werden brisant. z.B.: Wie verhalten sich Theologinnen, die
nicht heiraten und kein Kind bekommen durften, ohne ihren
Arbeitsplatz in Kirche und Staat zu verlieren, in den Jahren
1933-45 zu den nationalsozialistischen Idealen von Mutter und
Familie'.'

Karin Volkwein zeigt, wie feministische Theologie und Theorie
Erfahrungen von Frauen in ihre Reflexionen einbauen und
wo dies differenziert geschieht. Von den Erfahrungen von Frauen
auszugehen, ist grundlegend für diesen feministischen
Ansatz. Diesen Aspekt verfolgt auch Lske Wollrad, indem sie
die Ausgrenzung lesbischer Lebensweisen und die Konstruktion
vom Zwang zur Hcterosexualität auch in christlich-feministischer
Theologie aufzeigt.

Gerdi Nütze! fragt nach der Möglichkeit ökumenischer (im
Sinne von weltweiter) Solidarität angesichts der Lebenspraxis
der brasilianischen Pfarrerin Lori Altmann, der für ihre Arbeit
nm dem indianischen Volk Kuiina kein Gehalt gezahlt wurde,
und deren Bemühungen um eine neue Möglichkeit, als christliche
Kirche mit den indianischen Völkern Brasiliens zu arbeiten,
gerade im Jahr 1992 sehr brisant ist. Susannah Heschel bedenkt
Ajitijudaismus und Antipharisäismus in christlich-feministischer
Theologie und Waltraud Hummerisch-Diezun Möglichkeiten, in
Theologie und Kirche zu Frauenidentität zu finden.

Die historischen Aulsätze beginnt Luise Schottroff, indem sieden
gewaltlosen Widerstand von Frauen im frühen Christentum
als patriarchatskritisch darstellt. Für die hebräische Bibel beschreibt
Renate Jost den Widerstand von Vasthi und Esther. Die
Erforschung ..moderner" Frauenleben beginnt Christiane Mar-
kert-Wizisla mit Gedanken über Elisabeth Malo, die 1895 gleiche
Rechte für brauen wie für Männer in der evangelischen Kirche
forderte.

Dagmar Henze und Heike Köhler beschreiben, daß die Forderung
nach Gleichberechtigung von Frauen in der Wissenschaft,
die Hedwig Dohm schon 1874 stellte, auch für die Theologie bis
heute nicht eingelöst ist. Frauen wurden zunächst nur zu Lehre-
rinnen an Mädchenschulen ausgebildet, nicht als Pfarrerinnen,
flauen kämpften darum, studieren zu dürfen. Hannelorc Frhart
War erst die fünfte brau, die sich an einer deutschen theologischen
Fakultät habilitiert hat, und noch heute habilitieren sich
viel weniger Frauen als Männer.

Den Kampf von Theologinnen darum, ordiniert zu werden,
d.h. den kirchenpolitischen Streit um die Erlaubnis, daß Frauen
die Sakramente austeilen durften, behandelt Kerstin Söderblom.
1927-1929 versuchten Vikarinnen der rheinischen Kirche (Frauen
konnten nur als „Vikarinnen" in der Kirche arbeiten), das
Vikarinnengesetz dahingehend zu ändern, daß ihnen kirchenrechtlich
erlaubt wurde, zu predigen, die Sakramente auszuteilen
, und daß sie finanziell abgesichert wurden. Ilse Härter beschreibt
diesen Kampf, dessen erste Forderung abgelehnt, dessen
zweite Forderung angenommen wurde. Marlies Flesch-The-
bcsitis stellt das Leben von Erika Küppers und Annemarie Rübens
vor, Almut Witt das von Anna Paulsen, drei Theologinnen
zu Anfang des 20. Jh.s.

Den Streit um das Tragen des Talars, das den Frauen verboten
war und nur im 2. Weltkrieg in Teilen der Bekennenden Kirche-
erlaubt wurde, beschreibt Renate Schatz-Hurschmann. Nach
1945 wurde das Verbot restauriert und erst durch eine gegenteilige
Praxis der 5()er Jahre verändert. Dietlinde Cunow zeigt, daß
Gesetze von 1930 bis 1969 (!) vorschrieben, daß in der Kirche
arbeitenden Theologinnen im Falle einer Eheschließung entlassen
wurden.

Christiane Habermann beschreibt die Auswirkungen des
BDM-Werks „Glaube und Schönheit" auf die Mädchenerzic-
hung zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Briefwechsel zwischen
Heide-Marie Lauterer-Pirner und Gerta Scharffenorth beschließt
die historischen Aufsätze.

Feministische Praxis reflektiert Katharina von Bremen anhand
von Frauenreferaten auf unterschiedlichen kirchlichen
Ebenenen. Leonore Siegele-Wenschkewitz beschreibt ihr Bestreben
, Frauenarbeit an der Evangelischen Akademie Arnoldshain
zu „institutionalisieren". Den Versuch von Theologinnen
aus beiden Teilen Deutschlands, sich nicht auseinanderdividie-
ren zu lassen, illustrieren Oda-Gebbine Holze-Stäblein und
Angelika Engelmann. Dorothee Solle bringt die Erfahrungen
armer brauen aus Brasilien und Peru zur Sprache. Johanna
Friedleins Predigt thematisiert die christliche Wortverkündigung
durch Frauen.

Das Buch „Querdenken" beeindruckt durch seine Unterschiedlichkeiten
. Die Einzelbeiträge sind um Hannelore Erharts Frauenforschungsprojekt
zur Geschichte der Theologinnen Güttingen
herum angeordnet und verdeutlichen ähnliche Bemühungen in
der gesamten theologischen Forschung. Die vielfältigen Begabungen
und Interessen schreibender Theologinnen, von Schülerinnen
und Wegbegleiterinnen Hannelore Erhalts, kommen gelungen
zum Ausdruck. Die Fülle der Theologinnen veranschaulicht
, daß die Interessen von Frauen in der theologischen Wissenschaft
breit gelächert sind, und läßt hoffen, daß ihre Neugier und
ihr „Querdenken" Beachtung finden.

Frankfurt/M. Irene Dannemann

Bister, Ulrich, u. M. Zcim |Hg.] unter Mitarb. von R. Mack u. H.-W.
Schenk: Johann Jakoh Rainbach. Leben - Briefe - Schriften. Gießen-Basel;:
Brunnen 1993. 144 S. m. Abb. 8°. ISBN 3-7655-9245-5.

Briekorn, Dirk: Dignitatem vindica despectorum. Zigeuner im Spannungsleid
zweier Loyalitäten. Münster: Caritas-Verband 1992. VIII, 179 S.
m. Abb. 8°.

Klinket, Wolfgang, u. H. Hilgcndiek [Hg.]: Davids Stein steht über
Bethlehem. Hin Weihnachtslesebuch, mit einer Einleitung von K.-H. Ronecker
. München: Kaiser 1992. 296 S. 8°= Kaiser-Taschenbücher. 125 S.
Kart. DM 19,80 . ISBN 3-459-01949-2.

Christen, Eduard, u. W. Kirciuchläger [Hg.]: Ranftseminar 1991. Zum
Thema ..Staatsfähigkeit - Staatenfähigkeit". Referate und Anregungen.
Luzern: Raeber 1993. 74 S. 8°. sFr 18.80. ISBN 3-7239-0079-8.

Kiiupp, Werner |Hg.|: Gelebter Glaube. Erfahrungen und Lebenszeugnisse
aus unserem Land. Ein Lesebuch. Metzingen: Franz 1993. 397 S. m. Abb.
8°. ISBN 3-7722-0226-8.