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Ausgabe:

1993

Spalte:

487-488

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lucas, Franz D.

Titel/Untertitel:

Michael Sachs - der konservative Mittelweg 1993

Rezensent:

Schreiner, Stefan

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487

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 6

488

Allgemeines, Festschriften

Kramer, Werner, u. Hugo Sonderegger |Hg.]: Emil Brunner
in der Erinnerung seiner Schüler. Mit einer Einführung
von R. Leuenberger. Zürich: Theologischer Verlag 1989. 231
S.,8Taf. 80. Kart. sFr20.-.

Die hundertste Wiederkehr von Emil Brunners Geburtstag
hat die Emil-Brunner-Stiftung, Zürich, veranlaßt, ehemalige
Studenten Brunners, vor allem aus den Jahren 1924-1945, um
Mitarbeit an diesem Sammelband zu bitten. Vierzig Autoren
haben wesentliche Momente aus den Erinnerungen an ihren
Lehrer zusammengetragen. So ist ein sehr persönliches Bild
entstanden, das aber gerade so nie dem bloß Privaten verhaftet
bleibt: Es spiegelt die Eigenart eines Theologen treulich wider,
für den die Erkenntnis Begegnungscharakter hatle.

Es wäre ungerecht, einzelne Autoren besonders herauszuheben
. Die Beilrage sind in fünf Abschnitten zusammengefaßt
Der erste, „Ein Lehrer der Kirche", macht erkennbar, daß Brunner
, der schon in verhältnismäßig frühen Jahren in sein akademisches
Amt berufen wurde, theologische Lehre nie als rein
akademische Angelegenheit empfunden und betrieben hat; er
war zugleich „Dogmatiklehrer und Zeuge des Glaubens" (70),
aber dieser Zeugenschaft haftete nichts Pathetisches an; sie
wurde in der gesunden Nüchternheit gelebt, die den Schweizer
Protestantismus auszeichnet. Der zweite Abschnitt. „Der Theo-
loge", zeigt, wie eindruck /oll Brunner in der Systematik seiner
Theologie Schriftgebundenheit und Weite des Denkens zu vereinen
wußte. Der dritte, „Dialogische Theologie als Seelsorge",
arbeitet besonders die Lebens- und Zeitbezogenheit im theologischen
Wirken Brunners heraus; Beiträge wie „Zwischen
Barth und Brunner" (117f.) und „Gelebte Eristik" (143-145)
mögen hier das besondere Interesse des heutigen Lesers erwecken
. „Ein Mensch im Widerspruch" vermittelt Eindrücke
von wichtigen persönlichen Beziehungen (etwa zu dem auch
aus der Biographie Bonhoeffers bekannten Erwin Sutz, 175-
177). Der letzte Abschnitt, „Ökumenische Weite", kann deshalb
besonderes Interesse beanspruchen, weil er der nach Westen
wie nach Osten die Kontinente übergreifenden Wirksamkeit
Brunners die gebührende Aufmerksamkeit verschafft: Dankbare
Schüler aus Amerika wie aus Japan kommen hier zu Wort.

Besondere Hervorhebung verdienen die Beigaben, die die
Erinnerungen aus dem Schülerkreis in erwünschter Weise
ergänzen: Die ausführliche wirkungsgeschichtuc : ..icitung
von Robert Leuenberger (9-27), die u.a. auch in sehr behutsamer
Weise auf den Konflikt eingeht, an dem sich die ..Verwundbarkeit
" Brunners zeigte: „Nein zu sagen zu einem Gegner
ist eins, ihm das Gespräch zu verweigern ein anderes. Mit dem
Nein Karl Barths aber war das Gespräch zwischen den beiden
abgebrochen" (23); die „Autobiographische Skizze" Brunners
(28-49) und die (insgesamt 19) eingeschalteten Abbildungen,
die, ebenfalls gerade unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsgeschichte
, die Aussagen des Buches sinnvoll abrunden.

Leipzig Norbert Müller

Lucas, Franz D., u. Heike Frank: Michael Sachs. Der konservative
Mittelweg. Leben und Werk des Berliner Rabbiners
zur Zeit der Emanzipation. Tübingen: Mohr 1992. V, 161 S.
m. Abb. 8«. Lw. DM 98,-. ISBN 3-16-145888-5.

„Die vorliegende Arbeit versteht sich als Versuch, die Persönlichkeit
und das Wirken Michael Sachs' neu zu betrachten
und aus heutiger Sicht zu würdigen, ohne den Anspruch zu
erheben, die Verdienste dieses so vielseitig begabten und tätigen
Mannes voll ausschöpfen zu wollen." (6) Mit diesen Worten
beschreiben die beiden Autoren das Anliegen ihrer verdienstvollen
Biographie von Michael Sachs, der ohne Zweifel
zu den großen Gestalten des deutschen Judentums im /.weiten
Drittel des 19. Jh.s gehörte, aber ganz zu Unrecht weder zu seinen
Lebzeiten noch danach die ihm gebührende persönliche
Anerkennung und Würdigung seines Werkes erfahren hat, von
einer Ausnahme abgesehen, einem Aufsatz, den Josef Eschelbacher
(MGWJ 52, 1908, 385-425. 540-559) veröffentlicht hat.
Sachs' Schicksal mag darin wohl dem all derjenigen ähneln, die
sich zeit ihres Lebens - wie im Untertitel des Buches angedeutet
- im gesellschaftlichen Leben nicht auf Polarisierung und
Konfrontation hin spezialisiert, sondern allenthalben um Vermittlung
und Ausgleich, um den Mittelweg also bemüht haben.

Gestützt auf umfangreiches, zumeist unveröffentlichtes dokumentarisches
Material, aus dem immer wieder z.T. ausführlich
zitiert wird, zeichnen die Vff. in ihrem Buch, in acht Kapitel
(nebst Einleitung und Nachwort), entsprechend den Stationen
und Zäsuren in Sachs' Leben, gegliedert, den Lebensweg
jenes Mannes nach, der 1808 im schlesischen Glogau begann,
über Berlin, wo Sachs seine intensiven Studienjahre verbrachte,
die er mit seiner Promotion zum Dr.phil. 1835 in Jena beendete,
nach Prag, der ersten Stätte seiner Rabbinertätigkeit (1836-
1844), und von dort wieder zurück nach Berlin führte, wo er bis
zu seinem plötzlichen Tode am 31. Januar 1864 als Rabbiner
wirkte. Entstanden ist mit dem Buch zum einen das Porträt
eines jüdischen Gelehrten der Gründergeneration der Wissenschaft
des Judentums, der in beeindruckender Weise klassisch-
humanistische Bildung mit traditioneller jüdischer Gelehrsamkeit
zu vereinen verstand, und zum anderen das Bild eines wortgewaltigen
Predigers, in dessen Leben und Wirken sich brennglasartig
alle geistig-religiösen und gesellschaftlich-politischen
Probleme der jüdischen Gemeinschaft in Preußen bündelten.

Zeugen vom ersteren Sachs' zahlreiche wissenschaftliche
Studien und v.a. seine kommentierten Übersetzungen mittelalterlicher
spanisch-jüdischer poetischer Werke (hier hat Sachs
Pionierarbeit geleistet) sowie die Übertragungen der Bibel, der
„Festgebete der Israeliten (Machsor)" (9 Bdc) sowie des „Gebetbuch
der Israeliten (Siddur)", die bis heute nicht nur zahllose
Neuauflagen erlebt haben, sondern in ihrem Wert und in ihrer
Bedeutung uneingeschränkt wichtig geblieben sind, so ist demgegenüber
Sachs' Lebensweg von den Jahrzehnten des Ringes
um jüdische Emanzipation und der Suche nach einem modus
con-vivendi von Juden und Christen in der bürgerlichen Gesellschaft
ebenso geprägt wie von den beginnenden (und bis heute
anhaltenden) Auseinandersetzungen zwischen jüdischer Orthodoxie
und Reformbewegung, bei denen Sachs seines „Mittelweges
" wegen stets der Kritik von beiden Seiten ausgesetzt
war. Indem die Autoren in den Mittelpunkt ihrer Biographic
weniger den Gelehrten als vielmehr den gesellschaftlich engagierten
Prediger Sachs gestellt haben, haben sie damit nicht nur
eine jüdische Lebensgeschichte aus dem 19.Jh. geschaffen,
sondern zugleich einen höchst eindrucksvollen Beitrag zur Geschichte
der Juden im Preußen des 19. Jh.s vorgelegt, der nicht
nur für den Fachhistoriker von Belang, sondern für jeden historisch
Interessierten empfehlenswerte Lektüre ist.

Tübingen Stefan Schreiner

Querdenken. Beiträge zur feministisch-befreiungstheologischen
Diskussion. Festschrift für Hannelore Erhart zum 65. Geburtstag
. Hg. vom Frauenforschungsprojekt zur Geschichte der
Theologinnen Göttingen. Pfaffenweiler 1992. 393 S. DM 34,-.

Eine spannende, gut lesbare Festschrift für feministisch engagierte
Frauen und Männer, die sich für die Geschichte von Frau-