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Ausgabe:

1993

Spalte:

459-460

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kirschstein, Helmut

Titel/Untertitel:

Der souveräne Gott und die heilige Schrift 1993

Rezensent:

Kirschstein, Helmut

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459

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 5

460

lungswelt nachzuweisen ist, so kann dies letztlich jedoch nicht
völlig ausschließen, daß ein hellenistischer Hörer oder Leser ab
und an andersartige, vom Übersetzer unbeabsichtigte Assoziationen
bzw. Anknüpfungspunkte empfunden haben mag.

Kirschstein, Helmut: Der souveräne Gott und die heilige
Schrift. Die Grundrelation der biblischen Hermeneutik Karl
Barths als kontinuierliches Zentrum seiner Theologie. Diss.
Tübingen. 1991. XXXI, 324 S.

Vorliegende Diss. geht von der Beobachtung aus, daß sowohl
E. Thurneysen (Einleitung: Teil A.l) als auch Karl Barth selbst
(A.2) der Biblischen Hermeneutik Barths von Anfang an fundamentale
Bedeutung zuschreiben. Diese Bedeutung wird auch in
der Barthforschung weitgehend erkannt (A.3). Demgegenüber
relativiert die sozialistische Barth-Interpretation F.-W. Mar-
quards u.a. (A.4), aber auch die Integration Barths in die Neuzeit
-Theorie der Schule T. Rendtorffs (A.5) das Gewicht des
sola scriptura in gravierender Weise. Als interpretatorischer
Konsens gilt jedoch schul-übergreifend der (kontrovers disktu-
tierte) Grundgedanke des souveränen Gottes (A.6).

Vor diesem Hintergrund untersucht die Diss. das Verhältnis
von souveränem Gott und heiliger Schrift. Im Zuge der Arbeit
erweist sich die hypothetisch als eine hermeneutische Grundrelation
angenommene Beziehung beider Pole als die biblisch-
hermeneutische Grundrelation schlechthin. Damit wird die intendierte
Erfassung charakteristischer Grundzüge der Biblischen
Hermeneutik Barths erreicht. So scheint es möglich, Barths
Theologie gegenüber unsachlichen Intcrpretationsversuchen zu
profilieren und die aktuelle Bedeutung seiner Biblischen Hermeneutik
hervorzuheben (Ertrag: Teil C).

Der entwicklungsgeschichtlich strukturierte Hauptteil B setzt
mit August 1914 ein und stellt Barths Entdeckung der „weit
offenen Bibel" in den ersten Kriegswochen vor Augen (im
Kontrast zur Zeit vor Aug. 1914: s. Anhang II). In textnaher
Exegese beobachtet die Diss. eine wachsende Zuordnung von
Schrift- und Gottesverständnis. Beides entwickelt sich in analogen
Kategorien ,1. Das organische Reich Gottes und die neue
Welt in der Bibel') und führt um 1920 zur paradigmatischen
Aufhebung der Schrift in die Souveränität des Gottesgedankens
(,II. Das totaliter aliter Gottes und das normative Paradigma der
Bibel'). Als Brennpunkt der gesamten Entwicklung erweisen
sich die ersten „Prolegomena" Barths (,III. Der dreieinige Gott
und das dreigestaltigc Wort', mit denen er 1924 die Grundrelation
von Gott (= „Deus") und Schrift (= „dixit") als Begründung
seiner trinitarischen Prinzipienlehre verankert. Dabei wird die
Grundrelation trinitarisch aufgefächert: Christus und Kanon,
heiliger Geist und heilige Schrift sind allein korrelativ idenlifi-
zierbar. Mit diesen Prolegomena die auch in der Christlichen
Dogmatik 1927 und in der Kirchlichen Dogmatik 1/1 und 1/2
1932/38 nur mehr souveränitätstheologisch modifiziert werden
schreibt Barth seiner gesamten Dogmatik ihren biblisch-herme-
neutischen Charakter vor.

Die in der Forschung als entwicklungsgcschichtlicher Wendepunkt
überschätzte Anselm-Studie (1931) bringt das 1924
Erreichte allenfalls terminologisch auf eine neue Abstraktionsebene
und erweist sich als eine Doxologic und Hermeneutik integrierende
Texttheorie. Unter ,IV. Trinitarische Christuswahrheit
und christologische Schriftwirklichkeit' wird daraufhin der
für KD I zentrale „locus de scriptura Sacra." als „articulus stan-
tis et cadentis ectiesiae" verständlich. Auch die „analogia fld-
ei" zeigt sich als entwicklungsgeschichtlich bedingte Konsequenz
des Schriftprinzips, und die korrelative Identifikation
erweist .Jesus Christus als heilige Schrift existierend'. Besondere
Aufmerksamkeit gilt sodann dem strukturalistisch-scmioti-
schen Textverständnis Barths, das seinem narrativen Geschichtsverständnis
korrespondiert (,der Text als Zeichenwelt').
Schließlich wird die Relevanz der textvermittclten Inanspruchnahme
des Menschen in den Jahren nach 1933 aufgezeigt (.Exegese
als Nachfolge').

Anhangsweise unternimmt die Diss. eine Verifikation der bis
1938 erhobenen Grundzüge biblischer Hermeneutik anhand der
gesamten KD sowie wichtiger Texte der Spätphase (Anhang I).
Demnach hat zu gelten: Die gesamte Theologie Barths ist an
der Grundrelation von souveränem Gott und heiliger Schrift
orientiert. Ein biblisch-hermeneutischer Neuansatz in KD IV
findet nicht statt. KD I ist darum als Hauptwerk der Theologie
Barths zu lesen. Denn diese durchweg anti-positivistische
Theologie will in ihrem kontinuierlichen Zentrum als Biblische
Hermeneutik verstanden sein: als .Anleitung zu sachgeinäßer
Wahrnehmung der heiligen Schrift'.

Zimmer, Siegfried: Das Problem der Kindertaufe in der Theologie
Martin Luthers. Luthers reformatorische Grundkenntnisse
als Maßstab für die Frage nach der Kindertaufe. Diss.
Tübingen 1992.

Die Dissertation fragt dogmatisch nach dem theologischen
Recht der Säuglingslaufe. Ausgeklammert werden die Fragen
nach der Taufe älterer Kinder und die Frage nach einer spezifischen
Religion des Kindes. Die Arbeit ist begrenzt auf eine
Untersuchung der Theologie Luthers in systematischer Absicht.
Die aktuelle Taufdiskussion wird nicht näher berücksichtigt,
obwohl die Dissertation durchaus in diesem Kontext geschrieben
wurde und für ihn Bedeutung hat. Im ersten, umfangreicheren
Teil der Arbeit werden Luthers reformatorische Grunderkenntnisse
dargestellt und jeweils für die Frage nach der Säuglingstufe
ausgewertet. Die leitende Fragestellung des ersten
Teils der Arbeit lautet: ., Haben Luthers reformatorische Grundkenntnisse
der Sache nach eine größere Nähe zur Praxis der
Säuglingstaufe oder zur Praxis der Erwachsenentaufe?" In diesem
Teil werden durch eigene Kapitel berücksichtigt: Luthers
Verständnis des Wortes, der Rechtfertigung, der Ontologie der
Person, des Glaubens, der Kirche und der Heiligen Schrift. Andere
zentrale Themen der Theologie Luthers werden soweit es
für die spezifische Aufgabenstellung der Arbeit erforderlich ist
innerhalb der jeweiligen Kapitel berücksichtigt. Von besonderem
Gewicht für den ersten Teil der Arbeit sind Luthers Wort-
und Rechtfertigungsverständnis, sowie sein Verständnis der Stif-
tungsintention der Sakramente. Die Dissertation geht davon aus,
daß es unerläßlich ist. in der Frage nach dem theologischen
Recht der Säuglingstaufe Luthers reformatorische Grunderkenntnisse
insgesamt zu berücksichtigen. Nur in ihrer Ganzheil
können sie als theologischer Maßstab gelten.

Der zweite Teil der Arbeit wendet sich speziell der Kinder
taufthematik zu. Die leitende Fragestellung lautet jetzt: "Ist es
Luther gelungen, die ihm vorgegebene Praxis der Kindertaufe in
seine neuen reformatorischen Grunderkenntnisse theologisch
überzeugend zu integrieren?" Der zweite Teil der Arbeit versteht
sich als eine Art Gegenprobe zum ersten Teil. Zunächst
wird dabei der Stellenwert der Lehre von der fides infantium in
Luthers Tauftheologie untersucht. Diesbezüglich glaubt der
Autor der Arbeit forschungsgeschichtlich neue Akzente setzen
zu können. Von den gewonnenen Erkenntnissen her werden anschließend
„Aporien in der Lutherinterpretation" und „Aporien
in Luthers Lehre von der Kindertaufe" dargestellt.

Die Dissertation kommt u.a. zu dem Ergebnis, daß in Luthers
Ja zur Säuglingstaufc theologische Voraussetzungen eine ausschlaggebende
Rolle gespielt haben, die nicht mehr die unseren
sind und daß sich Luthers reformatorische Grunderkenntnisse
der Sache nach wesentlich angemessener mit der Erwachsenen
laufe zur Geltung bringen lassen als mit der Säuglingstaufe.