Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1993

Spalte:

23-25

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Westermann, Claus

Titel/Untertitel:

Wurzeln der Weisheit 1993

Rezensent:

Lux, Rüdiger

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

23

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 1

24

räch (49ff) und Baruch 3,9-4,4 (89ff) zuzuwenden. In Spr 1-9
und bei Sir erkennt L. eine Verbindung von Weisheit und
Jahwefurcht, bei Sir und in Bar 3,9-4,4 eine Verbindung von
Weisheit und Thora, die er als „Weisheitsnomismus" bezeichnet
(87 u.ö.). In der „epistemologische(n) Kombination von
Gottesfurcht und Gesetz" sieht er „ein Proprium des Sir" (93).

Sein Verständnis von „Weisheit und Torheit bei Kohelet"
(95ff - Zusammenfassung: 174ff) entwickelt L. in der Interpretation
einschlägiger Einzel-Texte des Koh-Buches. Ergebnis: „Die
Weisheit" als „sinnstiftende Ordnung" der „Schöpfung" erweist
sich in Koh's „empirisch(er)" Untersuchung als „dem Menschen
nicht zugänglich". Sie ist ein willkürlicher, beängstigender,
machtvoller Dämon für Kofi geworden, dem die Menschen hilflos
ausgeliefert sind... Als eine solche bezeichnet er die Ordnung
nun nicht mehr als häkmä, sondern als L et (und mispät)." Damit
wendet Koh sich gegen einen „Weisheitsnomismus" (174f).
„Die Jahwefurcht als ein zweiter Zugangsweg seiner Umwelt
zur göttlich gestifteten Ordnung bleibt Koh ebenfalls verwehrt:
Ethik und Erkenntnis sind bei Koh nicht mehr verbunden... Gottesfurcht
gerät zur Gottesangst" (175f)- „Sowohl Torheit als auch
Weisheit... sind das Ergebnis willkürlicher göttlicher Determination
". Die von Koh empfohlene „Lebensfreude" wird „im weis-
heitsnomistischen Umfeld des Koh als Gesetzesbruch aufgefaßt
", so daß Koh auch mit seinen diesbezüglichen Empfehlungen
„in krassem Widerspruch zum Weisheitsnomismus seiner
Zeit" steht (177). Schließlich macht für Koh „die Torheit... die
Weisheit wirkungslos" (178).

Es ist ein Verdienst der Arbeit L.s, daß sie neben der „traditionellen
(?) Weisheit" des Spr-Buchs das zeitgenössische Umfeld
des Koh-Buchs bei dessen Interpretation stärker berücksichtigt
, als es häufig geschieht. Bei Einbeziehung weiteren Materials
würden hier neben „Jahwefurcht" und „Weisheitsnomismus"
wohl noch weitere und differenziertere Konzeptionen erkennbar.

L.s Koh-Interpretation ist (mit)bestimmt von seiner Vorentscheidung
, „daß der Makrokontext in der Einzelauslegung lediglich
von untergeordneter Bedeutung ist" (95). Das hat neben
D. Michel in der neueren Koh-Forschung etwa auch N. Lohfink
(mit dessen einschlägigen Arbeiten sich L. nicht auseinandersetzt
) mit bedenkenswerten Argumenten bestritten. Im einzelnen
wären L.s Auslegungen der häufig sprachlich schwierigen
und mehrdeutigen Texte des Koh-Buchs kritisch zu diskutieren
. Bei einer weniger an den Begriffen als an der - oft
höchst diffizilen - Argumentation der Texte (im Horizont zeitgenössischer
Konzepte) orientierten Koh-Interpretation würde
sich m.E. ein weit komplexeres und differenzierteres Bild der
Diskussion von „Weisheit und Torheit bei Kohelet und in seiner
Umwelt" ergeben, als es bei L. erkennbar wird.

München Thomas Krüger

Westermann, Claus: Wurzeln der Weisheit. Die ältesten Sprüche
Israels und anderer Völker. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1990. 186 S. gr.8«. Kart. DM 29,80. ISBN 3-525-
516773-8.

Die vorgelegte Studie ist der Versuch einer breiteren Darstellung
und Begründung der Thesen C. Westermanns zum Ursprung
der Weisheit Israels, die dieser bereits in früheren Arbeiten
formuliert hat.1 Die Weisheit gehört für ihn „zusammen
mit dem universalen Reden vom Menschen in der Urgeschichte
Gen 1-11 als ganzer, aber auch in den Psalmen, im Hiobbuch,
Deuterojesaja und an vielen anderen Stellen, an denen es um
den Menschen auf seinem Weg von der Geburt zum Tod geht"
(9). Die Wurzeln dieses universalen weisheitlichen Redens findet
er in kurzen einzeiligen, allenfalls zweizeiligen Sprüchen,
bzw. Sprichworten, die ursprünglich aus einer konkreten Lebenssituation
erwachsen sind und mündlich Uberliefert wurden.
Vor allem in den ältesten Spruchsammlungcn Prov. 10-21; 25-
29 glaubt W. zahlreiche, ursprünglich mündlich tradierte, kurze
Sprüche ausfindig machen zu können. Von diesen kurzen
Sprüchen sind die längeren Lehrgedichte (Prov 1-9) grundsätzlich
zu unterscheiden, die einer Schriftkultur zugeordnet werden
müssen (l()f.). Damit widerspricht W. einer zu starken Betonung
der Herleitung der Sprüche aus einer postulierten „Schulweisheit
", die von eigenen Weisheitslehrern verwaltet worden
sei, wie sie sich etwa bei H. J. Hermisson2 und G. v. Rad-? findet.
Diese These zum Ursprung der Weisheit entfaltet W. in drei
Schritten. Nach einer kurzen Einleitung und der Markierung des
forschungsgeschichtlichen Standes (9-13) werden im ersten
Hauptteil des Buches die Sprüche in ihren Gruppen (Aussagesprüche
: Beobachtungssprüche, Charakterisierungen, Gegensatzsprüche
, Vergleiche, Komparativsprüche, Zahlensprüche
/Mahnworte: Allgemeine Mahnungen, Mahnungen zur Erziehung
) vorgestellt und analysiert (15-121). Dieser formgeschichtlich
angelegte Teil schließt mit einer „Skizze der Formgeschichte
der Weisheit" (121-123), in der die Grundpositionen des Vf.s
noch einmal bündig zusammengefaßt sind. Außerdem enthält
dieser erste Teil noch einen lesenwerten Anhang über „Weisheitssprüche
als Jesusworte", in dem nachgewiesen wird, daß
auch viele Worte der Evangelien formal mit den frühen Weisheitssprüchen
zu vergleichen sind und deswegen wohl in der
Volksweisheit z.Z. Jesu ihren Sitz im Leben hatten (123-129).
Die in diesem Hauptteil des Buches entfaltete These zum Ursprung
der Weisheit wirft viele Fragen auf. Zweifellos hat die
in den ältesten Spruchsammlungen Israels gesammelte Weisheit
auch Wurzeln in der Volksweisheit, die in Gestalt von
Sprichworten mündlich im Umlauf war. Wird aber nicht bereits
der Begriff der „Volksweisheit" zu sehr beschnitten, wenn man
ihn auf die Gattung der Sprichworte begrenzt, gehören zu ihr
nicht auch Erzählungen und Fallbeispiele (2Sam 12,1 IT.: 14.
Lff.; IReg 3,16ff.; Koh 4,13-16; 9,13-16)? Zur Untermauerung
seiner These von den kurzen, ursprünglich mündlich überlieferten
Sprüchen der Volksweisheit stellt W. die Behauptung auf,
daß zahlreiche Sprüche, die im vorliegenden Spruchbestand
zweigliedrig sind, ursprünglich eingliedrig gewesen seien (35
u.ö.). Als solche werden sie auch immer wieder zitiert, ohne
daß im Druck darauf hingewiesen wird, daß eben nicht der
volle biblische Wortlaut angeführt wird (vgl. z.B. 35, 52, 62,
69ff). Welche Kriterien aber erlauben eine derartige Verkürzung
von zweigliedrigen zu eingliedrigen Sprüchen? Ist das Postulat
einer ursprünglichen Eingliedrigkeit hinreichend abgesichert,
wenn ein Glied eines Spruches eine in sich geschlossene Sinneinheit
bildet? Leider gibt W. auf diese methodologischen
Fragen keine Antworten. Daraus ergibt sich ein Problem: Die
von W. angeführten - und wohl auch in dem einen oder anderen
Fall denkbaren - ursprünglich eingliedrigen Sprüche der
Volksweisheit liegen selbst in den ältesten Spruchsammlungen
der Prov eben nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form vor. Sie
wurden zum Parallelismus erweitert oder auch von Anfang an
als solcher fomuliert. Ihre geschliffene Form erweckt den Eindruck
, daß es sich bei ihnen ganz überwiegend eher um „Kunstsprüche
" als um „Volkssprichworte" handelt. Und dieser Eindruck
verstärkt sich noch bei so komplexen Spruchgattungen
wie den Zahlcnsprüchen. Dabei ist die Grenze zwischen beiden
Gattungen sicherlich nicht in jedem Falle eindeutig zu ziehen.
Dazu kommt außerdem, daß man sich die Genese des Kunst-
spruches wie auch des Volkssprichwortes nicht einlinig vorstellen
darf. Der von einem wort- und sprachgewandten „Weisen"
formulierte Kunstspruch kann durchaus zum Volkssprichworl
werden und umgekehrt. W. ist darin zuzustimmen, daß die
Volksweisheit als Wurzel der Weisheit Israels sehr viel stärker
in Blick genommen werden sollte. Eine monokausale Ableitung