Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1993

Spalte:

448-449

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Wohlmuth, Josef

Titel/Untertitel:

Jesu Weg - unser Weg 1993

Rezensent:

Becker, Rolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

447

Theologische Literaturzeitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. 5

448

Zeugnis" ("countercultural witness", 193) neuer „Propheten" und
neuer "ad hoc communities", denen es gelingen könnte, Gottesdienst
und Leben wieder zusammenzuführen und so dem "social
breakdown" (195) zu wehren, wie er bei einer weiteren Privatisierung
und Individualisierung der Religion unweigerlich droht.
"Not only can there, but there must be" (200): So lautet seine
Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit gottesdienstlichen
Handelns nach der Shoah.

In diesem Zusammenhang ist der Beitrag von Mark R. Francis
("Liturgical Inculturation in the United States and the Call to
Justice", 84-101) bemerkenswert, besonders deshalb, weil er
sich mit einer Analyse der nordamerikanischen Kultur auseinandersetzt
, die auch auf Entwicklungen hierzulande Schlaglichter
wirft. Danach sind moderne, säkulare Kulturen durch eine
dreifach negative Dynamik bestimmt (94f): durch die Tendenz
zu einer „Subjektivierung der Wirklichkeit" ("Subjectivation of
Reality"), die sich in einer "What-is-in-for-me?"-Mentalität ausdrückt
, die jegliches Welt- und Lebensverhältnis den eigenen,
individuellen Interessen und Erfahrungen unterwirft; durch die
Tendenz zu einer "Intimization" der Wirklichkeit, die sich in
einer Trivialisierung und Entleerung, auch Funktionalisierung
zwischenmenschlicher Beziehungen zeigt; schließlich durch die
Tendenz zu einer „Politisierung der Kultur" ("Politization of
Culture"), die alle sozialen und kulturellen Aktivitäten am politisch
-ideologischen Maße mißt und ausrichtet und so soziales
Handeln auf seine politischen Aspekte reduziert. Die genannten
Trends stehen samt und sonders in einem wesenhaften Gegensatz
zur christlichen - insbesondere zu einer von den "römischen"
Werten der "dignity", "sobriety", "gravity" geprägten - Liturgie,
die darum in einem solchen kulturellen Kontext nur als eine
gegenkulturelle Größe erscheinen und wirken kann. Der Vf. setzt
sich dennoch für einen „respektvollen Dialog" zwischen dem
„Glauben der Kirche" und der sie beherbergenden Kultur ("the
host culture", 97) ein, in dem es insbesondere um eine Auseinanderesetzung
mit dem in dieser Kultur hintergründig wirksamen
Gottesbild ("master image of God", 98) gehen muß.

Zwei Beiträge befassen sich mit einem speziellen Aspekt des
Zusammenhangs von "Liturgy and Justice": Barbara Reid ("Li-
turgy, Scripture and the Challenge of Feminism", 124- 137) fordert
eine Reinterpretation der Sprache und Symbole der Liturgie
ebenso wie eine Neuverteilung der liturgischen Rollen, um
der ursprünglichen Gleichheit aller Glieder im Leibe Christi
wieder Recht und Ausdruck zu geben; und John M. Huels ("Liturgy
, Inclusive Language, and Canon Law", 138-152) ermutigt
- in einer durchaus eigenwilligen Interpretation des Codex
Iuris Canonici von 1983 - zum Gebrauch inklusiver Sprache
bei den liturgischen Feiern.

Auf die anderen Beiträge des Bandes kann hier nur knapp
verwiesen werden: Ralph A. Keifer (11987) sieht die Ursachen
für die Privatisierung und Funktionalisierung der Liturgie, die
sich von der Frage nach ihrem „Nutzen" ("what we get out of)
leiten läßt, bereits in mittelalterlichen Entwicklungen angelegt
("Liturgy and Ethics: Some Unresolved Dilemmas", 68-83).
Paul J. Wadell ("What Do All Those Masses Do for Us? Re-
flextions on the Christian Moral Life and the Eucharist", 153-
169) erblickt in der Eucharistie den Ursprung und das Maß, den
Beweggrund und das Ziel allen christlichen Handelns, weil in
ihr die Vision einer neuen Schöpfung eine konkrete, gegenwärtig
wirksame Gestalt gewinnt. Edward Foley ("Liturgy and
Economic Justice for all" 116-123) zeigt, in welcher Weise die
authentische Feier der Liturgie im engagierten Handeln in der
"social arena" ihre Fortsetzung und Verwirklichung findet. Gilbert
Ostdiek ("Liturgical Catechesis and Justice", 170-184)
schlägt vor, den Zusammenhang von Liturgie und Gerechtigkeit
zum Gegenstand der Liturgiekatechese - nicht nur für Kinder,
sondern auch für Erwachsene - zu machen, und zwar so, daß
die Erfahrung der Teilnehmer mit den Glaubenserfahrungen,

wie sie in der Liturgie eine symbolische Gestalt gewonnen
haben, in einen Dialog eintreten kann.

Weil der Band Einblicke in die Debatte vermittelt, wie sie
hierzulande, insbesondere im protestantischen Raum, nicht einmal
in Ansätzen geführt wird (wo äußert sich schon ein Ethiker
dezidiert zu liturgischen Fragen?), sei er nachdrücklich zur Lektüre
und Auseinandersetzung empfohlen; das gilt insbesondere
für alle, denen das Verhältnis von Christentum und Kultur, Kirche
und Gesellschaft zunehmend fraglicher - das heißt: befra-
genswerter - wird.

Berlin/Rostock Karl-Heinrich Bieritz

Wohlmuth, Josef: Jesu Weg - unser Weg. Kleine mystagogi-
sche Christologie. Würzburg: Echter 1992. 239 S. 8«. Kart.
DM 34,-. ISBN 3-429-01433-6.

Der Vf. - Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen
Fakultät der Universität Bonn - versteht das hier vorgelegte
Konzept als ein „Angebot zum Gespräch an die Liturgiewissenschaft
" (10).

Angesichts des Befundes, daß die christlichen Hochfeste
heute „in ihrer ureigensten Mystik verdrängt werden oder gar
verlorengehen", ist er überzeugt, daß die mit Jesus von Naza-
reth begonnene „messianisch qualifizierte Zeil" in einer „recht
verstanden(en)" „Feier der Liturgie" ihre „Aktualität" behält,
wenn sich die „liturgische Zeit (ebenfalls als qualifizierte Zeit"
erweisen läßt. Die Bedingungen für solche ,echte' „Zeit-Genossenschaft
", ist der vorliegende Entwurf aufzuzeigen bemüht
(81.). Er muß dabei zu ergründen suchen, wie der Glaube „lebendigen
Zugang...zur ganz und gar geheimnisvollen und unvergleichlichen
Individualität Jesu" erhält. Steht eine „nur von
der Wahrheitsfrage" bestimmte „Christo/ogie" (9) in der „Gefahr
einer rationalistischen Engführung" (221), die diesen Zugang
verhindert, so kann ihn eine „liturgieorientierte Christologie
" (221) zwar nicht „garantieren", aber die Liturgie kann doch
zumindest zu einem „Stück ursprünglicher Lebendigkeif' (9)
verhelfen - jedenfalls da, wo die „mystische Dimension der
Liturgie" wieder aufleuchtet, so wie das „in je verschiedener
Weise" bei Romano Guardini und Franz Rosenz.weig geschehen
ist (13). Gerade Rosenzweig läßt der Vf. zu Worte kommen und
wird durch ihn zur „Besinnung auf das jüdische Erbe" (9)
geführt, das in diesem Kontext von Bedeutung ist. Das Verständnis
dafür eröffent ihm auch E. Levinas, in dessen Werk
heute „viele Elemente des Rosenzweigschen Denkens in die
Sprache der Phänomenologie übersetzt und weitergedacht" (13
Anm. 1) sind. Wenn der VI. in einem gleichzeitigen „Gespräch
mit zeitgenössischer Ästhetik" (ausführliche Rezeption Theodor
Adornosl) das Modell einer christologisch fundierten - also
nicht denkfeindlich mystagogischen (9) und einen „fundamentalistischen
Rückfall" (221) beschreibenden - „liturgische(n)
Ästhetik" (9) entwirft, dann geschieht das aus der Einsicht heraus
, daß die mystische Dimension der Liturgie „ästhetische
Ausdrucks- und Sprachformen" verlangt, die über die „Technik
eines beherrschbaren Ritus" weit hinausgehen (13).

Daß sich der Vf. ausführlich „der Liturgie der Hochfeste
einer bestimmten liturgischen Tradition"( 8), nämlich der erneuerten
Römischen Liturgie zuwendet (105-199), bekennt er
selbst als „Grenze" seiner Arbeit und benennt die „Ausweitung
in die Liturgien der Hochfeste der gesamten Ökumene" als ein
„Desiderat" (8).

Ein zusätzlicher „Einblick in die Christologie der liturgischen
Glaubensbekenntnisse" (201) ist für diese Arbeit deshalb wichtig
, weil dem Apostolicum (203-209) und dem Nizänum von
325 (210-220) der „Anspruch auf Verstehbarkeit und Verwendbarkeil
in der Praxis der Taufe und der Eucharislicfeier" von